Andererseits bin ich sicher, dass einige Leute genauso denken, wenn sie mich über paranormale Phänomene reden hören. Aber da gibt es einen feinen Unterschied: Ich behaupte nicht, dass alle Menschen an dasselbe glauben müssen wie ich. Moderne Religionen verdammen jeden, der nicht an sie glaubt, aber natürlich verdammen sie einen auch, wenn man das tut, je nach dem, für welche Art von Gott man sich entscheidet. Ich denke mal, das ist der Moment, an dem meine bekannte „Fickt euch doch alle“-Geste angebracht ist. Die geht ganz einfach: den Mittelfinger hochrecken, natürlich mit dem richtigen Schwung aus dem Handgelenk, und dabei ein kräftiges Furzgeräusch machen (Tipp für die Uneingeweihten: die Zunge zwischen die Lippen legen und einfach pusten). Ich weiß, ich habe schon angedeutet, dass die Gottesfürchtigen vielleicht sogar noch eher als die meisten anderen bereit wären, auf meinen Geisterzug aufzuspringen, aber sie haben dabei dieses komische, fanatische, verschwörungstheoretische Funkeln in den Hardliner-Augen, auf das ich gut verzichten kann. Für ein Völkerballspiel sucht man sich doch auch nicht die Schwächsten aus, sondern lieber ein paar Typen, die ein bisschen was aushalten.
Nur mal so zwischen uns Betschwestern – ich weiß und glaube daran, dass es genau auf den feinen Unterschied zwischen Wissen und Glauben ankommt, wenn ihr diese Worte einmal kurz auf euch wirken lassen wollt. Ich weiß, dass die Dinge, die ich gesehen habe, echt waren. Ich kann mich mit der Genauigkeit eines Historikers an diese Ereignisse erinnern. Wenn ich die Augen schließe, dann weiß ich noch, in welchem Raum ich mich befand, welche Klamotten ich trug (oder gerade ausgezogen hatte), ich erinnere mich an meinen Gesichtsausdruck und an das kühle Prickeln, das mir den Rücken hinunter lief. Angst kann ein großer Erinnerungsverstärker sein. Aber das ist genau der Punkt: Wissen und Glauben sind so unterschiedlich, dass man geradezu von Gegensätzen sprechen könnte, die sich gegenseitig abstoßen wie magnetische Pole. Wer etwas weiß, der hat schon einmal die Erfahrung gemacht, wie er mithilfe strukturierter Erklärungen eine stärkere Akzeptanzbasis aufbauen kann; wer lediglich glaubt, mag eines Tages feststellen, dass er in einem Haus lebt, das es nie gegeben hat, oder in einer Situation, in der sich die Zellophanwände unter dem warmen Regen aus Wahrheit und Fakten plötzlich auflösen.
Religiöse Eiferer halten an ihrem Glauben ohne Beweise oder tiefere Erkenntnisse fest. Schlimmer noch, ihr Verhalten gegenüber anderen wird ihnen durch ihr heiliges Buch vorgegeben, einen Wälzer, der weit älter ist als die meisten Verhaltensrichtlinien, an die wir uns sonst in diesen Zeiten gebunden fühlen. Das betrifft nicht nur die Christen, obwohl sie es sind, mit denen ich bisher am meisten zu tun hatte. Fromme Moslems behandeln Frauen bestenfalls als Bürger zweiter Klasse und schlimmstenfalls als Fußabtreter. Tatsächlich sind die meisten Religionen ausgesprochen muttermörderisch. Frauen werden herabgesetzt und zu Statistenrollen verdammt, damit die „Männer“, die das Sagen haben, allen Ruhm einheimsen und das entsprechende Ansehen genießen. In den Kulturen, in denen die Trennung zwischen den Geschlechtern besonders stark ist, werden Frauen bestraft und oft sogar ermordet, weil sie irgendwelche unglaublichen Dinge tun und ungefragt ihre Meinung sagen. Wenn das ein Beispiel dafür ist, was Religion zu leisten imstande ist, dann würde ich lieber meine eigene ungläubige Tea-Party veranstalten, schönen Dank auch.
An dieser Stelle weise ich noch einmal darauf hin, dass dieses Buch dazu dienen soll, Diskussionen anzuregen. In meinem letzten Werk ging es um die Sünde. Dieses hier beschäftigt sich unter anderem mit dem Tod und all dem, was vielleicht darauf folgen mag. Ich hatte einmal ein spannendes Gespräch mit einem guten Freund, der zum einen ein totaler Comic-Freak ist, aber gleichzeitig auch ein frommer Katholik. Wir gönnten uns einen Nachmittagskaffee und sprachen dabei über unsere Einstellungen zu Themen wie dem Paranormalen. Er wollte mir erklären, dass er zwar absolut an Geister glaubte und schon einige seltsame Phänomene gesehen hatte, aber völlig davon überzeugt war, dass es sich bei den meisten Erscheinungen um Leute handelte, die im Leben schwer gesündigt und sich nicht an religiöse Gebote gehalten hatten, und die nun dazu verdammt waren, durch die Welt zu geistern, bis ihnen ihre Sünden vergeben würden. Ich runzelte die Stirn, weil das gleich mehrere Fragen aufwarf, wollte aber erst einmal im Vorfeld ein paar Dinge klären: „Du meinst also, die Erde sei eine Art Gefängnis für jene, die keine Reue zeigen?“
„Genau“, bestätigte mein Freund, den wir hier einmal Carl nennen wollen.
