Zunächst interessierte sich Jimi vor allem für die damals gerade angesagten Popsongs. Oft spielte er mit Jimmy Williams. Williams sang, während Jimi ihn mit ein paar rohen Gitarrenakkorden begleitete. „Wir hatten ein paar Standards drauf“, erinnert sich Williams. „Viel von Frank Sinatra und Dean Martin. Jimmy hat sich echt angestrengt, den Rhythmus dieser Songs hinzubekommen. Er stand total auf Duane Eddy.“ Eddy, dessen Spezialität schneller Rockabilly war, wurde Jimis erster echter Gitarrenheld, und schon bald lernte er „Forty Miles Of Bad Road“, „Peter Gunn“ und „Because They’re Young“. Er schnappte so schnell Songs auf, lernte jeden Tag einen neuen dazu, dass ihn Jimmy Williams zum Spaß als „menschliche Jukebox“ bezeichnete. Wenn man ihn ein längeres Solo spielen ließ, dann spielte er sehr elaboriert, was nicht immer passte, nicht mal bei Duane Eddy. Dennoch war Rock ’n’ Roll nur eines von Jimis vielfältigen Interessen, und Williams erinnert sich, dass Jimis Lieblingssong in jenem Sommer Dean Martins „Memories Are Made Of This“ war.
Am 9. September 1959 kam Jimi in die zehnte Klasse der Garfield High School. Obwohl er bereits ein Jahr älter war, bedeutete die Highschool dennoch eine aufregende Veränderung. Die Garfield im Herzen des Central District war die fortschrittlichste Highschool in Seattle, was Integration anging, und darüber hinaus eine der besten Schulen der Stadt. Fünfzig Prozent der Schüler waren weiß, zwanzig Prozent asiatischer Herkunft, und dreißig Prozent waren schwarz. Die Schule war riesig: In dem Jahr, in dem Jimi dort anfing, waren eintausendsechshundertachtundachtzig Schüler angemeldet.
In seinem ersten Semester auf der Garfield kam Jimi an zwanzig Tagen zu spät, und seine Noten verbesserten sich nur unwesentlich. Im Unterricht blieb er so unbeteiligt, dass ihn einer der Lehrer als „Schüler, der kein Schüler ist“, bezeichnete. In erster Linie ging er zur Schule, weil er dort Jimmy, Pernell und seine anderen Freunde aus dem Viertel traf. Die meisten ihrer Unterhaltungen, die sie oft auch während des Unterrichts im hinteren Teil des Klassenraums führten, drehten sich um Musik. Im Speisesaal der Schule gab es eine Jukebox, und den Schülern war es gestattet, sie zu benutzen. Ununterbrochen gründeten die Schüler Bands oder sprachen davon, Bands zu gründen. Die meisten Bands im Viertel waren lockere Zusammenschlüsse mit wechselnder Besetzung, je nachdem, wer gerade an welchem Abend Zeit hatte. In der letzten Reihe wurde im Gemeinschaftskundeunterricht ausgehandelt, wer Bass spielen und welches Songs sich die nächste Band annehmen sollte.
Jimis erstes Konzert fand im Keller des De-Hirsch-Sinai-Tempels statt, einer Synagoge in Seattle. Jimi spielte mit einer Gruppe älterer Jungen, ein Auftritt, der als Vorspieltermin vor seiner Aufnahme in die damals noch namenlose Band dienen sollte. „Beim ersten Set zog Jimi sein Ding durch“, erinnert sich Carmen Goudy. „Er spielte das ganze wilde Zeug, und als die einzelnen Bandmitglieder vorgestellt wurden und das Scheinwerferlicht auf ihn fiel, spielte er noch wilder.“ Nach der Pause zwischen den Sets kehrte die Band ohne Jimi auf die Bühne zurück. Goudy fing an, sich Sorgen zu machen, dass ihm schlecht geworden sei. Jimi war vor dem Auftritt derart nervös gewesen, dass sie befürchtet hatte, er müsste sich übergeben. Nachdem sie ihn gesucht hatte, fand sie ihn in einer Gasse hinter dem Gebäude. Jimi wirkte so niedergeschlagen, als wolle er in Tränen ausbrechen. Er erzählte Carmen, dass er nach dem ersten Set gefeuert worden war – gefeuert aus seiner ersten Band am ersten Abend seiner Karriere als Profimusiker. Anstatt nach Hause zu gehen, saß er noch eine Stunde lang in der Seitengasse und sprach über den jämmerlichen Beginn seiner künftigen Laufbahn. Carmen deutete vorsichtig an, dass Jimi eventuell etwas konventioneller spielen solle. Jimi war beleidigt, auch von seiner Freundin wollte er so etwas nicht hören. „Das ist nicht mein Stil“, beharrte er, „das kommt nicht infrage.“ Carmen machte sich daraufhin Sorgen, ob Jimi als Musiker überhaupt vermittelbar sei.
