Obwohl rein technisch unabhängiger Unternehmer mit bestimmtem Auftrag, war ich letzten Endes aber doch auch ein Angestellter von Warner – und Carl Scott mein Mentor. Carl – ein begnadeter Geschäftsmann und mit einem großen Herzen gesegnet – brachte mir viel über die Musikindustrie bei und sah zu, dass ich ständig mit Arbeit eingedeckt war. Obwohl ich in meinen jungen Jahren in erster Linie als Tontechniker und Bühnenmanager unterwegs gewesen war, hatte ich damals gerade eine kurze, aber dennoch überaus denkwürdige Zeit als Tourmanager der Sex Pistols hinter mir – jener berüchtigten Punkband um Sänger John Lydon alias Johnny Rotten und den Bassisten bzw. Junkie Sid Vicious. Die Pistols – 1975 vom Londoner Künstler, Boutiquenbesitzer und Bilderbuch-Narziss Malcolm McLaren als eine Art Gimmick zusammengestellt – schickten sich an, dem englischen Klassendenken den Mittelfinger entgegenzustrecken, und bewarben gleichzeitig kostenlos McLarens Laden. Nach einigen Besetzungsänderungen und der Veröffentlichung des bahnbrechenden Punk-Albums Never Mind the Bollocks avancierten sie kurzfristig wenn schon nicht zur angesagtesten, dann zumindest doch zur umstrittensten Band der Welt. Keiner polarisierte so wie sie.
Die Sex Pistols waren der Vorzeige-Act der aufstrebenden Punk-Bewegung; sie bedienten sich sowohl bei den Ramones aus New York als auch bei all den britischen Bands, die vor ihnen gekommen waren. Sie waren explosiv und giftig, angetrieben nicht etwa von dem Wunsch, die musikalische Landschaft umzukrempeln, sondern vielmehr von einer tödlichen Kombination aus Wut, Alkohol, Drogen und jugendlichem Überschwang. Sie schlugen hart und schnell zu und demolierten alles, was sich ihnen in den Weg stellte, nur um schließlich auszubrennen, noch bevor sie wirklich in die Gänge gekommen waren. Obwohl sie von Kritikern aufgrund ihres offenkundigen Nihilismus und ihrer Bühnen-Eskapaden – Vicious schnitt sich etwa mit zerbrochenen Bierflaschen und Lydon gab sich größte Mühe, das Publikum mit seinen Tiraden in Rage zu versetzen – mitunter abqualifiziert wurden, hatte die Band mehr zu bieten, als auf den ersten Blick zu erkennen war. Tatsächlich handelte es sich bei den Pistols nämlich um eine sensationelle Band, deren einziges Album zu den einflussreichsten und umjubeltsten LPs aller Zeiten gehört. Sie waren ein unerbittlicher Live-Act, der ältere und gesetztere Vertreter der Musikindustrie verschreckte – ganz zu schweigen von den Eltern jener Jugendlichen, die sich Never Mind the Bollocks kauften und ihre Shows besuchten, obwohl diese nicht nur als rau und tumultös, sondern sogar als richtiggehend gefährlich galten. Ungeschliffen wie sie waren, machten sie ihren Mangel an musikalischer Kultiviertheit mittels eines irren Energie-Levels und einer Live-Show wett, die stets drohte, in pure Anarchie auszuarten. Dass sie oftmals betrunken oder zugedröhnt zu ihren Konzerten oder Interviews erschienen und nicht ungern auch mal Reporter und unbeteiligte Zuschauer beschimpften, war de facto noch ein Bonus und trug letztendlich nur zu ihrer Strahlkraft und Vermarktbarkeit bei.
Natürlich gab es auch Probleme. Als die Sex Pistols im Januar 1978 zu ihrer ersten und einzigen US-Tour anreisten, war die Führungsetage von Warner Bros. gleichzeitig sowohl aus dem Häuschen als auch verängstigt. Hier handelte es sich ja um eine wichtige Band mit einem enormen kommerziellen wie künstlerischen Potenzial. Aber die Pistols galten auch als Truppe, die in vielerlei Hinsicht so schwierig und herausfordernd war, dass sie jeden Moment implodieren konnte. Ihre Konzerte zu Hause in Großbritannien waren regelmäßig von Gewalt und obszönen Bühnenansagen geprägt. Verzögerungen und Absagen waren an der Tagesordnung, da Veranstalter und lokale Behörden sich einfach nicht mit einer Sex-Pistols-Show belasten wollten.
Und wer hätte ihnen das verdenken können?
