Ja, es ist nur zu einfach, aus der Perspektive eines Erwachsenen in Bruce Wayne homophile Tendenzen zu erkennen. Es wäre auch nicht allzu schwer, alle vertrauten Elemente einer Batman-Story so lange aufzulisten, bis die fetischistischen, homoerotischen Untertöne, die man im zugrunde liegenden Szenario von drei Männern aus drei Generationen, die im Luxus zusammenleben, sich in all ihrer Latex- und Lederpracht herauskristallisieren würden.
Regisseur Joel Schumacher bediente sich in Anspielungen dieser Dynamik in seinem gründlich verrissenen Film Batman & Robin (1997), in dem George Clooney, Chris O’Donnell und Michael Gough die betreffenden Rollen bekleideten. Das satanische und sogar sexuell grenzüberschreitende Appeal, das Batman auf Erwachsene hat, kommt nicht von ungefähr: Batman – reich und ein Vertreter der Unterwelt – bewohnt ein unterirdisches Geheimversteck, kleidet sich in abgefahrenes schwarzes Leder, genießt die Gesellschaft eines kleinen Jungen in Strumpfhosen und hat keine feste Freundin. Vielleicht müsste ja noch die große schwule Batman-Story geschrieben werden, in der er und Robin, eventuell auch Alfred, es wie die Hamster miteinander treiben, nur unterbrochen durch Ausfahrten im Batmobil. Aber trotzdem kann mir Dr. Wertham Glauben schenken, wenn ich behaupte, dass junge Leser in Batman nichts außer Freiheit und Abenteuer sahen. Es ist Wertham, der in die Annalen der Perversion einging, nicht Batman.
Wenig überraschend entlarvte Wertham auch Wonder Woman, und zwar als unverschämte Lesbierin, hinter der eine ganze Insel von perversen, militanten Lesben mit einer Vorliebe für Fesselspiele lauerte. Verwunderlich, dass er keinen Anstoß an den gewagten Schrullen seines Kollegen Marston nahm, aber sich stattdessen in einen gern verwendeten Ausruf von Wonder Woman – „SUFFERING SAPPHO!“ – verbiss, da es zweifellos eine vorhersagbare Assoziationskette im Hirn des Onkel Doktors in Gang gesetzt haben dürfte.
Aber es war Superman – der gutmütige Superman –, der die Inbrunst von Werthams Hass am meisten zu spüren bekam. Er beschrieb ihn als faschistische Ausgeburt, die Kinder dazu bringen sollte, sich unzulänglich zu fühlen und sie so zu Delinquenten machen würde: „Wie sollen sie da ihren hart arbeitenden Müttern, Vätern oder Lehrern, die so gewöhnlich sind und nicht einmal bildlich in der Lage, durch die Luft zu fliegen, Respekt entgegenbringen? Psychologisch betrachtet, untergräbt Superman die Autorität und Würde des normalen Mannes und der alltäglichen Frau gegenüber den Kindern.“
Laut Werthams Diagnose waren Kinder also zu unterentwickelt, um die ausgefallenen Fantasiewelten ihrer Comics von der Realität zu unterscheiden, und dies machte sie verwundbar gegenüber kaum versteckten homosexuellen oder gesellschaftsfeindlichen Inhalten. Ich behaupte, das Gegenteil ist der Fall: Es sind die Erwachsenen, die sich schwertun, Fakten und Fiktion zu unterscheiden. Ein Kind weiß, dass Krabben am Strand nicht singen wie die Zeichentrick-Krabbe in Die kleine Meerjungfrau. Ein Kind akzeptiert allerhand seltsam aussehende Kreaturen und bizarre Begebenheiten in einer Geschichte, weil ein Kind versteht, dass Geschichten anderen Regeln folgen. Denn genau das ermöglicht, dass so ziemlich alles passieren kann.
Erwachsene hingegen mühen sich entsetzlich, der Fiktion die Regeln des alltäglichen Lebens aufzuzwingen. Erwachsene verlangen Erklärungen für Supermans Flugfähigkeit oder dafür, wie es Batman möglich ist, tagsüber ein Milliarden-Dollar-Imperium zu führen und nachts Verbrechen zu bekämpfen – die Antwort wäre so naheliegend: weil es nicht echt ist.
Werthams Angriffe beförderten die Comics in den Fokus einer landesweiten Hetzkampagne. Gute Amerikaner, die mit den harmlosen Abenteuern Supermans und Batmans aufgewachsen waren, versammelten sich nun, um Superhelden-Comics zu verbrennen (zehn Jahre später sollten ähnlich hirnlose Menschen-Rudel zusammentreffen, um dieses mal Beatles-Platten auf Scheiterhäufen brennen zu sehen).
