GENE SIMMONS: Paul und ich bevorzugten dieselbe Ästhetik, teilten dieselben Ideale und hatten die gleiche Arbeitsmoral, aber ansonsten waren wir verschieden wie Tag und Nacht. Wir sind wie die zwei Seiten derselben Münze. Als wir begannen, miteinander zu arbeiten, erkannte ich ihn als ein wichtiges Puzzlestück an. Paul glaubte daran, dass er es schaffen würde, und das gefiel mir.
PAUL STANLEY: Für uns beide war der Erfolg wichtiger als alles andere. Gene war schlau und ehrgeizig und bereit, hart zu arbeiten, um etwas zu erreichen, anstelle nur darüber zu reden. Intelligenz und Tatendrang bringen einen weiter als reines Können ohne Orientierungssinn. Er war auch offen für Anweisungen und Input, und er war sehr talentiert. Zwei, die zusammenarbeiten, nicht nur als Einzelpersonen nebeneinander her, multiplizieren ihre Talente exponentiell und leisten so viel mehr. Es ist viel, viel schwerer, gewisse Ziele in die Tat umzusetzen, wenn man allein ist. Als Team gewinnt man das Spiel.
Stephen Coronel, der Mann, der Gene Simmons und Paul Stanley miteinander bekannt machte. Americana Hotel, New York City, 1979 Ken Sharp
2: Erste Schritte
Im Jahr 1972, zwei Jahre nach ihrem ersten Zusammentreffen, lebten Paul Stanley und Gene Simmons von Monatsgehalt zu Monatsgehalt und waren ihrem Ziel, Rockstars zu werden, noch keinen Schritt näher gekommen.
PAUL STANLEY: Ich verbrachte viel Zeit in einem Kifferladen namens Middle Earth in der Nähe meiner Wohnung. Sie verkauften dort psychedelische Utensilien – Zigarettenblättchen, Wasserpfeifen – und hatten praktisch alles auf Lager, was das Hippie-Herz begehrte. Eines Tages kam ich in den Laden, und sie erzählten mir, dass soeben jemand von den Electric Lady Studios da gewesen wäre. Ich flippte total aus. Das war schließlich das magische neue Studio von Jimi Hendrix, und den verehrte ich. Sie sagten mir, dass sie die Telefonnummer für mich notiert hätten. Alles, was ich entziffern konnte, war „Ron“ und eine Nummer. Ich rief im Studio an und fragte: „Ist Ron da?“ Wie es das Schicksal wollte, fragte mich die Frau vom Empfang: „Welcher Ron? Shaimon Ron oder Ron Johnsen?“ Ich entschied mich für den konventionelleren Namen und antwortete: „Ron Johnsen.“ Sie verband mich mit Ron Johnsens Sekretärin, und ich erklärte ihr, dass ich in einer Band spielte und wir uns sehr freuen würden, wenn Ron sich uns mal ansehen würde. Ich rief dann später noch ein paar Mal an, immer wieder, weil Ron sich nicht meldete. Schließlich, nach ein paar Wochen, sagte ich zu irgendjemandem vom Studio: „Sag Ron, dass es an Typen wie ihm liegt, dass sich Bands wie meine auflösen.“ Und das hat ihn am Ende dazu gebracht, doch mal zum Hörer zu greifen [lacht]. Als ich dann mit Ron sprach, fand ich heraus, dass er noch nie im Middle Earth gewesen war. Es war nämlich Shaimon Ron, der Haumeister im Electric Lady [lacht]. Aber dann kam Ron Johnsen, der als Toningenieur in den Electric Lady Studios arbeitete, in unser Loft in Chinatown, um sich unsere Band, Rainbow, die sich später in Wicked Lester umbenannte, reinzuziehen. Er erklärte uns, dass wir so gut wie Three Dog Night wären [lacht]. Wir hielten das für eine gute Sache, besser als wenn er gesagt hätte, dass wir beschissen wären. Das war also unsere Eintrittskarte in die Electric Lady Studios. An der großen Sicherheitstür vorbei in diese mythischen Hallen zu kommen war die reinste Magie. Nachdem wir Ron getroffen hatten, dauerte es lange, bis wir ins Studio durften, um das Wicked-Lester-Album aufzunehmen. Wir standen quasi auf Abruf, was bedeutete, dass wir zwar nicht für die Zeit im Studio bezahlen mussten, aber dafür nur aufnehmen konnten, wenn das Studio gerade frei war. Wenn eine Session um sechzehn Uhr enden sollte, sich dann aber doch bis einundzwanzig Uhr hinzog, mussten wir eben fünf Stunden in der Lobby abhängen. Dann durften wir endlich ins Studio. Wir verbrachten so viel Zeit im Studio wie es uns unsere Freizeit eben erlaubte. Mitunter arbeiteten wir buchstäblich 24 Stunden am Tag an dieser verrückten Platte, die schließlich das Wicked-Lester-Album werden sollte. Auf diese Weise zog sich der ganze Prozess ein Jahr lang hin, ein endlos langer Zeitraum, und wenn in einem aktuellen Hit gerade eine Sitar zu hören war, dann bauten wir natürlich auch eine Sitar in den Song ein, an dem wir gerade arbeiteten. Also hatten wir letztlich ein Album ohne jeglichen Fokus oder irgendeine Richtung aufgenommen.
