Doch Beef tat sein Möglichstes, um das Theater weiterzuspielen. Er ließ Visitenkarten mit der großen goldenen Aufschrift „Black Biscuit Enterprises“ drucken. Der Name stammte vom Eishockey, einem recht blutigen Sport. Beef plante die Infiltration der Hells Angels durch seine Agenten mit der Geschwindigkeit und Präzision eines gut gezielten Hockey-Pucks – einem „Black Biscuit“. Er stellte den Männern Kreditkarten mit falschen Identitäten aus, kümmerte sich um Bankkonten mit erfundenen Umsätzen und imaginäre Versicherungen.
„Wir machen das, damit Kriminelle aus korrekten Beobachtungen falsche Rückschlüsse ziehen“, erklärte er der Crew wiederholt. Und fügte hinzu: „Neben dem äußeren Erscheinungsbild ist eure innere Einstellung wichtig.“ Alle sahen wie Outlaw-Biker aus, besonders nachdem sie die Kutten mit Dreck, Schmiere und Bier „getauft“ hatten. Auf dem Leder zeigten sich auch Messerspuren. Darüber hinaus ließen sie den Truck und den Trailer über die Kutten fahren, um den Dingern einen authentischen „Noch nie gewaschen“-Look zu verpassen. Kaum vorhandene Hygiene, kahlrasierte Schädel, verfilzte Bärte und tätowierte Arme vervollständigten das Bad-Boy-Image.
Worauf ihre Frauen mit unverhohlenem Protest reagierten!
„Ich möchte eines Tages mal im vorderen Teil eines Restaurants einen Platz zugewiesen bekommen“, hatte sich Birds Frau in einem der seltenen Momente beklagt, in denen er mit ihr ausgehen wollte.
Nach 20 Jahre Ehe hätte sie sich eigentlich schon an Birds Erscheinungsbild als Street Agent gewöhnt haben müssen. Sie wusste, dass er kein Bürohengst war und nie einer werden würde. Bird vermutete, dass sie sich insgeheim noch nie mit den Opfern arrangiert hatte, die Einsatzkräfte bringen mussten – Gedanken, nur auf ein Ziel gerichtet, Schlafentzug, die merkwürdige und beklemmende Isolation, die nur die Männer kannten, die so eine Rolle spielten, und das Wechselspiel zwischen zwei Persönlichkeiten, das höchstens Schauspieler verstanden. Er wusste, warum Beef ihn für die Rolle ausgewählt hatte – es gab keinen anderen!
Egoismus war nicht das ausschlaggebende Element, denn der Pragmatismus bestimmte Beefs Entscheidung. Beef benötigte einen Mann, der innerhalb der Szene arbeiten konnte, der sich schon eine Identität aufgebaut hatte, eine Vertrauensperson, die sich unauffällig unter die finsteren Bastarde der Outlaws mischte. Sein Mann musste vollkommen in der Rolle aufgehen, damit die Ermittlung niemals in Gefahr geriet. Während der Karriere beim ATF hatte sich Bird schon fünf bestätigte Todesdrohungen eingefangen. Statt sich zu ducken oder in eine andere Stadt zu ziehen, akzeptierte er das „Trostpflaster“ des ATF – Mitglieder einer mit Sturmgewehren bewaffneten Sondereinheit, die sich in seinem Haus niederließen, die die Kinder überwachten, während diese mit ihren Tonka-Spielzeugtrucks in Sandgräben purzelten, und Floristen „grillten“, wenn diese an der Eingangstür auftauchten, um weiße Nelken von besorgten Nachbarn und Freunden abzugeben.
Beef musste wohl gespürt haben, dass Bird kein Typ für das „Ruhmeskarussell“ war, das Popularität und Berühmtheit mit sich brachten. Birds Talent zeigte sich durch seine Geschicklichkeit und Schläue auf der Straße. Das ATF mochte sich der Illusion hingeben, die Agenten für den Außeneinsatz zu trainieren, doch ein Typ wie Bird lernte die Regeln instinktiv. Er kreierte einen überzeugenden Background, wusste, wo die Trennlinien zwischen legal und illegal verliefen, und spürte, wann man aus einer brenzligen Situation aussteigen musste. Bird kannte den Unterschied zwischen dem Provozieren einer strafbaren Handlung und einer Ermittlung und zog sich niemals Drogen rein. Allerdings konnte auch der Fall eintreten, dass Ausnahmen von der Regel den Tagesablauf bestimmten. Bird wusste, dass der Konsum illegaler Substanzen unvermeidbar war, falls er vermutete, dass höchste Lebensgefahr bestand. Möglicherweise würde die Behörde ihn vor rechtlichen Konsequenzen schützen, doch der darauf folgende übermäßig aufwändige Papierkram hielt ihn ab, jemals diese Ausnahmeregelung in Anspruch zu nehmen.
