Ich befand mich damals mittendrin und schlüpfte häufig in die Rolle des Schiedsrichters, bis ich schließlich in die Wüste geschickt wurde. Obwohl 1984 vielleicht von außen betrachtet wie das beste Jahr von Van Halen wirken mag, weiß ich, dass dem nicht so war. Ihr wollt einen Schnappschuss aus der Zeit, als die Band im Zenit stand, einen Backstage-Pass für die kreativste und hedonistischste Phase der Jungs? Nun, dann müsst ihr ein wenig weiter zurückgehen. Wie wäre es mit 1982? …
Wir kommen also zur Show an. Eine seltsame Kombination aus Gerüchen schwängert die Luft hinter der Bühne. Sie sind nur schwer voneinander zu trennen und auch zu identifizieren. Das Erste, was einem in die Nase steigt, sind die Abgase – als würde man eine Autowerkstatt oder Tankstelle betreten. Nehmen wir eine typische Arena mit 15.000 Sitzplätzen, in Portland oder Pittsburgh, oder den Checkerdome in St. Louis – das ist gar nicht so wichtig, denn sie sind alle gleich. Auf der Rückseite jeder dieser Locations befindet sich eine Rampe, über die die Ausrüstung ein- und ausgeladen wird. Am Fuße dieser Rampe warten ein Sattelschlepper und dahinter noch ein halbes Dutzend weiterer Laster, die geduldig ausharren, bis sie an der Reihe sind. Sie alle spucken giftige Gase in die abgestandene Luft. Über den ganzen Bereich legt sich Rauch, was einen an den Anflug auf Los Angeles an einem schönen Tag erinnert. Ihr wisst schon: Je näher man dem Boden kommt, desto dicker wird die Luft, und sie verändert die Farbe: von durchsichtig zu irgendwie rosafarben, bis der Anblick – ein paar Tausend Fuß über der Erde – eine schlammige Note erhält.
Draußen stehen die Trucks und die schwitzenden Roadies. Und auch die Groupies – Labsal für die Truppen. Die Mädels verströmen einen überwältigenden Geruch – und dabei handelt es sich nicht nur um Parfüm, sondern auch um das Aroma von Sex, Schweiß und Begehren. Er ist kaum auszumachen, doch man nimmt ihn dennoch wahr: diesen Geruch des Verlangens und den Zwang, loszulegen. Trink eine Flasche Schnaps, wirf dir ein paar Pillen ein, rauch einen Joint (oder auch zehn) und warte ab, wohin dich der Abend führen wird. Vielleicht nirgendwohin. Vielleicht erhaschst du aber auch einen Blick hinter die Kulissen – auf einen Abend (oder zumindest ein paar fieberhafte, verschwitzte Minuten) voller fleischlicher Wonnen mit einem der Bandmitglieder. Und wenn daraus nichts wird, dann eben mit einem der Roadies oder jemandem aus der Crew vor Ort. Vielleicht trollst du dich auch einfach wieder nach Hause zu deinem Freund und kletterst zu ihm ins Bett, während dir David Lee Roth durch den Kopf geistert. Bei einem Van-Halen-Konzert ist das Verlangen stets greifbar – und es begegnet einem in Form eines berauschenden Aromas, wie Patschuliöl, das durch die Tore in den Backstage-Bereich hereinströmt.
Während der Beginn der Show stetig näher rückt, wird einem bewusst, dass der Energiepegel steigt. Das lässt sich nicht nur am Lärm festmachen – nein, man kann es vielmehr fühlen. Es scheint fast so, als würde das Gebäude selbst zum Leben erwachen.
Wenn ich durch den Hintereingang trete, ist die Band bereits versammelt: Edward mit seiner Gitarre in der Hand (ohne sie geht er nirgendwohin. Er tauchte sogar einmal an einem Tatort mit ihr auf); der sanftmütige Michael, der „Jedermann“ der Truppe, der einfach so herumlungert (kein Bass in Sicht); David, der pedantische Entertainer, der dem Tontechniker ausführliche Anweisungen gibt („Wenn ich zum Ende von ‚Atomic Punk‘ komme und ‚Let the show go on and on‘ sage, dann legst du da ein Echo drüber, okay?“); und Alex, der verkehrt herum auf einem Stuhl sitzt und die Rückenlehne mit zwei Drumsticks bearbeitet, während er mit seinen wachsamen Augen abcheckt, was für „Grazien“ die Szenerie betreten. Als eine junge, attraktive Angehörige der Catering-Crew einen Teller mit Chicken Wings auf dem Büffettisch abstellt, greift er flugs nach einem der Schenkel der Frau. Er lächelt. Sie kichert, verpasst ihm einen Klaps auf die Finger und gibt sich ungerührt. Doch ich habe das Gefühl, dass sie bloß ein Pokerface aufsetzt – oder vielleicht ist sie einfach an die ungewünschte Aufmerksamkeit gewöhnt, die man erhält, wenn man Rockbands das Essen liefert. Was kann man da sagen? Das, was ansonsten als sexuelle Belästigung gebrandmarkt würde, gilt in der Welt des Rocks als harmloses Getue. Die Zeiten haben sich natürlich geändert, doch vor mehr 35 Jahren? Nun, man musste davon ausgehen, dass in jedem Rockstar eben auch ein bisschen ein Höhlenmensch steckte. Diese Jungs waren darauf konditioniert zu glauben, dass so ziemlich jede Frau, die ihre Wege kreuzte, eine potenzielle – und potenziell willige – „Gespielin“ darstellte. So ist das eben mit dem Rock ’n’ Roll, Baby. Da geht’s nicht nur um die Musik, sondern auch darum, die gut geölte Stange der Evolution hinabzugleiten …
Wenn wir uns tiefer in die Arena hineinbegeben, weg von der Ladezone, verändern sich die Gerüche. Der Benzingestank weicht einer Melange aus Essen und Drogen. Chili und Hühnerteile in der einen Sekunde, Alkohol und eine Kombination aus Gras und Zigarettenrauch in der nächsten. Damals rauchte nämlich jeder – deine Mama, deine Schwester, dein komischer Onkel mit dem Silberblick, der Quacksalber, dem du 150 Dollar pro Stunde zahltest, um endlich aufzuhören damit. Es wird also gequalmt, und dementsprechend undurchdringlich ist der Nebel.