GENE SIMMONS: Innerhalb der Band gab es bereits eine ziemliche Unruhe. Wir bemühten uns alle, die Band am Leben zu halten. Wir hatten einen Schlagzeuger [Tony Zarrella], einen herzensguten Typen, der aber kein bisschen Weitblick besaß. Paul und mein alter Kumpel Stephen Coronel kamen nicht miteinander klar. Die beiden hatten einen großen Streit, und Stephen schrie ihn an: „Was zum Teufel meinst du eigentlich, wer du bist? Denkst du, um dich herum wabert so etwas wie eine Scheiß-Aura?“ Und Paul antwortete: „Ja, das glaube ich tatsächlich.“ Paul hatte sehr viel Selbstvertrauen, womit er bei Steve aneckte. Wir waren eine saubere Band – keiner ließ sich auf Drogen ein. Es war nicht wie bei KISS, nicht wie bei Ace [Frehley] und Peter [Criss], die beide tranken und von Anfang an auch andere Probleme hatten.
Wicked Lester gaben nur ein paar Konzerte, und das Geld war knapp. Dank Ron Johnsen konnten sich Gene und Paul aber als Sessionmusiker in den Electric Lady Studios etwas dazuverdienen. Diese musikalische Lehrzeit verschaffte den beiden zukünftigen Rockstars einen praxisbezogenen Einstieg ins Musikgeschäft.
GENE SIMMONS: Wicked Lester waren an einem Punkt angelangt, an dem es so aussah, dass wir uns auflösen würden. Eines Tages spazierten wir in unser Loft und mussten feststellen, dass unsere Ausrüstung gestohlen worden war. Wir waren am Boden zerstört. Und wir brauchten Geld, um die ganzen alten Sachen ersetzen zu können. Ron Johnsen war Cheftontechniker der Electric Lady Studios in Greenwich Village. Er arbeitete mit Acts wie Lobo, der einen Hit mit „Me and You and a Dog Named Boo“ hatte, und Little Eva, die „The Locomotion“ gesungen hatte. Er produzierte das Wicked-Lester-Album, das auf Epic Records hätte erscheinen sollen. Pikanterweise arbeitete Ron auch mit Chelsea, der Band von Peter Criss, die eine Platte auf Decca herausbrachte. Ron Johnsen, die gute Seele, war so nett, uns zu sagen: „Ihr könnt hier doch nicht einfach nur so rumhängen. Ihr braucht doch Geld. Lasst mich euch für ein paar Sessions einteilen.“ Ich hatte bereits bei kleineren Aufnahmesessions ausgeholfen. So spielte ich zum Beispiel Bass auf dem Demo einer schwarzen Sängerin. Sie war nicht mies, aber der Song gab mir nichts. Ron produzierte aufstrebende Musiker und verhalf Paul und mir zu ein paar Session-Jobs, was sich im Grunde so abspielte: „Okay, Jungs, hier sind die Parts, die ihr singen sollt, habt ihr das drauf?“ Wir beide machten dann untereinander aus, wer was singen würde, so im Stil der Everly Brothers. Er sang den höheren Gesangspart und ich den mittleren – oder auch umgekehrt.
PAUL STANLEY: Es war alles ziemlich informell; praktisch jeder, der dort abhing, sang mit. Für mich war das nicht unbedingt Session-Arbeit, weil wir nicht wegen unserer Fähigkeiten oder irgendwelchen besonderen Kenntnissen angeheuert wurden. Es ging mehr darum, uns ein wenig Kohle zuzustecken, damit wir nicht verhungerten. Und ich meine ein wenig Kohle [lacht]. Es war mehr ein symbolischer Akt. Lyn Christopher war eine Musikerin, die von Ron Johnsen betreut wurde. Ron war der Produzent von Wicked Lester und hatte Lyn durch ihren damaligen Ehemann, Lou Ragusa, kennengelernt.
LYN CHRISTOPHER: Wir brauchten Hintergrundgesang für mein Album, und Ron sagte: „Ich kenn da zwei Typen, die passen würden.“ Gene und Paul sangen auf zwei Songs, „Celebrate“ und „Weddin’“. Sie waren echt nett und hatten gute Stimmen. Paul war eine große Unterstützung. Er sagte zu mir: „Du bist schön, und du wirst den Durchbruch schaffen.“
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