Alles lief soweit gut im Camp, doch ich hatte erst die Hälfte der Saison hinter mich gebracht, als ich allmählich Heimweh bekam. Ich hatte ja bisher immer bei meinen Eltern gewohnt und war zur Schule gegangen. Jetzt arbeitete ich auf einmal, war Sänger und Entertainer für Kids. Und das alles hatte sich innerhalb weniger Wochen vollzogen. Nun begriff ich allmählich, was für Folgen das für mich hatte. Nach außen hin sah es so aus, als hätte ich gar nicht glücklicher sein können. Doch in meinem Innern sehnte ich mich, wieder zu Hause zu sein, zumindest für einige Zeit.
Ich bekam jede Woche einen Tag frei und begann, an diesen Tagen nach Hause zu fahren. Es war eine lange Reise bis Woking, aber sie lohnte sich. Ich konnte einfach mal wieder mit meiner Mum, meinem Dad und meinen Freunden zusammen sein – wenn auch nur für ein paar Stunden. Ich fuhr gewöhnlich am Sonntag um 18 Uhr los und war am Tag darauf abends um sechs wieder im Camp. Mein erster Besuch zu Hause war einer der denkwürdigeren Art. Bis dahin hatte ich noch nie eine Zigarette geraucht und noch nie Alkohol getrunken. Doch als ich zum ersten Mal nach Hause fuhr, tat ich beides. Ich hatte eine Packung Glimmstengel in der Hand und ein paar Shilling in der Tasche, und als ich ankam, fragte ich meinen Vater, ob er Lust hätte, mit mir einen trinken zu gehen. Ich trug einen Porkpie-Hut, weiß der Geier, wo ich den aufgetrieben hatte, und hatte mich in einen richtigen kleinen Scheißer verwandelt.
Im Sunshine-Camp lernte ich auch zwei hübsche Zwillingsmädchen mit rabenschwarzen, aufgetürmten Haaren namens Jean und Gloria Harrison kennen – auf der Bühne nannten sie sich einfach Jean & Gloria. Sie waren 17, was einem 15-Jährigen unglaublich viel älter vorkommt, sehr sexy und, wie mir damals schien, schon sehr vernünftig und erfahren. Sie sangen und tanzten und hatten Songs im Programm wie „Jeepers Creepers, Where’d You Get Those Peepers“. Wenn sie „Won’t You Charleston With Me“ darboten, traten sie in neckischen Kostümen aus den zwanziger Jahren auf, in denen sehr viel Bein gezeigt wurde.
Es war wohl nicht weiter überraschend, dass ich beide auf Anhieb mochte. Das ging soweit, dass wir am Ende permanent zusammen herumhingen. Ich fand beide super, aber es war irgendwie komisch, mit zwei Tussen unterwegs zu sein, die haargenau gleich aussahen. Als ich sie besser kannte, konnte ich sie gut auseinanderhalten, aber wenn man sie zum ersten Mal sah, hatte man den Eindruck, man stünde zwei absolut identischen Puppen gegenüber.
Ein anderer Typ, der auch im Camp arbeitete und mit dem ich mich anfreundete, hieß David Giles. Er war es, der vorschlug, dass ich und die Mädels gemeinsam eine eigene kleine Show auf die Beine stellen sollten – mit Sachen wie „Island Of Dreams“ von den Springfields und „Doo Wah Diddy“ von Manfred Mann. David hatte uns proben gehört, als wir dreistimmig sangen und ich dazu auf der Gitarre schrammelte, und meinte: „Ihr drei gebt ein gutes Trio ab. Warum tretet ihr nicht mal in der Bar auf, um zu gucken, wie das Publikum reagiert?“
Und so dachten wir uns zusammen mit David einen Bühnen-Act aus, den wir Homespun nannten. Beim ersten Mal spielten wir einfach nur zwei oder drei Nummern, aber das kam so gut an, dass wir weitermachten. Das ging lawinenartig weiter und wir begannen, regelmäßig an ein paar Abenden in der Woche ein Homespun-Set darzubieten, was uns viel besser gefiel als das, was jeder für sich machte. Wir überlegten ernsthaft, ob wir nicht nur noch zusammen auftreten sollten, und hatten auch schon bald einen Namen für unseren Act – The Highlights.
