PAUL STANLEY: Lyn stand bei Paramount Records unter Vertrag, und ihre Musik war sehr sanft und entspannt, aber sie sah auch super aus. Jedes Mal, wenn sie ins Studio kam – egal, ob sie nun sang oder nur mal nach dem Rechten sah –, konnte ich nicht anders, als sie anzustarren.
LYN CHRISTOPHER: Es war das erste Mal, dass Gene und Paul dafür bezahlt wurden, auf einem Album zu singen. Sie waren genauso begeistert wie ich, auf einer Platte zu singen, die auf einem Major-Label erscheinen würde. Man merkte, dass es eine große Sache für sie war.
GENE SIMMONS: Als dieses Album rauskam, war es das erste Mal, dass wir auf einer echten Platte zu hören waren. In den Credits stehen wir als Gene Simmons und Paul Stanley. Es war eine tolle Erfahrung, an einer Platte beteiligt zu sein.
PAUL STANLEY: Wir sangen auch bei einer Aufnahmesession mit Tommy James. Der Song hieß „Celebration“. Ich erinnere mich, dass ich Tambourin spielte und sang. Zu der Zeit ging es im Studio gerade ziemlich ab. Tommy war als Koproduzent bei der Session dabei und arbeitete mit dem Tontechniker Ralph Moss, der auch beim Wicked-Lester-Album mithalf.
GENE SIMMONS: Wir waren auch bei Mr. Gee Whiz dabei. Es war sehr bizarre, eklektische Popmusik. Wenn ich zurückblicke, waren diese Sessions ein Spaß, aber das meiste verdankten wir dem Zufall. Was wir dafür gezahlt bekamen, war uns eigentlich egal. Wir hatten keine Ahnung, was die Gewerkschaften ausgehandelt hatten. Wenn ich mich richtig erinnere, bekam man damals für eine dreistündige Session so um die 90 Dollar. Wir lebten praktisch dort. Wir saugten die Electric Lady Studios förmlich auf. Für uns war es so etwas wie die harte Schule des Lebens. Eigentlich war es nicht wirklich „hart“, eher eine Art Feuertaufe. Wir kamen so mit Leuten zusammen, die wir sonst nur aus Magazinen oder dem Fernsehen kannten oder in großen Konzerthallen live gesehen hatten. Vor unseren Augen öffnete sich eine neue Welt, eine Welt, an der wir teilhaben wollten. Stephen Stills nahm im Studio auf, und er mochte meinen Fender-Bass. Er hatte einen Gibson-Tonabnehmer, der ihm eine bizarre Klarheit verlieh. Stephen zahlte mir schließlich 300 Dollar dafür. Er griff in die Tasche und zog einfach drei Hunderter heraus. So etwas hatte ich noch nicht gesehen. Ein weiterer Act dort waren Tonto’s Expanding Headband, die aus zwei Typen bestanden, Malcolm Cecil und Bob Margouleff. Sie spielten Synthiemusik, lange bevor es Rick Wakeman oder irgendwer sonst tat. Sie arbeiteten später viel mit Stevie Wonder.
Die Electric Lady Studios, an der Ecke 52nd West und 8th Street gelegen, waren offiziell im August 1970 eröffnet worden. Das Studio war vom Architekten und Akustiker John Storyk entworfen und ursprünglich für den legendären Jimi Hendrix gebaut worden. Im Laufe der Jahre machten viele Ikonen der Rockmusik in diesen heiligen Hallen Station. Eine kleine Auswahl: Led Zeppelin, die Rolling Stones, John Lennon, David Bowie, Bob Dylan, AC/DC, Rush und viele mehr machten Aufnahmen im Electric Lady …
GENE SIMMONS: Dort zu arbeiten war schon etwas eigenartig, weil sich das Studio im Kellergeschoss befand. Zum ersten Mal in unserem Leben wussten wir nicht, ob es Tag oder Nacht war. Beinahe wie bei einer Ameisenfarm – nichts war wichtig, außer die Ameisenkönigin zu füttern. Jeder wusste exakt, was er zu tun hatte – und zwar Musik zu machen. Es war ein Ort, an dem niemand von irgendwelchen Stars beeindruckt war. Es war einfach ein magischer Ort. Dort, an diesem Ort, den Jimi Hendrix hatte bauen lassen, gab es ein Wahnsinns-Artwork an den Wänden. Eines der Wandgemälde zeigte eine Art sexy Astronautin im Bikini, die ein Raumschiff steuerte. Paul und ich arbeiteten sowohl in Studio A als auch in Studio B. Wir nahmen dort die Platte mit Wicked Lester auf; KISS sollten später beide Studios benutzen.
