Sie sind nur allzu zuvorkommend dabei, sicherzustellen, dass die Band gut geölt und glücklich ist. Alkohol, Gras, Koks – das ist doch alles da, um wegkonsumiert zu werden. Teufel, die würden uns sogar mit Heroin versorgen, wenn wir wollten. Aber so sind wir nicht drauf. Waren wir auch nie.
Kurz vor Beginn der Show begebe ich mich zur Bühne und schaue zwischen den Vorhängen hindurch ins Publikum. Ach, du heilige Scheiße! Eine Arena, die wenige Stunden vorher noch leer und ruhig war, ist nun bis unters Dach gefüllt – mit 15.000 Kids, von denen die meisten Joints rauchen, Bierchen kippen, mit den Füßen stampfen und gemeinsam in die Hände klatschen. Das Licht wird gedimmt. Es braut sich ein erwartungsfrohes Getöse zusammen, während die Band sich der Bühne nähert. Ein einzelner Scheinwerfer ist auf Rudy Leiren gerichtet, dessen Job darin besteht, die Band anzukündigen.
„Ladies and gentlemen … hier sind sie … die großartigen VAN HALEN!!“
Gerade als ich mir denke, dass es gar nicht noch lauter werden kann, betritt die Band die Bühne – und es wird tatsächlich noch lauter. Viel lauter. Die Meute stürmt nach vorne, füllt jede erdenkliche Lücke vor der Bühne und stellt sowohl die Geduld als auch die körperliche Verfassung der Sicherheitskräfte auf die Probe. Und dann geht die Show endlich los. David stolziert auf den vier Meter langen Laufsteg hinaus, der sich von der Bühne ins Publikum erstreckt. Diese Dinger werden auch „Ego-Rampen“ genannt, da man, nun ja, schon ein Mords-Ego benötigt, um sie vor 15.000 enthusiastischen Rockfans entlangzuschreiten.
Ein zu kleines Ego ist Davids Problem nicht. An Selbstvertrauen mangelte es ihm nie. Nicht einmal, als Van Halen noch ausschließlich auf Gartenpartys auftraten. Und jetzt, als Frontmann einer der größten Bands des Planeten? Nun, David fühlt sich wie zu Hause.
„Ich will hören, wie ihr ordentlich Krach macht!“, schreit er und hält das Mikro zum Publikum hin. Die Reaktion folgt auf dem Fuß, und ein überwältigender, ohrenbetäubender Sturm erhebt sich. David lächelt und wirft seinen Kopf nach hinten, wobei seine Mähne einen kurzen Augenblick lang sein Antlitz bedeckt. Innerhalb weniger Jahre wird unaufhaltsamer Haarausfall Dave seines Markenzeichens und zugleich seiner Jugendlichkeit berauben. Wenn man genau hinsieht, kann man sogar jetzt schon erkennen, was Sache ist, doch leistet er ganze Arbeit, die Auswirkungen zu verbergen. Er blickt über das Meer von Fans hinweg, von denen rund 60 Prozent Frauen sind. Ein paar von ihnen haben sich bereits ihrer Oberteile entledigt, um Aufmerksamkeit zu erregen. Erneut lächelt David.
„Wie ich sehe, ist nicht nur der Rock ’n’ Roll richtig groß in diesem Teil des Landes!“
Er beginnt, auf und ab zu hüpfen, dann schlendert er von einer Seite der Bühne zur anderen – wie ein König, bevor er sich an seine Untertanen wendet.
„Niemand beherrscht die nächtlichen Straßen so wie ich!“, ruft er. „Der Atomic Punk! Ich bin der, den ihr sucht!“
Und dann, wenn die Band den Knüppel aus dem Sack lässt, geht so richtig die Post ab. Edward steht am einen Ende der Bühne, seine Finger rasen mit blitzartiger Geschwindigkeit über das Griffbrett, und sein schmales Lächeln bringt zum Ausdruck, wie sehr er liebt, was er da tut, und wie wohl er sich mit einer Gitarre in der Hand fühlt.
Das andere Ende der Bühne ist für Michael Anthony reserviert – ein verlässlicher Bassist und lieber Kerl, dessen größtes Plus darin besteht, wunderbare Backing Vocals und schöne Harmonien beisteuern zu können. Sein beschränktes Können an seinem Instrument ist dank Edwards Virtuosität und Davids Talent als Entertainer praktisch nicht zu bemerken.
Alles konzentriert sich auf Dave. Er trägt schwarze Lederhosen und eine Weste, hinter der ein Büschel Brusthaare hervorquillt, während er zum Beat von Alex’ Drums herumspringt. Er zieht die Aufmerksamkeit jeder einzelnen hier versammelten Person auf sich.
