Bald jedoch sollten sie zurückkehren – schneller, höher und weiter als je zuvor sollten sie fliegen. So schnell, so hoch und so weit sogar, dass man ein komplett neues Zeitalter für sie einrichten musste, um sie zu beherbergen zu können.
1958 verkauften sich Superman-Comics nach wie vor gut, da sie die wilden Stürme der Hexenjagden dadurch überstanden hatten, dass sie sich genau an die Inhalte des Comic Codes hielten sowie die Formel der populären Fernsehserie nachäfften. Nachdem im selben Jahr Mortimer Weisinger ins Büro des Herausgebers eingezogen war, überholte Superman sogar die Titel aus dem Hause Disney, was ihn zur beliebtesten Comic-Figur der Welt machte. Mort Weisinger, den Comic-Autor Roy Thomas als „boshafte Kröte“ beschrieb, hatte als Story Editor für die Serie The Adventures of Superman fungiert, bevor er nach New York zurückkehrte, um den Comics einen neuen Anstrich zu verleihen. Während andere Comics versuchten, ihre Leserschaft um ein älteres Publikum zu erweitern, hatte es Weisinger auf die gigantische Zielgruppe der Kinder, die in den Nachkriegsjahren auf die Welt gekommen waren, abgesehen. Um die cleveren und aktiven Kids der Fünfziger bei der Stange zu halten, tauschten Weisinger und seine Schreiber den alltägliche Realismus der Fernsehserie gegen ein mehr an Science-Fiction orientiertes Spektakel, das sich in Film und Fernsehen nicht nachstellen lassen konnte. Es gab keine andere kreative Form des Ausdrucks, die Männer, die aufeinander mit Planeten schossen, mit einem gewissen Grad an Glaubwürdigkeit abzubilden in der Lage war. Unter Weisinger, einem Fan von Science-Fiction, erreichte Superman neue Kraftebenen, welche vorher bloß von Hindugöttern erreicht wurden.
Sogar die Covers wurden aufregender: Sie wandelten sich zu verlockenden, plakativen Ankündigungen des enthaltenen Inhalts. In den Vierzigern und frühen Fünfzigern bildete ein Cover von Superman üblicherweise den Helden in ikonenhafter Pose ab: Er stemmte ein Auto über den Kopf, schleppte ein Linienschiff ab oder schwenkte das Sternenbanner. Weisinger jedoch bevorzugte sensationelle Szenarien auf dem Cover, mit Sprechblasen und Setups, die sich nur dann gänzlich erschließen ließen, wenn man die Ausgabe auch erwarb, um weiterzulesen. Interessanterweise wurden die Geschichten in ihrer Wirkung aber auch intimer und universeller. Im Einklang mit der psychoanalytischen Welle (und um sich dem Code zu entziehen), entwickelte Weisinger die verblüffende Fähigkeit, jeden noch so schmutzigen Klumpen aus dem kollektiven Unterbewusstsein in eine seltsamerweise unwiderstehliche Geschichte zu verwandeln.
Superman war nun ein erwachsener, reifer Patriarch, gezeichnet in der klaren Linienführung der Fünfziger – und zwar von einem Zeichner mit dem unglücklichen Namen Wayne Boring.
Boring schenkte uns den klassischen Superman. Statisch. Konservativ. Reserviert. Verschwunden war der ruhelose Futurist, der sich gegen das Establishment auflehnte. Borings Zeichnungen teilten sich einige ihrer Eigenschaften mit römischen Fresken. Während Joe Shuster versucht hatte, die Geschwindigkeit der verfliegenden Zeit einzufangen, bremste Boring alles ein, um den einzelnen Moment zum Mythos zu überhöhen. Es entstand ein förmlicher Abstand, ein Bühnenportal, das die Distanz zwischen dem Leser und der Action absichern sollte. Wayne Borings gesamter Kosmos ließ sich auf einen 2 x 2 Zoll großen Raum reduzieren. Seine geschmeidigen, polierten Panelen flossen wie Billardkugeln über ein komprimiertes, flaches Universum, wo der Raum weder unvorstellbar groß noch einschüchternd, dafür aber geschlossen war und vor Farben und Leben nur so überquoll. Während er zuvor die gleiche Flugpose immer und immer wieder einnahm, sprang Borings Version von Superman gemütlich zwischen unglaublichen Distanzen, die sich zwischen zwei einzelnen Bildern befanden, hin und her, stets stoisch und ausdruckslos. Jahrhundertelange, epische Zeitspannen verflogen zwischen wenigen Panelen. Dynastien vergingen neben den Sprechblasen, und Sonnen konnten alt werden und sterben im Verlauf einer einzigen Seite.
