Um es gleich vorweg zu sagen, Gitarre spielen war einfach ein Hobby. Etwas für Regentage, wenn ich nicht mit meinen Kumpels rausgehen und irgendeinen Unsinn anrichten konnte. Doch bis zu meinem zwölften Lebensjahr hatte ich mir bereits ein kleines Repertoire an Songs angeeignet, die ich auf der Gitarre spielen konnte – „Baby Face“ und „Living Doll“. Ich wusste immer noch nicht, wie man sie richtig stimmte, und ich erinnere mich, dass ich unglaubliche Schwierigkeiten hatte, meine Finger zurechtzubiegen, damit ich die Akkorde greifen konnte. Doch aus irgendeinem Grund konnte ich immer Melodien heraushören und die Songs dann lernen. Ich hatte schon sehr früh ein Ohr dafür, und das schon zu einem Zeitpunkt, als meine Hände noch gar nicht mitkamen – ein Talent, das ich vermutlich von meiner Mum geerbt habe, die Klavier gespielt hat.
Ohne meinen Vater hätte ich die Sache aber nicht groß weiterverfolgt, sondern nur die Familie ein bisschen unterhalten. Meine Mutter war eine wunderbare Frau, vom Kopf her wie vom Herzen, und sie hat mich eigentlich auch großgezogen, aber dass aus mir ein professioneller Musiker wurde, habe ich zweifellos meinem Vater zu verdanken. Er trieb mich stets an, aus allem, was ich gut konnte, etwas zu machen, damit daraus mehr würde als nur ein wunderschönes Hobby. Er wollte wirklich, dass ich mich reinhängte.
Meine zweite Gitarre war auch wieder eine Framus. Diesmal war sie aber rot-schwarz, auf Hochglanz poliert, und hatte einen Weichschalenkoffer. Jeden Samstagabend gingen meine Eltern und ich zusammen in den Working Men’s Club und mein Dad sagte immer, ich solle doch meine Gitarre mitnehmen. Ich wollte nie, aber er meinte: „Leg sie doch einfach in den Kofferraum, für den Fall, dass du deine Meinung änderst.“ Als wir eines Tages dort waren und mein Dad ein paar Drinks zu viel hatte, forderte er mich auf, die Gitarre zu holen. Und bevor ich wusste, wie mir geschah, stand ich da und sang und spielte „Baby Face“. Das war mein erster richtiger Auftritt vor Publikum.
Als in dem Club eines Abends ein Talentwettbewerb veranstaltet wurde, sorgte mein Dad dafür, dass ich daran teilnahm. Ich war sehr nervös und besorgt, doch als ich erst einmal auf der Bühne stand und mein „Baby Face“ hinlegte, wie ich es ja schon so viele Male vor meinem Vater und seinen Freunden getan hatte, wurde ich allmählich ruhiger und es machte mir richtig Spaß. Und das Beste war, dass ich den Wettbewerb gewann. Als Preis gab es einen Scheck über fünf Pfund. Ich war erst zwölf, aber ich fühlte mich wie ein Millionär. Ich konnte nicht glauben, dass ich dieses Geld nur damit verdient hatte, dass ich sang und Gitarre spielte. Nicht dass ich davon etwas zu sehen bekommen hätte. Mein Vater nahm den Scheck an sich und schmiss damit eine Lokalrunde nach der anderen. Was mir aber nichts ausmachte: das Geld war toll, aber was mir wirklich einen Kick gab, war die Tatsache, dass ich gewonnen hatte.
Ungefähr zu jener Zeit meldeten mich meine Eltern auch bei einem Talentwettbewerb in Butlin’s Feriencamp in Cliftonville an. Meine Oma war immer sehr gern ins Butlin’s gegangen, und wir übernachteten dort, wo sie immer übernachtet hatte, im Queen’s Hotel. Es existiert leider nicht mehr, aber es kam mir damals wie eine Märcheninsel vor, auf der ausgestopfte Papageien über dem Pool hingen. Als ich den ersten Durchgang des Wettbewerbs gewann, vervollständigte sich das Bild, das ich von diesem traumhaften Ort hatte, an dem Wünsche in Erfüllung gehen konnten. Der Preis für den Gewinner war diesmal ein Urlaub für zwei Personen in der Zeit, wenn das große Finale stattfand. Ich machte das zwei Jahre lang und gewann zweimal, sodass wir jedes Mal kostenlos Urlaub machen konnten.
Bei den Grand Finals war ich auch nicht schlecht. Ich wurde in beiden Jahren Zweiter. Beide Male wurde mir der erste Platz von einem Burschen strittig gemacht, der am Klavier saß und sang, ein gutaussehender Knabe, der immer den gleichen Song zum Besten gab. Ich habe ihn noch immer in den Ohren: „If you could buy all the stars in the sky then you could buy Killarney …“ Ich muss zugeben, er hat auch mich mit seinem Kummerbund und seiner Fliege beeindruckt. Und ich denke mal, ich gab mich taktvoll geschlagen.
