Das ging ein paar Jahre so, bis eines Abends ein Typ meinen Dad fragte, ob ich schon 15 sei. Ich war damals erst 14, und so sagte mein Vater: „Noch nicht, aber bald. Warum?“ Der Typ hieß Gordon Mitchell und stellte sich augenzwinkernd als „the Mayor of Hayling Island“ vor. Er leitete das Sunshine Holiday Camp, eine etwas kleinere Ausgabe des Ferienclubs Butlin’s, und sprach mit breitem Akzent wie die Leute im Norden Englands. Gordon Mitchell hatte auch deren typische direkte Art, und so redete er nicht lange um den Brei herum: „Ich möchte wissen, wie alt er ist, weil ich diesen Jungen gerne für eine Sommer-Saison in meinem Ferien-Camp verpflichten würde. Wann ist er mit der Schule fertig?“
Man konnte damals frühestens mit 15 die Schule verlassen und einen Fulltime-Job annehmen. Und wie es das Schicksal wollte, war es gar nicht mehr so lange hin bis zu meinem 15. Geburtstag, sodass Gordon meinte: „Gut, denn ich würde ihn gerne anheuern!“ Und das war’s dann, ich hatte meinen ersten richtigen Job im Showgeschäft: Singen und Gitarre spielen im Sunshine Holiday Camp auf Hayling Island. Dad handelte mit Gordon die genauen Details aus. Abends musste ich auf einem Hocker in der Bar sitzen, singen und Gitarre spielen, und tagsüber bei all den anderen Unterhaltungsprogrammen und Aktivitäten aushelfen. Im Butlin’s wäre ich damit so etwas wie ein Redcoat gewesen. Aber wir waren im Sunshine und trugen gelbe Jacken, und so hießen wir die Canaries.
Es war mein erster Job und ich war total aus dem Häuschen vor Freude. Endlich konnte ich der blöden Schule den Stinkefinger zeigen! Als ich erfuhr, dass ich definitiv einen Job hatte, ließ ich die Hälfte des Unterrichts einfach ausfallen, und die letzten Monate, die ich noch in der Schule ausharren musste, vergingen entsetzlich langsam. Ich kam ständig mit neuen Ausreden an, wie zum Beispiel, dass ich meinen Finger untersuchen lassen musste, den ich mir einst in Harlow im Gartentor eingequetscht hatte. Das war der perfekte Entschuldigungsgrund. Ich schnappte mir aus unserem Apothekenschränkchen zu Hause ein bisschen Verbandszeug und band es mir um den Finger, bevor ich zur Schule ging. Ich tat alles, um nicht am Mathematikunterricht teilnehmen zu müssen.
Ich dachte nur noch an meinen neuen Job, den ich mir wie einen langen bezahlten Urlaub vorstellte. Mein Lohn bestand aus fünf Pfund die Woche. Zuerst hatte mir Gordon zehn Pfund geboten, aber dieses Angebot wurde von meinem Vater abgelehnt: „Wir wollen nicht, dass der Junge verwöhnt wird.“ Und so lief die Sache für einen Fünfer. (Das war echt rührend von dir, Dad!) Nach Abzug der Steuern blieben mir jede Woche gerade mal 4 Pfund, 16 Shilling und 4 Penny und freie Kost und Logis.
Aus meinen früheren Ferienaufenthalten im Butlin’s wusste ich ein bisschen, wie es in Ferien-Camps zuging, doch ich merkte schnell, dass das Sunshine-Camp nicht das gleiche Format hatte wie das Butlin’s. Es war ein sehr altmodisches kleines Ferienlager wie in den alten, schwarzweiß gedrehten Carry On-Filmen. Ich war vorher noch nie im Leben in Hayling Island gewesen und kannte keine Menschenseele dort, aber ich war zu gespannt auf alles, um mir deswegen einen Kopf zu machen. Dass ich zu Hause eine Menge Annehmlichkeiten gehabt hatte, von denen ich dort nur träumen konnte, kam mir erst in den Sinn, als ich wirklich vor Ort war und merkte, dass das nun ein völlig anderes Leben sein würde, eher das Leben eines Erwachsenen.
Ich bekam meine offizielle Canary-Uniform: gelbe Jacke, gelber Pullunder, weiße Hose und weiße Schuhe. Ich fühlte mich wirklich wie einer von ihnen. Mein Schlafplatz befand sich in einer Wohnung direkt über der Bar, in der ich abends spielte, in einer von mehreren kleinen Einzimmerparzellen, die sie Treetops nannten und wo alle Canaries schliefen. Jeden Morgen wurde man um sieben geweckt, die Camper ebenso wie die Canaries, indem immer wieder der gleiche blöde Song gespielt wurde, „Island In The Sun“ von Harry Belafonte. Das gesamte Camp wurde damit beschallt. Ich fing schon bald an, das Stück zu hassen. Die Canaries mussten dann bereits alle aufgestanden sein, sich angezogen haben und in smartem Outfit unten am Eingang zum Frühstücksraum warten, um die Camper zu begrüßen. Dann musste man sich mit ihnen an einen Tisch setzen, freundlich lächeln und mit ihnen tratschen bis das Frühstück vorbei war. So früh am Morgen schon so nett sein zu müssen, konnte bisweilen ziemlich nervig sein, besonders wenn es am Abend zuvor spät geworden war – wie fast immer.