Ihre US-Tour sollte weniger als zwei Wochen dauern und konzentrierte sich – ausgerechnet – auf den tiefen Süden des Landes, der, gelinde gesagt, nicht unbedingt als Brutstätte der Punk-Gegenkultur galt. Mir wurde die Aufgabe zuteil, diese angeblichen Halunken durch ein Milieu zu lotsen, dessen Stimmung irgendwo zwischen besoffener Bewunderung und ungeschminkter Feindseligkeit hin und her schwankte. Das Schöne an den Sex Pistols war, dass ihnen beides ziemlich am Arsch vorbeiging. Sie kämpften und vögelten sich querfeldein durchs Land, verwüsteten Hotels und verwickelten dabei Freund und Feind in muntere Handgemenge. Sid war inzwischen ein richtiger Heroin-Junkie, dessen Verstand mitunter am seidenen Faden zu hängen schien. So simulierte er etwa in Baton Rouge Oralsex auf der Bühne oder bespuckte bei einer Show in Dallas eine Frau mit Blut, während er unter Entzugserscheinungen litt. Lydon widerte Sids Verhalten an. Er war mittlerweile nicht nur der Tour, sondern, wie sich herausstellen sollte, der ganzen Band überdrüssig. Es wuchs sich alles zu einem Albtraum aus, der zu den berüchtigtsten und bedeutendsten Kapiteln der Rock ’n’ Roll-Historie zählt, was zum Teil auch daran liegt, dass sich die Band im Anschluss an die Tour auflöste.
Ich befand mich mittendrin und schrieb später auch ein Buch darüber. So wie bei allen großen Geschichten, bei denen es ums Überleben geht, hat auch hier der Faktor Zeit ein Übriges dazu beigetragen, ihren Reiz noch zu erhöhen.
Die Tour an sich war sicher kein Desaster. Allein, dass sie zustande kam, grenzte schon an ein kleines Wunder. Nein, streicht bitte kleines. Es handelte sich nämlich um ein verdammt großes Wunder – und nachdem alles vorüber war, hatte ich mir ordentlich Respekt vonseiten der Warner-Führungsriege verdient. Diese Tour, so kurz sie auch war, half dabei, die Sex Pistols in den USA zu einer berühmt-berüchtigten und erfolgreichen Band zu machen. Somit stellte sie für Carl Scott und mich den großen Durchbruch dar.
Denkt mal darüber nach, was das hieß: Ich war der Tourmanager, womit ich für so ziemlich alles verantwortlich war, wenn es darum ging, die Band von Stadt zu Stadt und von Auftrittsort zu Auftrittsort zu schaffen. Ich war derjenige, der sich jeden Morgen hinter den Telefonhörer klemmte, um die Jungs aus ihrem trunkenen Schlummer zu wecken: „Raus aus den Federn! Packt eure Sachen, in einer Stunde brechen wir auf!“ Das machte mich nicht unbedingt zum beliebtesten Mitglied im Tour-Tross, aber irgendjemand musste sich ja darum kümmern, und ich erledigte meine Aufgabe mit großer Professionalität – selbst an Tagen, an denen ich sie einfach nur gerne mit einem Gartenschlauch abgespritzt hätte, um dann den Dienst zu quittieren.
Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass nicht ich für die Zusammenstellung der Konzerte zuständig war. Es war auf McLarens Mist gewachsen, diese unflätig daherredenden britischen Punks in eine Reihe von Redneck-Saloons zu schicken und dann mitanzusehen, wie die Fetzen flogen. Hört sich doch witzig an, nicht wahr? Ich kümmerte mich um sämtliche logistischen Aspekte der Tour, was im Grunde darauf hinauslief, dass ich rund um die Uhr den Babysitter für Sid und die Jungs spielen musste. Nachdem ich sie jeden Morgen aufgeweckt hatte, sorgte ich dafür, dass sie gefüttert, getränkt und gewaschen wurden, bevor ich sie in Taxis packte und zu den jeweiligen Locations verfrachtete. All dies lastete auf meinen Schultern – und als die Pistols in den USA aufschlugen, war das in der Tat ein stattliches Gewicht, das es da zu stemmen galt. Für meinen Aufwand erhielt ich wöchentlich die fürstliche Summe von 500 Dollar. Weder Kranken- noch Rentenversicherung war da inbegriffen. Nichts.
Doch ich zog es durch – und es gelang mir, die Sache nicht allzu krass in den Sand zu setzen, was schon ausreichte, um meinen Stellenwert bei Warner Bros. deutlich zu verbessern. Ein paar Tage nach Ende der Pistols-Tour wurde ich dann in die Warner-Büros nach Burbank zu einem Meeting mit Carl Scott bestellt – vorgeblich, um mir für meine Arbeit zu danken und mich für meine Dienste zu entlohnen.
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