Bird verstand, worauf es bei der Mission ankam. Es reichte nicht, wenn das ATF die Arizona Hells Angels infiltrierte und ihre Organisation zerstörte. Die Behörde musste auf eine höchstmögliche Anzahl von Anklageerhebungen und Strafverfahren abzielen. Für eine Outlaw-Biker-Gang war es ganz und gar nicht unüblich, Mordaufträge gegen Bundesstaatsanwälte und Agenten zu kommissionieren, wichtige Zeugen zu eliminieren und Informanten vor dem Prozess um die Ecke zu bringen. Ähnlich einer terroristischen Vereinigung regierten die Gangs dank der von ihnen ausgehenden Bedrohung und verängstigten ihre Widersacher. Sie orchestrierten ein Netzwerk intelligenter Köpfe, die auf kriminelle Art und Weise die Ermittlungen gegen Aktivitäten des Clubs störten und zum Einfrieren brachten. Die Biker waren, geradeheraus gesagt, organisierte Killer! Ihre Clubs liefen wie Firmen, und sie hatten eine Satzung und feststehende Regeln. Das Protokoll und eine feststehende Rangordnung bestimmten den Alltag. Und auch wenn Bird die Hells Angels erfolgreich zu Fall brachte, musste er immer noch mit den Richtern und Geschworenen fertigwerden, die eventuell gekauft wurden, um die Angeklagten freizusprechen.
August 2002
In der Biker-Community verbreitete sich die Nachricht schnell, dass sich die Solo Angeles als Mesa Bobs Gäste in Arizona aufhielten, und sich ein waschechtes Member in Bullhead City aufhielt. Doch Bird musste vorsichtig sein und dem Protokoll folgen. Es war wichtig, sich die Genehmigung zum Tragen der Solo Angeles-Kutte von Donald Smith (alias „Smitty“) einzuholen, dem altgedienten Member der Arizona Nomads. Der kräftig gebaute Mechaniker regierte angeblich die Stadt und erfreute sich einer geradezu harmonischen Beziehung zu den dortigen Strafverfolgungsbehörden.
Die Entscheidung, Smitty zu treffen, erfolgte eher aus strategischen denn aus praktischen Beweggründen – wenn Bird nicht zufälligerweise scharf auf eine Kugel im Rücken war. Smitty mochte es nicht, wenn jemand seine Führungsposition in Frage stellte.
Bird kannte den Typen noch aus seiner Zeit als Waffenschieber. Nun musste er Smitty und seiner kriminellen Gefolgschaft erklären, warum er ihn neun Monate lang getäuscht und angelogen hatte und ihm nicht erklärte, dass er in Wahrheit ein Outlaw-Biker sei.
„Frag Smitty, warum ich nicht mehr im Club bin“, riet ihm Dave B., ein ehemaliger Hells Angel, nachdem er einen Schluck aus Birds Bierkrug genommen hatte. Die beiden saßen in O’Learys Bar in Bullhead City. Dave war ein stämmiger Typ mit einem verschwitzten roten Gesicht, das bei der spärlichen Beleuchtung einem Lötkolben auf vollen Touren glich. Er drehte die Hand um und zeigte Bird das Death-Head-Tattoo. Unter dem Logo stand „out date“, womit er signalisierte, dass er nicht mehr zum Club gehörte. Offensichtlich hatte er Smitty in seiner Führungsrolle herausgefordert. Einige Zeit später verriet Smitty Bird im „Vertrauen“, dass Dave eines „natürlichen Todes“ gestorben sei. Angeblich hatte er aber vorher Smitty seine Bike-Papiere zur „sicheren Aufbewahrung“ überlassen.
Bird und Carlos trafen sich mit Smitty in seinem „Heiligtum“, dem Inferno, zum Abendessen. Smitty brachte sein Pixie-ähnliches Weib Lydia und das Hells Angels Member Chef Boy Are Dee mit. Zufrieden, dass die Solos Mesa Bobs Segen hatten, sich in Bullhead City breitzumachen, gab er sein Okay zum Tragen der Kutte. Allerdings machte er ihnen eins unmissverständlich klar: Er mochte den Tod nicht, außer, wenn er ihn befahl!
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