Kapiert! Erstaunlicherweise hatten sich die Solo Angeles innerhalb nur weniger Wochen die Sympathie von zwei Hells Angels-Anführern verdient und zugleich die Erlaubnis eingeholt, in dem Bundesstaat Geschäften nachzugehen.
Jetzt stand eine Dankesbekundung auf der Tagesordnung. Auf Birds Anweisung hin ließ Rudy den Hells Angels von den Solos ein „Danke“ zukommen, und zwar in Form von 500 Dollar für den „Verteidigungsfonds“, der für die juristische Unterstützung von Mitgliedern eingesetzt wurde. Es war nur eine Geste, die sich aber für das Team in der Zukunft als wichtig herausstellen sollte, denn damit hatten sie sich das Vertrauen der Angels verdient. Eine zuvorkommende Attitüde war ein bedeutendes Merkmal für Respekt. Mit ein wenig Glück besänftigte das Team durch so einen Schachzug auch die wahren Solo Angeles in Mexiko, deren Unmut sich wegen der Präsenz des Nomad Chapters in Bullhead City regte. Eines Morgens erfuhren die Agenten bei einigen Waffeln, dass Rudy sich nicht die Genehmigung des Mutter-Chapters in Tijuana eingeholt hatte. Das überraschte allerdings kaum jemanden. Offiziell durften die Solos also ihre Nomads-Abzeichen nicht in Arizona sehen lassen.
Eiligst arrangierten Bird, Carlos und Rudy ein Meeting mit „Teacher“, einem alten Member der Solos, das in Sylmar, Kalifornien, lebte. Sie verbrachten zwei Stunden mit mühseligen Erklärungen und heuchlerischen Entschuldigungen, warum sie das Territorium der Solos ohne Erlaubnis verletzt hatten. Teacher bestand darauf, dass die neuen Nomads den Verstoß gegen die Club-Regeln sühnen und nach Tijuana fahren sollten, um dort „Suzuki“ zu treffen, den internationalen Präsidenten des Clubs.
„Da scheiß ich doch drauf“, wütete Beef und schlug dabei mit der Faust auf den Tisch.
„Uns bleibt gar keine andere Wahl“, lenkte Bird ein.
„Ich entsende doch keine Bundesagenten für einen Grenzübertritt und lasse sie in einem anderen Land Outlaw-Biker spielen“, kochte Beef, wobei sich in seinem Kopf die Gedanken drehten, denn so ein Unternehmen erforderte ausreichende Logistik, Sicherheit und eine komplizierte rechtliche Absicherung. Es war schon schwierig genug, ein Überwachungsteam in Arizona zusammenzutrommeln, das die Agenten unterstützte und für ihre körperliche Unversehrtheit sorgte. Solch eine Task-Force für ein anderes Land aufzustellen, provozierte regelrecht Ärger und Probleme. Beef wollte auf gar keinen Fall die Kontrolle über die Mission verlieren oder das Risiko einer Enttarnung der Männer außerhalb der USA eingehen.
„Das musst du nicht“, beruhigte ihn Bird. „Wir schicken Rudy und Pops.“
Pops stellte nicht die perfekte Wahl dar, da nur fünf von insgesamt 170 Mitgliedern der Solos Weiße waren. Doch die Männer hatten nur wenige riskante Optionen. Südlich der Grenze durfte man Pops und Rudy nicht mehr überwachen. Die Kontrolle der Informanten war ein wichtiges Element, denn so etwas wie Vertrauen gab es einfach nicht. Beef stand kurz davor, diese Grundregel zu brechen, was ihm schon jetzt Gewissenbisse bereitete. Die Stimme des Vorgesetzten Gordon dröhnte noch in seinem Kopf: „Ich kann die Operation jederzeit abblasen.“
„Wenn du bei dem Trip Scheiße baust, wirst du die Innenseite eines Gefängnisurinals auslecken!“, warnte er Rudy bei den Vorbereitungen. Diesen Informanten musste man ständig an seine Pflichten und die Verantwortung erinnern!
„Denk noch nicht mal daran, mit denen zu fahren“, meinte Beef, den Finger auf Bird gerichtet. In den Augen des Operationsleiters zeigte sich die nackte Panik und Verzweiflung. Bird wusste, dass er sich momentan eine Antwort verkneifen musste, doch in einem kurzen, abgedrehten Moment dachte er an das Undenkbare. Wer würde es schon mitkriegen, wenn er mal kurz über die Grenze fuhr? Beef kannte Bird viel zu gut, wusste, dass sein Mann sich dieses Risiko zutraute und eine Exkursion nach Mexiko durchzöge. Und warum auch nicht? Wenn Bird sich schon als Biker ausgab, konnte er mit Sicherheit eine überzeugende Vorstellung bei den echten Solo Angeles hinlegen.