Wenig später driftete die Beziehung zwischen Carmen und Jimi auseinander, obwohl es eigentlich gar keine Meinungsverschiedenheit zwischen ihnen gab. Andere Jungen hatten Carmen gefragt, ob sie mit ihnen gehen wolle, und sie fühlte sich zu ihnen hingezogen. „Ich mochte Jimi wirklich“, erinnert sie sich, „aber die älteren Jungs hatten Autos und Geld, um mich auszuführen.“ Carmens Verabredungen mit Jimi bestanden fast ausschließlich aus Spaziergängen im Park. Dabei kamen sie stets an einem Drive-in-Restaurant vorbei, wo sie anderen Pärchen dabei zusahen, wie diese aneinander gekuschelt auf dem Vordersitz eines Wagens Cola schlürften. „Ältere Jungs konnten mir einen Hamburger kaufen. Jimi hatte weder einen Wagen noch Geld, um mich einzuladen.“ Während der Highschoolzeit blieb sie mit ihm befreundet, aber seine saftigen Küsse waren schon bald nur noch Erinnerung.
* * *
Jimis erste erwähnenswerte Band waren die Velvetones, eine von dem Pianisten Robert Green und dem Tenorsaxofonisten Luther Rabb gegründete Gruppe. „Wir waren eigentlich nur ein paar Kids“, erinnert sich Luther. „Unsere Besetzung hat sich ständig geändert, aber dabei waren auch vier Gitarristen, zwei Pianisten, ein paar Bläser und ein Schlagzeuger. Das war zur Zeit der ‚Revuen‘, als zu jedem Auftritt auch eine Tanznummer gehörte. Wir mussten uns aufdonnern und uns Glitzer auf die Hosen kleben, damit alles funkelte.“
Die Velvetones waren keine formvollendete Band. „Die meisten unserer Stücke waren für Gitarre und Klavier und bestanden aus einer Mischung aus Jazz, Blues und R & B“, erinnert sich Pernell Alexander, der ebenfalls in der Gruppe Gitarre spielte. Zu einem typischen Set der Velvetones gehörte zum Beispiel ein Jazzklassiker wie „After Hours“, gefolgt von Duane-Eddy-Songs wie „Rebel Rouser“ und „Peter Gunn“. Bill Doggetts „Honky Tonk“, ein Instrumentalstück, wurde zu so etwas wie dem Markenzeichen der Band. „Das war Jimis Standardstück“, bemerkt Terry Johnson. Anfänglich war Jimi nicht der beste Gitarrist in der Band, aber er wurde von Tag zu Tag besser. Jimi hatte überdurchschnittlich lange Finger, ein rein körperlicher Vorteil, der es ihm erlaubte, den Hals zu umfassen und hohe Töne zu treffen, die anderen Musikern schwer fielen. Er war sich dessen bewusst und nutzte seinen Vorteil, wo er konnte, indem er einzelne Töne spielte, die nicht zur ursprünglichen Komposition gehörten. Da er noch nicht lange spielte, war das Ergebnis musikalisch oft nicht unbedingt beeindruckend, dennoch gelang es ihm, dadurch die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zu lenken. Zumindest fiel er auf.
Nach einem Vorspieltermin ergatterten die Velvetones einen ständigen Auftrittsort und spielten einmal pro Woche, an einem Werktag, im Birdland, dem legendären Club an der Ecke Madison Street und Zweiundzwanzigste Straße. Als dort arbeitender Musiker konnte Jimi nun vorbeikommen, wann immer er wollte, und sich andere Bands umsonst ansehen, was für ihn einen größeren Gewinn darstellte als die zwei Dollar, die er bei einem Auftritt mit der Band verdiente.
Bei einem jener Besuche überredete Jimi Dave Lewis, ihm die Bühne für Soloauftritte zu überlassen, wenn seine Band Pause machte. Mit diesen zehnminütigen Blitzshows bekam Jimi Gelegenheit, einige seiner Bühnentricks in einem Forum auszutesten, in dem für ihn nichts auf dem Spiel stand. Lewis erzählte später, Jimi habe das ältere, gepflegtere Publikum, das vor allem wegen Lewis gekommen war, regelmäßig schockiert: „Er spielte so wildes Zeug, aber die Leute konnten dazu nicht tanzen. Sie haben ihn einfach nur angestarrt.“
Zu den regelmäßigen Auftrittsorten der Velvetones gehörte das Yesler Terrace Neighborhood House am Freitagabend. Der Aufenthaltsraum eines sozialen Wohnblocks war kaum glamourös, und die Auftritte zahlten sich finanziell nicht aus, aber Jimi und seinen Bandkollegen war es so möglich, zu experimentieren. „Eigentlich waren das informelle Tanzpartys, ein paar Kids haben auch wirklich getanzt, meistens aber hat man nur vor anderen Musikern gespielt“, erinnert sich der Musiker John Horn. „Sie spielten R & B und ein bisschen Blues. Es machte damals schon ziemlich Spaß, Jimi zuzusehen – allein, dass er eine Rechtshändergitarre verkehrt herum spielte, war faszinierend.“
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