Bis dahin war es völlig wurscht gewesen, ob ich gewann oder nicht. Tief in meinem Innersten wusste ich, dass ich Gitarre spielen und singen wollte. Was zur Folge hatte, dass ich in der Schule ein bisschen nachließ, weil es mir einfach nicht mehr so wichtig war. Ich wusste, dass das, was ich da lernte, in meinem Leben, wenn ich erst einmal die Schule beendet hatte, keine tragende Rolle spielen würde. Und meine Eltern setzten mich auch nicht unter Druck, meine Meinung zu ändern. Irgendwie waren wir einfach alle überzeugt, dass ich mal im Showgeschäft landen würde, auch wenn wir nicht unbedingt ahnten, dass ich einmal berühmt werden würde.
Im Anschluss an meine diversen Erfolgserlebnisse bei Talentwettbewerben trat ich gelegentlich im Londoner Nuffield Centre auf, einem Varieté-Club der Streitkräfte, wo ich ein paar echt komische Typen aus dem Theatermilieu kennen lernte, die einer Welt angehörten, die mich sehr faszinierte. Also versuchte ich, mir einen professionelleren Anstrich zu geben, und dachte mir einen neuen Look aus: ich band mir eine Seidenkrawatte um, was damals ein Knüller war, zog eine schwarzweißkarierte Hose an und drapierte kunstvoll meine Haare. Ich verbrachte den halben Tag damit, in den Spiegel zu schauen, um meine Frisur noch mehr zu perfektionieren.
Einer, der mir damals sehr geholfen hat, war Johnny, ein Komödiant, mit dem sich mein Vater ein bisschen angefreundet hatte. Im Umfeld des Working Men’s Club war Johnny sehr bekannt, und mit seiner Hilfe schaffte es mein Vater, dass ich ein paar kurze Auftritte in den anderen Clubs außerhalb von Woking absolvieren konnte, in denen auch Johnny Vorstellungen. Man buchte dort Johnny, und er erlaubte mir dann, auf die Bühne zu kommen und eine kleine Einlage zu geben, mit der seine Show eröffnet wurde.
Später fand ich heraus, dass es darüber hinaus noch ein weiteres Motiv gab, weshalb Johnny sich mir gegenüber so generös zeigte. Als wir eines Abends mal im Auto meines Vaters nach Hause fuhren, saß Johnny vorne auf dem Beifahrersitz, mein Vater fuhr, und ich saß auf dem Rücksitz. Plötzlich langte eine Hand vom Beifahrersitz aus um den Sitz herum nach hinten und fing an, an meinem Knie herumzufummeln. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, und so ließ ich ihn gewähren. Ich muss damals ungefähr zwölf gewesen sein und hatte noch keine Ahnung, dass es Homosexuelle und Heteros gab. Ich dachte nur, was soll das denn jetzt.
Es kam auch nie zu mehr, Gott sei Dank, und es wäre unfair, Johnnys Rolle im Nachhinein herabzusetzen. Ohne ihn würde ich heute vielleicht gar nicht hier sitzen und mein Leben in einem Buch niederschreiben. Johnny war Mitglied in einer Organisation, die sich MEA – Metropolitan Entertainers Association – nannte. Mit seiner Unterstützung konnten mein Vater und ich dort auch Mitglied werden, und so kam ich zu meiner ersten großen Urlaubspause von der Schule.
Die Büros lagen in der Goodge Street, im West End, und man traf sich in einem verrauchten Raum über einem Pub namens Feathers, direkt an der U-Bahnstation Goodge Street. Irgendwann wurde mein Vater Schatzmeister dort. Jeden Donnerstagabend kam man im Stockwerk über dem Feathers Pub zusammen und bequatschte, was im Showgeschäft gerade so los war. Unter den Mitgliedern befanden sich sowohl etablierte Kabarett-Künstler, Sänger und Schauspieler wie auch ein paar Möchtegern-Künstler wie ich, die versuchten, die Mitgliedschaft als Sprungbrett für ihre Karriere zu nutzen. Da kreuzten auch immer mal wieder Talentsucher und Konzertagenten auf, weswegen es sich allemal lohnte, dort irgendwie mitzumischen. Man erhielt die Chance, sich als Künstler mit seinem neuen Material zu präsentieren, was „Shop Window“ genannt wurde, und dabei konnten einen die Agenten und Typen, die die Gigs buchten, begutachten und einem ein bisschen Arbeit geben – oder auch nur ein paar gute Ratschläge. Es war ein riesiger Raum und man stand in der Mitte und hat sein Ding gemacht, während alle anderen zusahen, tranken und rauchten.
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