Es war auch wie eine Spielzeugwelt, die man durch das verkehrte Ende des Teleskops betrachtete. Boring ließ die Ewigkeit winzig wirken, als könnte man sie sogar in Händen halten. Er reduzierte die Unendlichkeit auf einen Cameo-Auftritt, denn – so die große Erkenntnis der Ära Weisinger – menschliche Emotionen können stärker sein als die unglaubliche Größe des Raums und die Grenzenlosigkeit der Zeit. Wayne Borings enge Linienführung war notwendig, um dem dionysischen Sturm und Drang, der die Seiten mit Leben erfüllte, Einhalt zu gebieten und Form zu verleihen.
Diese Storys konzentrierten sich gänzlich auf die Gefühle. Der Superman der Fünfziger plumpste in allumfassende Gefühlswelten, die so groß und unbezwingbar waren, dass sie ein junges Herz brechen oder sogar die Sterne blenden konnten. Die sozialistischen Machtfantasien, die chauvinistische Propaganda, die mit Gimmicks überladenen Abenteuer, welche die vorangegangen 20 Jahre in Supermans Karriere bestimmt hatten, machten Platz für Geschichten über Liebe und Verlust, Schuld, Trauer, Freundschaft, Terror und Sühne. Sie waren geradezu biblisch in ihren Ausmaßen und ihrer Reinheit. Und immer war Weisingers gottgleicher Superman uns dabei ähnlicher, als er es je zuvor gewesen war. Er verkörperte das Amerika der Fünfziger mitsamt seiner atomaren Faust, seinem tödlichen Erzfeind sowie seinen tapferen Verbündeten. Wie Amerika war auch er ein Koloss, der Fehler beging, die Welt vor Tyrannei schützte und doch von nagenden Schuldgefühlen heimgesucht wurde, innerlich zerrissen war und sich vor Veränderungen fürchtete.
Weisinger unterzog sich einer Psychotherapie und versorgte seine Schreiber mit dem in den jeweiligen Sitzungen angefallenen Material, damit sie es für ihre Geschichten verwenden konnten. Das Innenleben des Herausgebers wurde auf dem Seziertisch augebreitet, zerlegt und fand sich ohne jegliche Scham in den Comics wieder.
Zum Beispiel gab es da etwa die Flaschenstadt Kandor. Kandor war die Hauptstadt von Supermans Heimatwelt Krypton gewesen. Geschrumpft und gerettet durch den Schuft Brainiac, war Kandor nun eine winzige Stadt unter einer Glasglocke. Dieses lebende Diorama, diese Ameisenfarm mit Menschen, sprach gerade Kinder sehr an und trug zum Bild eines kindlichen Supermans in dieser Zeit bei. In Kandor waren verloren geglaubte Erinnerungen unter Glas konserviert – Superman konnte sich dorthin begeben, um eine Welt, die er zurücklassen musste, noch einmal zu erleben. Kandor stand für jede Schneekugel, jede Jukebox, jede bittersüße Erinnerung. Kandor war die klingende Stimme einer untergegangenen Welt, einer Vergangenheit, wie sie hätte sein sollen, unerreichbar. Kandor war das verkörperte Überlebenden-Syndrom.
Der Superman der Fünfziger fand sich inmitten einer absonderlichen, nuklearen Familie bestehend aus Freunden, Widersachern und Verwandten wieder. Weisinger hatte von Captain Marvel und seiner Familie gelernt. Viele seiner Lieblingsschreiber, z. B. Otto Binder und Edmond Hamilton, hatten zum Mythos des Captain Marvel beigetragen und waren in der Lage, diesen Stil an eine neue Fantasiewelt, die pointierte, verwinkelter und paranoider war, anzupassen. Dies war die nukleare Familie, die da in der Finsternis vor sich hin glühte. Nicht länger der letzte Überlebende einer untergegangenen außerirdischen Zivilisation, bekam Superman Gesellschaft von einem ganzen Fotoalbum an neuen Superbegleitern. Er hatte bereits seinen eigenen Superhund Krypto und entdeckte nun überdies, dass er eine hübsche blonde Cousine namens Kara Zor-El besaß, die es ebenso geschafft hatte, die Zerstörung von Krypton zu überleben, und zwar gemeinsam mit einem Superaffen namens Beppo. Es gab Storys rund um Superman als Jungen (Superboy) und als ulkiges Kleinkind mit Superkräften (Superbaby). Lois Lane war auch populär genug, um ihren eigenen monatlich erscheinenden Comic zu bekommen. Genauso wie auch Supermans Kumpel Jimmy Olsen.
Читать дальше