Die Anhörungen vor dem Kongress im Jahr 1954 beschädigten den Horrorverlag EC Comics nachhaltig. Die verbliebenen Verlage taten sich zusammen und verfassten ein drakonisches Regelwerk, den Comics Code, das kinderfreundlichen Inhalt garantieren sollte. In seiner kleinlichen, maschinellen Durchdringlichkeit, seiner präzisen Formulierung von Ge- und Verboten, war der Comics Code beinahe – um die Sprache dieser Zeit zu gebrauchen – „sowjetisch“ angehaucht. Entstanden unter ähnlichen Umständen, erinnerte der Comics Code auf vielerlei Weise an den Hays Code von 1930, der darauf abgezielt hatte, frivole, heitere Hollywood-Filme in lahme, entsexualisierte Märchen zu verwandeln.
Die Gedanken-Polizei marschierte mit wehenden Fahnen ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten ein:
Polizisten, Richter, Regierungsbeamte und angesehene Einrichtungen dürfen nie auf respektlose Weise dargestellt werden.
Szenen oder Abbildungen von Gegenständen, die mit Toten, Folter, Vampiren und Vampirismus, Ghuls, Kannibalismus oder Werwölfen assoziiert werden können, sind verboten.
Respekt vor den Eltern, dem moralischen Kodex und ehrenhaftem Verhalten soll gefördert werden.
Und so weiter. Comics, die sich dem Code unterwarfen, wurden mit einer anerkennenden Notiz im rechten oberen Eck gestempelt. Comics, die sich nicht an den Code hielten, hatten es schwer, einen Vertrieb zu finden und es überhaupt in die Kioske zu schaffen, wodurch sie quasi dem Untergang geweiht waren. Es schien, als ob nun sogar die Kunstform des Comics selbst, die ja die Superhelden hervorgebracht hatte, das ganze 2-D Universum, in dem sie lebten, in Gefahr wäre.
Das Goldene Zeitalter war vorbei. Aber die Welt, welche die Superhelden sterben sehen wollte, benötigte sie eigentlich mehr denn je zuvor. Das Amerika der Fünfziger war ein Land voller nervöser Angstmache und Paranoia, das sich am Abgrund einer thermonuklearen Katastrophe befand. Allein in der Nacht, umgeben von unerwartetem Luxus, waren die Amerikaner ein verängstigtes Volk: Man fürchtete sich vor der Bombe, dem Kommunisten, dem Neger, dem Homo, dem Teenager, den fliegenden Untertassen, der existenziellen Leere. Der Wettlauf um die Vormacht im Weltraum hatte begonnen. Und Kinseys bahnbrechender Report über die sexuellen Gewohnheiten der Amerikaner öffnete eine prall gefüllte Schatztruhe, die das zugeknöpfte Innenleben der Nation enthielt, und enthüllte eine Welt von polychromatischen und polymorphen Perversitäten, die sich bis dahin hinter der Fassade von Pfeife rauchenden Patriarchen und fürsorglichen Hausfrauen verborgen gehalten hatte.
Und während Amerika seinen Blick nach innen richtete, um Lösungen für seine Probleme zu finden, fand es stattdessen die Dunkelheit, und ein vielköpfiges Unding kam aus dem Keller und blinzelte ins Tageslicht: Anhänger von Überlebenssekten, gespaltene Persönlichkeiten und UFO-Kontaktler wie George Adamski waren alle zum Diskurs zugelassen, und die Leute waren gewillt, ihnen zuzuhören. Die Zen-Gammler und Beatniks schickten sich an, sich zu einer Bewegung zu entwickeln. Der Schwule, der Kriminelle, der Verkommene und der Inspirierte erhoben sich wie Morlocks aus den unterirdischen Nachtclubkellern und verbreiteten ihre Poesie. Die Verbreitung von Marihuana und psychedelischer Substanzen durch den Jazz-Underground und die Kunstschulen sowie die aufkommende Rock’n’Roll-Kultur beschleunigten den Aufstieg dieser Randphänomene. Der Drang, das amerikanische Unterbewusstsein zu kontrollieren und zu zähmen, brachte neue Dinge hervor, die kontrolliert werden mussten, neue und absonderliche Ideen, die es zu verstehen und zu interpretieren galt.
Zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts hin beschleunigte sich der Verlauf der Geschichte rapide, und der Strom der Zeit konnte auch nicht mehr gebremst werden. Nichts war mehr so wie einst. Weder der Krieg noch der Frieden – und man selbst auch nicht. Vielleicht hätten nur die Superhelden dieser rasanten Medienwelt einen Sinn verleihen können, aber sie waren verschwunden, verbannt durch ihre angsterfüllte Gegnerschaft.
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