PAUL STANLEY: Das Schöne an den Electric Lady Studios war, dass es dort kaum Uhren und keine Fenster gab. Also ging man nicht, bevor man fertig war – es sei denn, eine andere Session begann. Manchmal hast du dort buchstäblich rund um die Uhr bis zum nächsten Tag geschuftet, und dann musstest du raus, weil eine andere Band vor der Tür stand.
GENE SIMMONS: Paul und ich hingen ständig dort ab, auch dann, wenn wir gerade nicht am Wicked-Lester-Album bastelten. Wir relaxten, saßen auf dem Sofa, hörten zu und absorbierten einfach die Atmosphäre.
PAUL STANLEY: Es war eine großartige Schule. Es war wie die Einsatzzentrale der herrschenden Kaste der Rockmusik. Hier war der Ort, an dem alles entstand. Mir gefiel, dass ich kommen und gehen konnte, wie es mir eben passte. In einem der zwei Studios, die praktisch rund um die Uhr besetzt waren, war immer jemand, den man bewunderte, einer deiner Helden. Egal wann, 24 Stunden am Tag, konnte man auf Led Zeppelin treffen, oder es waren gerade die Stones da. Mountain, Jeff Beck, Stevie Wonder, David Crosby und Stephen Stills. Ich erinnere mich, wie ich einmal reinplatzte, als Mick Jagger gerade was mit Eddie Kramer aufnahm. Und ich weiß noch, wie dort Rockin’ the Fillmore abgemischt wurde und dass ich mich mit Jimmy Page unterhalten konnte.
GENE SIMMONS: Jeff Beck machte was mit Stevie Wonder, eine Version von „Superstition“. Ich saß gerade auf dem Pott, als Stevie von einem Assistenten aufs Klo geführt wurde, weil er pinkeln musste. Ich erstarrte vor Ehrfurcht, saß da auf der Schüssel, und gleich daneben stand Stevie Wonder. Wenn mir damals jemand erzählt hätte, dass ich viele Jahre später mit Stevie im Studio stehen würde, um ihm Melodien für eine Version von „Deuce“ vorzusummen, die Lenny Kravitz zu KISS My Ass beisteuerte, hätte ich ihn für unzurechnungsfähig erklärt.
PAUL STANLEY: Ich verbrachte Jahre in den Electric Lady Studios, von der Zeit mit Wicked Lester bis später bei KISS. Für mich war es dort wie Disneyland, eine tolle Lernerfahrung.
Obwohl sie einen Vertrag mit Epic Records in der Tasche hatten, wurden Gene und Paul sich der Tatsache bewusst, dass Wicked Lester nie ihrer musikalischen Vision würde gerecht werden können. Sie traten ihren Deal mit Epic in die Tonne – und Wicked Lester waren Geschichte.
GENE SIMMONS: Paul und ich waren unglücklich mit der Platte. Die Songs waren okay, aber es war alles nicht so cool wie die Sachen dieser ganzen englischen Bands. Es hatte so einen Westküsten-Hippie-Sound und erinnerte an Three Dog Night und die Doobie Brothers. Es war zu eklektisch. Gruppen wie The Who oder die Rolling Stones hatten einen definierten Sound und einen wiedererkennbaren Look. Wicked Lester fehlte einfach ein typischer Sound, eine Identität mit Wiedererkennungswert.
PAUL STANLEY: Das Problem von Wicked Lester war, dass die Band ein Frankenstein-Monster war, das sich im Studio weiterentwickelte. Wir verbrachten ein Jahr im Studio, um mit einem Produzenten zu arbeiten, der viel mehr Erfahrung als wir hatte, der aber weniger als wir auf eine bestimmte Richtung festgelegt war. Und an diesem Punkt waren wir mehr als bereit, alles auszuprobieren. Das Album ist der Beweis dafür. Es war völlig unkoordiniert. Komplett ziellos.
GENE SIMMONS: Wir waren am Ende. Es fühlte sich nicht mehr richtig an. Wir waren vom Weg abgekommen. Wir hatten kein Image. Wenn ich mir das Wicked-Lester-Zeug anhöre, dann fällt mir auf, dass auf „She“ Flöten zu hören sind, und „Love Her All I Can“ war ein Dance-Track. Wir waren ins Schwimmen gekommen. Schließlich sahen Paul und ich einander an und sagten: „Wir müssen die Band auflösen.“
PAUL STANLEY: Die Band entwickelte sich nirgendwohin. Also warum an etwas arbeiten, das von Anfang an fehlerhaft war? Und so lösten wir in unserer dreisten Naivität die Band auf. Zuerst feuerten wir die anderen Typen. Einer von ihnen, Tony [Zarrella], sagte: „Ich werde meinen Vertrag erfüllen.“ Also sagten wir [lacht]: „Dann steigen eben wir aus.“ Egal wie, wir zogen einen Schlussstrich unter diese Band.
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