„Aber ist das für dich als Katholik kein Widerspruch zu der ganzen Fegefeuer-Kulisse?“
Er dachte kurz darüber nach, dann erwiderte er: „Nicht unbedingt, wenn du davon ausgehst, dass die kurzen Sichtungen, die wir von diesen Geistern haben, vielleicht nur dort zustande kommen, wo das Fegefeuer besonders dünne Wände hat. Letztlich handelt es sich dabei ja nur um eine temporäre Hölle – diese Seelen werden am Ende auch in den Himmel kommen. Die Geister, die wir auf der Erde antreffen, sind vielleicht diejenigen, die nicht anerkennen wollen, dass sie tot sind. Sobald sie das tun, kommen sie in die Hölle.“ Er lächelte und trank seinen Kaffee.
Ich starrte ihn nur an.
Schließlich blinzelte er und fragte: „Was denn?“
Nach kurzem Zögern platzte ich heraus: „Das kannst du doch nicht wirklich glauben. Willst du mich verarschen?“
„Wieso, was stört dich denn an dieser Erklärung?“
„Verdammt, wo soll ich denn da anfangen? Was ist mit den Geistern von Kindern? Was ist mit den Seelen wirklich anständiger Leute? Die können doch nicht alle Sünder sein, die nur darauf warten, dass ihnen einer sagt, sie seien tot, damit sie dann in die Hölle kommen?“
„Wieso geht dir das so gegen den Strich?“
„Was glaubst du, wann hatte ein Sechsjähriger wohl die Zeit, etwas zu tun, für das er im Höllenfeuer schmoren sollte?“
Carl tat nun etwas, das ich zuvor bei ihm noch nie erlebt hatte: Er setzte die Miene eines Wissenden auf, dem die Ahnungslosen wirklich leid taten und schenkte mir ein überlegenes Lächeln, für das ich ihm am liebsten gleich eine reingehauen hätte. „Die Menschen sündigen, egal in welchem Alter.“
Das sollte wohl ein Witz sein … „Du weißt ja wohl, dass ich nicht an die Hölle glaube.“
„C. T., nur, weil du nicht daran glaubst, heißt das ja nicht, dass es nicht stimmt.“
„Oh, und wo liegt dann diese Hölle – direkt unter der Erdoberfläche oder erst knapp über dem Magma?“
„Das ist nicht lustig.“
„Das war auch nicht lustig gemeint! Und lass uns mal nicht übersehen, dass du dir gerade selbst widersprochen hast. Wie kann es sein, dass diesen angeblich ‚ahnungslosen Toten‘ ihre Sünden vergeben werden, und dann kommen sie trotzdem noch in die Hölle? Gehört das mit der Vergebung nicht irgendwie zu dieser ganzen Geschenktüte mit dem Himmelreich?“
Carl verabschiedete sich.
Anschließend sprachen wir eine Zeitlang nicht mehr miteinander.
Glücklicherweise habe ich noch ein paar andere Freunde, deren Knöchel nicht so fest in Christus’ Fußfesseln stecken. Aber komischerweise finde ich viele der Dinge, die Jesus angeblich predigte, gar nicht mal so fürchterlich (jawohl, ich bin auch noch einer von diesen Typen, die nicht hundertprozentig davon überzeugt sind, dass es den Nazarener wirklich gegeben hat). Mir gefällt diese Sache mit der anderen Wange, die man hinhalten soll. Und dass den Sanftmütigen das Himmelreich gehören soll, finde ich klasse. Der ganze Teil mit den Wundern ist auch große Klasse, das mit den Broten und Fischen und mit dem Wasser und dem Wein. Wobei mich diese letzte Geschichte dazu bringt, hier und da ein paar Verbindungen zu ziehen. Ich nenne das die „Wunder-Hypothese“: Es gibt die Geschichte mit dem Übers-Wasser-Gehen, und dann gibt es die Wasser-zu-Wein-Nummer. Beide haben eine deutliche Parallele, denn, wenn man mal genau überlegt, dann benutzten die Leute doch früher (und teilweise heute auch noch) ihre Füße, um die Trauben zu zertreten und Wein zu keltern, nicht wahr? Na ja, und wir wissen doch alle, dass niemand wirklich übers Wasser gehen kann, es sei denn, dass rein zufällig direkt unter der Wasseroberfläche ein sehr langer Steg versunken ist. Aaalso … vielleicht hat Jesus bei einer Party Wein gemacht, und es waren ein paar Leute dabei, die zuvor noch nie gesehen hatten, wie so was geht. Und als dann mehrere Personen dieselbe Geschichte weitererzählten, wurden irgendwann zwei daraus: Das Wasser zu Wein machen (oder vielmehr, zu Traubensaft, denn zum Fermentieren hätte die Zeit wohl nicht gereicht) und das übers-Wasser-gehen (weil diese verwirrten Unwissenden davon ausgingen, dass es sich bei der Flüssigkeit um Wasser handelte, bevor man ihnen die Sache erklärte). Ist das zu weit hergeholt? Na klar, ganz sicher. Aber darum geht es doch bei Religion im Allgemeinen und in der Bibel im Besonderen. Da werden aus Geschichten Schriften, und Hunderte von Jahren später in Amerika, dem Land der Leichtgläubigen, werden aus Schriften „Fakten“. Rekapitulieren wir noch mal: Es ist möglich, dass eine Person namens Jesus Trauben zertrampelte, um Wein zu machen, ein paar Leute sahen das, und dank einer altertümlichen Version des guten alten Spiels Stille Post wurden aus der Geschichte eines Mannes, der Getränke für einen lustigen Abend zubereiten wollte, zwei Wunder, die schließlich den Eindruck erweckten, als hätten sie nicht miteinander zu tun.
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