Wenn man die Ohren spitzt, dann hört man auch Schnüffeln. Geht etwa ein Virus um? Eine Allergie? Oder ist es nur der Klang von mehreren Dutzend Leuten, die sich Kokain und andere Stoffe durch die Nase ziehen? Sucht es euch aus – und vergesst nie: Das hier sind die Achtzigerjahre, und das ist Rock ’n’ Roll.
Nachdem sie gegessen und mit ein paar Groupies geflirtet haben, die sich bereits Zugang verschafften, machen sich die Jungs auf zu ihrer Garderobe.
„Wo zum Geier sind wir hier?“, ruft Edward.
„Lubbock“, antwortet jemand.
„Lubbock, Texas?“, hakt Edward nach.
„Nein, Lubbock auf Island, du Arsch.“
„Nö, da waren wir vorvorgestern“, steigt Alex ein.
David krakeelt währenddessen einem vorbeiziehenden Groupie hinterher: „Hey, Sahneschnitte! Wirst du dem lieben Dave nach der Show Gesellschaft leisten? Hä? Vielleicht sollten wir uns zu einem Rendezvous verabreden?“
Das Girl lacht auf und grinst ihm zu. Auch das scheint keine ungewollte Avance darzustellen.
Bald schon finden sich die Jungs hinter verschlossenen Türen wieder, ziehen sich um und bereiten sich auf ihren abendlichen Job vor. Die lockere Kameraderie und die spielerischen Sticheleien weichen den Geräuschen von vier jungen Musikern, die sich startklar fürs Match machen. Eine durchaus treffende Metapher, da die Garderobe nichts anderes ist als eine Umkleidekabine, in der ein paar zusätzliche Vorhänge angebracht wurden. Am einen Abend Eishockey, am nächsten dann Van Halen. Aus der Nähe kann man sie rufen und fluchen hören.
„Wo ist mein verflixtes Shirt?!“
Das Aroma der Arena vermischt sich mit ihren Stimmen, und man kann spüren, wie die Vorfreude auf die Show wächst und wächst.
Und ich? Auch mir geht es so, obwohl ich mich nicht nur auf den Gig freue, sondern auch den Adrenalinkick spüre, der sich angesichts der Aussicht auf etwas Brutalität bei mir einstellt: Dinge wie – den Schädel eines Merchandise-Fälschers gegen eine Autotür donnern. Ein Teil meines Abends ist stets solcherlei Aktivitäten gewidmet (mit zwei, drei Roadies und einem Leibwächter im Schlepptau, schließlich bin ich nicht dämlich). Das gehört alles zu meiner Aufgabe, die Marke Van Halen zu fördern und zu schützen.
Dann spaziert der Veranstalter zur Türe herein. Er bleibt namenlos, da an ihm nichts ist, das einzigartig wäre. Der Mann riecht nach Vitalis oder Brylcreem – in einer so reichlichen Dosis aufgetragen, dass ihn sein Geruch bereits 30 Sekunden vor seinem tatsächlichen Eintreffen ankündigt. In der Garderobe schmachtet er nun die Jungs an, insbesondere David und Edward, während er mir nicht einmal in die Augen sieht. Der Kerl verarscht uns nach Strich und Faden – er verrechnet Bühnenhelfer, die nicht existieren, Arbeiten, die nie ausgeführt wurden, und verdreifacht die Kosten des Caterings. Er schwitzt und schnieft, als er seine nikotingelbe Hand zuerst den Jungs und dann mir reicht. Ich verwehre ihm unhöflich den Handschlag. Warum scheint jeder einzelne Veranstalter in jedem Winkel dieses verdammten Landes Schnupfen zu haben? Und warum wollen sie mich alle anstecken? Allerdings ist es vielleicht gar kein Schnupfen. Möglicherweise fährt der Veranstalter auch bloß auf Koks ab, wer weiß? Viele dieser Typen bieten einem neben sparsamen Rationen besagten Kokains auch ihre persönliche, oftmals blutige Hundert-Dollar-Note zum Rüsseln an – oft mitsamt dem gerade aktuellen Hepatitis-Erreger.
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