Im Allgemeinen mochte ich aber den Job. Ich half beim Sport aus und bei den Aktivitäten, die für die kleineren Kinder angeboten wurden. Ich verkleidete mich gewöhnlich als Pirat. Die Kids hockten da und bekamen eine Geschichte erzählt. Dann sprang ich plötzlich von irgendwoher hervor im Aufzug von Captain Thunder. Ich hatte die ganze Ausrüstung – Piratenhut, Augenbinde, einen schwarzangemalten Zahn, das ganze Zeug. Am Ende jagten sie mich immer über die Sanddünen. Manchmal musste ich mich fangen lassen, und dann drangsalierten mich die kleinen Bastarde – einige von ihnen waren gar nicht so viel jünger als ich – mit ihren Plastikbuschmessern solange, bis ich mir vor Angst schier in die Hose machte. Dann zwangen sie mich, über die Planke zu gehen, was bedeutete, dass sie mich zu einem der Sprungbretter am Swimming-Pool zerrten. Und dann war das Spiel gewöhnlich aus, Gott sei Dank.
Ich habe das aber genossen. Ich kam so gut klar mit den Kids, dass sie mich zum Children’s Uncle kürten, was bedeutete, dass ich quasi der Chef-Entertainer für die Kids war. Es war eigenartig. Da waren Kinder darunter, die praktisch in meinem Alter waren und mich Uncle Ricky nannten, woran ich mich erst einmal gewöhnen musste. Doch es war eine wundervolle, alles umfassende Grundausbildung für eine Laufbahn im Showgeschäft und ich möchte heute keine Minute davon missen. Ich war immer noch abenteuerlustig, und so gab es nichts, was ich nicht ausprobieren wollte.
3. Abs., 4. Z.v.u.: In so einem Ferien-Camp wurde auch immer viel Wert auf Kameradschaft gelegt. Einfach ein bisschen herumlaufen, mit den Campern quatschen, gut drauf sein und ein paar Witze reißen, sogar das war eine gute Übung für das, was später kam.
Samstagabends gab es immer eine große Show in der Festhalle. Man hatte gewöhnlich 300 Leute vor sich, die alle geil darauf waren, Spaß zu haben. Wir stellten eine bunte Show auf die Beine. Alle, die in der vergangenen Woche aufgetreten waren, kamen nacheinander an die Reihe. Ich trug in der Show immer eine blaue Lamee-Jacke, die den Samstagabenden vorbehalten war, weil sie im Scheinwerferlicht glitzerte. Ich hatte auch eine spezielle schwarze Hose mit einem purpurnen Streifen an der Seite, ein frisch gebügeltes weißes Hemd und eine schwarze Fliege. Wenn ich in der Umkleide in den Spiegel sah, bevor ich auf die Bühne ging, war ich stets stolz, weil mir da ein Entertainer entgegenblickte – und das war genau das, was ich damals sein wollte. Mit Hilfe einer Handvoll Brylcreem bekam ich auch noch eine blonde Haartolle hin. Und ich hatte vor Ferienbeginn auch noch eine neue Gitarre bekommen – eine blonde Höfner, genau wie die von Bert Weedon, mit einem Perlmuttbesatz. Ich sah echt aus wie ein Profi und sang gewöhnlich zwei Songs, „Baby Face“ und ein Stück von den Four Pennies mit dem Titel „I Think Of You“. Das Publikum flippte richtig aus. Das war ein wunderbares Gefühl. Nie zuvor hatte ich so etwas erlebt.
Bei den Shows an den Samstagabenden gab es auch immer Gäste, die als Headliner auftraten. Das war toll für mich, denn so konnte ich mir ein paar Acts, die ich nur vom Hörensagen kannte, aus nächster Nähe anschauen. Die beste Zeit hatten wir, wenn Flanagan & Allen dran waren. Für die Zugabe ging unser gesamtes Ensemble mit auf die Bühne, und am liebsten erinnere ich mich daran, wie ich direkt neben Bud Flanagan stand, während er in seinem Pelzmantel und einem Hut auf dem Kopf „Strolling“ sang, was damals ihre große Nummer war. Alles Routine für den alten Hasen Flanagan. Phantastisch!
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