Pops und Rudy erreichten am späten Nachmittag das in Tijuana gelegene Clubhaus der Solo Angeles. Das große freistehende Haus dominierte das Terrain. Ein angenehmer Geruch breitete sich über das Gelände aus. Außer Suzuki befand sich niemand im Gebäude. Der Typ trug einen Schwall schwarzen Haares, hatte einen überdimensionierten Kopf und kleine blutunterlaufene Augen, die die Neuankömmlinge wie Beute musterten. Er vermittelte den Eindruck einer Spinne in ihrem Netz. Totenstille breitete sich aus. Nach einigen Momenten kamen andere Member, ganz heiß auf die Versammlung, „Church“ genannt, und ein wenig neugierig auf die Mitglieder aus den Staaten. Eine wichtige Nacht stand bevor, denn angeblich wollten Mitglieder des Top Hatters Motorcycle Club den Solos beitreten, was bei den Bikern „Patching Over“ hieß. Nicht jedem gefiel es, dass hier Amis abhingen, denn es waren Außenseiter und sie hatten ihre Beiträge nicht gezahlt. Der Begriff Church stand in der Biker-Sprache für offizielle Versammlungen. Man erwartete von Mitgliedern, dass sie ihre Beiträge zahlten, an Versammlungen teilnahmen und an Geschäften des Clubs mitwirkten. Die Organisation verfügte über eine Satzung und feststehende Regeln. Oft bestimmten nicht die Verdienste auf den Straßen den Rang in der Hierarchie, sondern die allgemeinen Erfahrungen. Die „Predigt“ wurde auf Spanisch gehalten, einer Sprache, von der Pops kein Wort verstand.
Danach verdonnerte Suzuki Rudy für die Erlaubnis, ein Nomad Chapter in Arizona zu gründen, zu einer Zahlung von 800 Dollar und belegte ihn aufgrund seiner 3-jährigen Fehlzeit mit einer Geldstrafe. Falls das Nomad Chapter den uneingeschränkten Segen von Suzuki „empfangen“ wollte, nötigte man Rudy dazu, eine Harley Davidson Evolution Sportster springen zu lassen. Dann wären sie quitt. Doch das Schlimmste kam noch! Pops verzog das Gesicht, als Suzuki ihnen den Befehl gab, monatlich einen Repräsentanten nach Tijuana zu entsenden, um an der Church teilzunehmen und Kohle anzuschleppen.
„Wir werden dem Typen kein verdammtes Bike spendieren.“
Beef schaltete auf Stur.
Bullhead City – Oktober 2002
Wochen nach Pops und Rudys Rückkehr aus Tijuana ließen sich die Männer in ihren verschiedenen Rollen regelmäßig in der Stadt sehen. Sie verbrachten die Tage mit dem Abschließen von Drogengeschäften und hingen mit anderen Outlaws ab. Natürlich hechelten sie einer vernünftigen Auszeit hinterher – kurzen Zeitabschnitten, um ohne Unterbrechung zu pennen, den wenigen Stunden, in denen sie freiheraus sprechen konnten, ohne jedes Wort auf die Goldschale zu legen und sich zu ängstigen, dass ein anderer einen Satz falsch interpretierte. In dem Undercover-Haus teilte sich Bird den dreckigen Boden mit Timmy, Carlos und Rudy. Pops kauerte sich lieber in Reichweite der Tür zusammen. Sie hielten abwechselnd Wache, dazu gezwungen, dem jeweils anderen zu vertrauen. Bird konnte nie komplett abschalten. In Momenten totaler Dunkelheit, wo er als einziges Geräusch seinen Atem hörte, nickte er meist nur kurz ein.
Im Zwielicht der Morgendämmerung schnappte sich Bird die Sig Sauer. Eine merkwürdige Stimmung schien den Raum zu erfüllen. Auf dem Pager leuchtete die Uhrzeit grell auf – 3 Uhr. Da war es wieder, ein klopfendes Geräusch in einer Ecke des Raums. Plötzlich hellwach, rappelte er sich auf. Die Venen in seinen Armen hatten sich wie Stahltaue zusammengezogen. Er nahm keine Bewegung im Haus wahr und schaute zur Seite. Wo zum Teufel steckte Timmy? Pops lag beim Fenster und murmelte etwas Unverständliches. Schlief er, oder war er wach? Carlos stand bewegungslos im Flur. Sein Schatten bildete sich auf der langen Wand ab, während er Rudy ins Visier nahm, der in voller Montur auf der Ecke einer Couch saß.
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