Wir wollten Kontraste setzen: Die beiden Mädchen sahen umwerfend aus in ihren knappen Kostümen und mit den dunklen Haaren, und links von ihnen stand ich mit meinen blonden Haaren. Um das Bild zu vervollständigen, behauptete ich, ihr Bruder zu sein. Wir orientierten uns dabei an den Springfields, bei denen es zwei echte Geschwister gab, Don und Dusty O’Brien, und einen weiteren „Bruder“, Tim Field. Ich nahm sogar einen neuen Bühnennamen an: Ricky Harrison. Außer meiner Mum und meinem Dad hatte mich noch nie irgendjemand Ricky gerufen. Selbst in der Schule hieß ich immer Richard. Aber die Zwillinge nannten mich von Anfang an Ricky, und das kam mir wie ein Zeichen vor, dass nun ein neues und aufregenderes Leben beginnen sollte – als Profi-Entertainer. Den Namen „Parfitt“ hatte ich als Bühnennamen sowieso gehasst, denn als Wortspiel konntest du „Fart“ (Pups) daraus machen, und so was war mir als Teenager echt nicht egal. Ricky Harrison von den Highlights klang viel cooler. Und dieser Name haftete mir an, bis ich bei Status Quo einstieg.
Sobald die Sommer-Saison vorüber war und wir alle das Camp verlassen hatten, wollte ich zu den Zwillingen ziehen und mit ihnen und ihrer Familie in Plumstead, Kent, zusammenleben, da der Vater von Jean und Gloria, Sid, viele Leute im Showbusiness kannte. Leider waren mein Dad und sein Händchen in Bezug auf mein Weiterkommen damit nicht mehr gefragt. Bis dahin war er derjenige gewesen, der meine Karriere vorantrieb, aber jetzt übernahm das ein anderer, und das traf ihn hart. Aber wir setzten uns zusammen und redeten darüber. Es war definitiv die schlimmste Aufgabe, die ich bis dahin jemals zu erfüllen hatte, aber letztlich akzeptierte er, dass es für mich das Beste sein würde. Zunächst einmal war es einfach sinnvoller, wenn wir drei zusammen wohnten, weil die beiden mich sonst immer hätten abholen müssen. Außerdem hatten sie ein viel größeres Haus als wir, in dem es auch für mich reichlich Platz gab. Hinzu kam, dass Sid ein eigenes Geschäft hatte – er besaß einen Schuhladen in der High Street in Plumstead – und sich seine Zeit somit frei einteilen und sich um uns kümmern konnte. Er fuhr einen Rover mit Dreilitermotor und kaufte sich bald darauf einen Mark 10 Jaguar. Und in diesen wunderschönen Autos fuhr er uns zu den Gigs. Ich fand das großartig und wertete es als ein weiteres Zeichen für meinen Erfolg als Berufsentertainer.
Sid kannte einen Agenten in London, Joe Cohen, der überall im Land und für die unterschiedlichsten Auftrittsorte Künstler buchte. Sid war überzeugt, dass Joe der richtige Mann war, um uns in unserer neuen Verpackung als Highlights voranzubringen. Und da sollte er Recht behalten. Wir tourten schließlich durch ganz Großbritannien und traten im Opera House in Belfast oder dem Floral Pavilion in Brighton auf, eben überall an der Küste, wo es eine Bühne gab. Zudem hatten wir ein paar Auftritte im Ausland, in Italien und Frankreich, wo wir meistens in Militärbasen der USA spielten.
Wir legten gewöhnlich los mit „Whole Lotta Shakin’ Going On“ und ließen dann zwei, drei ähnliche Nummern folgen. Anschließend gingen die Zwillinge kurz von der Bühne, um sich ihre Charleston-Kostüme überzustreifen, und ich hatte die Gelegenheit, einen Song solo darzubieten, was dann immer „Baby Face“ war. Im Allgemeinen wurde das immer mit sehr viel Begeisterung aufgenommen, insbesondere von den Mamis und Omas. Einmal waren wir aber für einen Marinestützpunkt in Neapel gebucht, und ich musste mein „Baby Face“ plötzlich vor 400 amerikanischen Matrosen vortragen, die mit versteinerten Mienen dastanden. Hoppla!
Unterdessen hatte ich mich ernsthaft in Jean verknallt. Anfangs, als die beiden für mich noch total gleich aussahen, hatte ich noch Gloria favorisiert, als ich die zwei aber besser kennen lernte, schwenkte ich über zu Jean, in die ich mich schließlich Hals über Kopf verliebte. Und damit hatte ich ein Problem – weil Jean meine Gefühle nicht erwiderte. Wir unternahmen ein paar Anläufe, um zusammenzukommen, aber es endete immer in einem totalen Desaster, und am Ende war ich richtig krank vor Eifersucht. Sie und Gloria hatten in der Zeit, in der wir gemeinsam auftraten, des Öfteren mal Freunde, mit denen sie kurz liiert waren, aber nie lange. Sie waren eben beide sehr attraktiv und viele Jungs fanden sie toll, und so hatte ich manchmal die totale Krise, wenn Jean wieder mal mit irgendeinem blöden Macker ausging. Ich war so aufgebracht, dass ich sogar ein paar Hotelzimmer kurz und klein schlug. Das war lange, bevor man über ein derartiges Verhalten nachsichtig hinwegsah und es einfach als einen Teil des Rock’n’Roll erachtete. Und so bekam ich einen ordentlichen Anschiss von Sid.
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