Mitten während eines von Eddies weißglühenden Solos hüpft David vom Schlagzeugpodest und erreicht dabei einen Luftstand von gut drei Metern. Er hat sich den Hintern abgearbeitet, um diese Einlage zu perfektionieren, wobei er sich sogar einige Verletzungen zuzog – doch mittlerweile ist ihm der Sprung in Fleisch und Blut übergegangen. Er befindet sich in spitzenmäßiger körperlicher Verfassung. Er ist 27 Jahre alt und noch nicht gezeichnet vom Zahn der Zeit, den Drogen oder dem Alkohol. Ich hatte damals bereits schlechte Erfahrungen mit Dave gemacht und würde auch in Zukunft noch welche mit ihm machen, aber wenn ich ihn so dabei beobachte, wie er über die Bühne tanzt, ja wirbelt, muss ich einräumen, dass der Typ eine teuflisch gute Show abliefert. Dave wusste immer schon, was er wollte. Und mehr als irgendetwas sonst im Leben wollte er: berühmt sein.
Mission erfüllt.
Er lässt noch mehr improvisierte Sprüche vom Stapel, allerhand verrückten Scheiß, der ihm im Augenblick einfällt. Dave ist ein bunter Mix aus popkulturellen Archetypen: teils Stand-up-Komiker, teils Vegas-Troubadour, teils Heavy-Metal-Samurai. Die anderen Jungs lachen über seine Faxen. Mir scheint, dass zumindest, solange sie auf der Bühne stehen, alles in Ordnung ist in der Welt von Van Halen.
Während Michael die ersten Töne von „Runnin’ with the Devil“ anspielt, beginnt das Publikum zu headbangen. Dieses Riff wird als eines der eingängigsten in die Annalen des Rocks eingehen. Ich muss lächeln. Das ist jener Augenblick, der mir zeigt, dass es die Mühe wert ist. Ein Augenblick, so rein und voller Freude – so von Rock ’n’ Roll erfüllt –, dass ich mich glücklich schätze, ein Teil davon sein zu dürfen. Doch dieser Moment bringt mich auch zum Grübeln: Wie lange kann das gutgehen?
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Wir bekamen sie zum Spottpreis
Musik ist mein Leben. Zumindest war das viele Jahre lang so. Ende der Siebzigerjahre verdiente ich mir beim legendären Bill Graham meine Sporen als Bühnenmanager und Tontechniker im Fillmore East und arbeitete in Europa unter anderem für die Rolling Stones. Ich liebte Rock ’n’ Roll und das dazugehörige Leben: die Welt bereisen, unterschiedliche Kulturen erleben, sich niemals auf eine schnöde Existenz mit geregelten Arbeitszeiten einlassen.
Zugegeben, Rockstars sind nicht immer die einfachsten Leute, mit denen man zusammenarbeiten kann, doch im Großen und Ganzen überwogen die positiven Aspekte. Ich war jung, Single und angetan vom freigeistigen, vagabundenhaften Lebensstil. Er passte zu mir, und ich bewährte mich bei so ziemlich jeder Aufgabe, die sich mir stellte.
Doch nichts hätte mich auf den siebenjährigen Trip mit Van Halen vorbereiten können. Wenn ich von „Van Halen“ spreche, dann beziehe ich mich auf die originale Besetzung der Band, die 1985 mit dem Ausstieg von David Lee Roth ihr Ende fand. (Ich nahm ungefähr zur selben Zeit wie er meinen Hut, was, wie ihr sehen werdet, kein Zufall war.) Nichts gegen Sammy Hagar – ein guter Sänger und nach dem, was man so hört, ein angenehmer Zeitgenosse –, doch die echten Van Halen starben mit dem Abschied von David. Ich meine das sowohl als Kompliment als auch als Schmähung, da Davids Ausstieg zum Niedergang einer Band führte, die sich auf dem Höhepunkt ihrer Möglichkeiten und Popularität befand und die Musikszene locker noch ein Jahrzehnt hätte beherrschen können, wenn gesunder Menschenverstand und Vernunft obsiegt hätten.
Vielleicht ist das ja auch einer der Gründe, warum Van Halen so großartig waren: Fast von Anfang an wirkte diese Band, als ob ihr nur eine geringe Halbwertszeit beschieden wäre. Zu viel Talent, zu viel Ego, zu viele unvereinbare Charaktere, zu viel Drogen und Alkohol. Die Musiker mussten daher gleich richtig gut sein, weil sie auf keinen Fall lange zusammenbleiben würden.
Nicht, dass mir das im späten Januar 1978 bewusst gewesen wäre, als ich einen Anruf von Carl Scott erhielt, Senior Vice President von Warner Bros., der für den Aufbau der Künstler und Touren zuständig war. Damals lebte ich zwar eigentlich in New York, doch hatte ich im Hyatt House auf dem Sunset Boulevard so etwas wie ein zweites Zuhause gefunden. Das Hyatt House trug den Spitznamen „Riot House“, da es sich bei Bands, die gerade in Los Angeles weilten, um im Whisky a Go Go oder einem der anderen nahegelegenen Clubs zu spielen, besonderer Beliebtheit erfreute. Wie schon gesagt, der Rock ’n’ Roll war mein Lebensinhalt – egal, ob ich gerade auf Achse war oder nicht. Ich war 31 Jahre alt und passte gut in dieses Hotel, das regelmäßig von zugedröhnten Rockern mitsamt ihren Entouragen heimgesucht wurde. Da fühlte ich mich zu Hause. Nun, es gab dort weniger Kakerlaken, aber man kann schließlich nicht alles haben, oder?
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