Niemand hatte erwartet, dass wir so gut sein würden, aber Michael riss die Leute mit. Uns war egal, dass es nur die örtliche Schule war. Für Kinder ist eine jubelnde Menge eine jubelnde Menge.
Nach dem Konzert sprangen wir hinter der Bühne wild herum und durchlebten den ganzen Auftritt noch einmal. Es war ein bisschen so, als hätte man einen Homerun geschafft oder ein entscheidendes Tor geschossen. Joseph war … zufrieden. „Im Großen und Ganzen wart ihr recht gut“, erklärte er, „aber es liegt noch einiges an Arbeit vor uns.“
Das Nächste, woran ich mich erinnere, war der Moderator, der uns zu den Gewinnern erklärte. Wir rannten zurück auf die Bühne. Noch mehr Kreischen. Lustigerweise war unter den anderen Künstlern, gegen die wir uns durchgesetzt hatten, auch Deniece Williams, die einige Jahre später mit „Let’s Hear It For The Boy“ einen Riesenhit landete. Josephs Anerkennung brauchten wir an diesem Abend nicht: Wir hatten bei unserem ersten großen Auftritt richtig abgeräumt, und das reichte uns erst einmal.
Wir fuhren nach Hause und feierten mit reichlich Eiscreme. Joseph deutete in die Ecke unseres Wohnzimmers, in dem unsere stolze kleine Auswahl von Baseball-Pokalen stand, die von der anderen großen Begeisterung kündete, die wir alle teilten. Die Pokale standen da, als wollten sie unabsichtlich die These untermauern, die er immer wieder aufstellte: Bei Wettbewerben geht es nur darum, der Beste zu sein!
Aus unserem Zimmerfenster hatten wir einen freien Blick auf das Baseballfeld neben der Theodore Roosevelt High, auf dem wir spielten. Wenn man uns damals gefragt hätte, ob wir lieber als Musiker oder als Sportler Erfolg haben wollten, hätten wir uns sicherlich für Baseball entschieden. Vor allem Jackie, die Sportskanone unserer Familie. Wenn er Ärger mit Joseph hatte und für kurze Zeit abhaute, dann wussten wir, wo er zu finden war – er hockte auf dem Feld vor der Tribüne, warf den Ball mit einer Hand und fing ihn immer wieder mit seinem Fängerhandschuh.
Wahrscheinlich hätten wir vor allem eher deswegen Ja zum Baseball gesagt, weil uns dieser Traum realistischer erschien und sich drei von uns als Spieler bereits hervorgetan hatten. Die winzigen goldenen Figuren, die oben auf den Pokalen ihre Schläger schwangen, waren Beweis für den Ruhm und die gewonnenen Wettbewerbe mit den Katz Kittens, unserem Team aus der Baseball-Kinderliga von Gary. In unserer Jugend sahen wir uns viele Spiele der Chicago Cubs an und wollten unbedingt ihren Stars Ernie Banks und Ron Santo nacheifern.
Jackie war so gut, dass sich bereits die ersten Talentsucher um ihn bemühten, und er war sich sicher, dass er schon bald einen richtigen Vertrag bekommen würde. Er war ein großartiger Pitcher und Batsman und holte einen Homerun nach dem anderen für unser Team. Sein Herz gehörte dem Baseball, das war bei ihm noch ausgeprägter als bei uns anderen. Bei den Spielen war Michael unser Mini-Maskottchen und saß mit Marlon und Joseph in einem kleinen grünweißen Trikot, das ihm über der Jeans bis zu den Knien hing, auf der Tribüne, futterte rote Zuckerschnüre und jubelte begeistert, sobald einer von uns den Ball bekam. Eines Abends fand unter der Woche einmal ein großes Spiel gegen einen Konkurrenten aus der Gegend statt, ein Playoff oder dergleichen. Ich spielte im Outfield, Tito stand am zweiten Base, und Jackie war Pitcher. Wir drei hatten inzwischen schon einen recht guten Ruf, vor allem aufgrund von Jackies hervorragenden Würfen.
Während der Aufwärmphase schlug der Trainer immer wieder Bälle in die Luft, damit wir uns beim Fangen locker machten. Einer der Bälle flog so hoch, dass er beinahe die Wolken kratzte, bevor er wieder zur Erde fiel. Wir wussten, dass wir laut rufen sollten, wenn wir einen Ball für uns beanspruchten, also rannte ich los, die Augen auf den Ball gerichtet, und brüllte: „Den hab ich! Das ist meiner!“ Wesley, unser Fänger, der sich schon die Maske heruntergerissen hatte, lief ebenfalls los, aber er forderte den Ball nicht für sich und hatte mich offensichtlich nicht gehört. Auch er hatte nur Augen für den Ball. Und dann – KRACH! – stießen wir zusammen. Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich Sterne, ohne dass ich Josephs Gürtel auf meinem Hintern fühlte. Wesleys Stirn prallte gegen meine rechte Augenbraue und verursachte dabei eine große Platzwunde. Wesley selbst kippte bewusstlos um, und überall war Blut. Dann erschienen viele besorgte Gesichter über mir, aber sie verschwanden wieder und machen Platz für Joseph, und allmählich klärte sich mein Blick. Seine entsetzte, gequälte Miene stand mir vor Augen, während man mich ins Krankenhaus brachte, wo ich dann mit 14 Stichen genäht wurde. Ich war ziemlich mitgenommen, mein Gesicht war geschwollen und sah übel aus – und damit war mein „Image“ als Entertainer in Gefahr. Während Mutter Gott dafür dankte, dass mein Augenlicht keinen Schaden genommen hatte, ärgerte sich Joseph darüber, dass er nicht von vornherein verhindert hatte, dass ich mich derart verletzte. „Für dich ist Schluss mit Baseball, Jermaine“, erklärte er. „Und für euch anderen auch. Kein Baseball mehr! Das ist zu gefährlich.“
An viel mehr kann ich mich nicht erinnern, was diesen Tag angeht, außer dass Jackie ungeheuer traurig war, weil sein Traum damit gestorben war – und das nur, weil ein Junge nicht auf meinen Ruf geachtet hatte. „Eines Tages wirst du mir danken“, erklärte ihm Joseph mitleidslos. „Du bist noch zu jung, um das zu verstehen.“
Da wir den Talentwettbewerb der Roosevelt High gewonnen hatten, nahmen wir automatisch an einer weiteren Veranstaltung teil, bei der wir gegen die Sieger anderer Schulen aus der Gegend antraten. Auch dort gewannen wir, und das Blitzlicht der Gary Post-Tribune hielt unseren Triumph für die Nachwelt in Schwarzweiß fest. Ich erinnere mich deswegen noch so gut an das grobkörnige Foto, weil immer noch ein dicker Verband über meiner rechten Braue klebte. Wie wichtig uns der erste Platz tatsächlich war, mitsamt dem dazugehörigen Prestige und der Auszeichnung, wurde uns klar, als wir einmal nicht gewannen. Das geschah an der Horace Mann High School, und es ist mir vor allem wegen des Preises für den zweiten Platz noch so gut in Erinnerung: Es gab einen nagelneuen Farbfernseher.
Das Problem war, dass Joseph mit dem Verlieren nicht gut zurechtkam, und deshalb wusste niemand von uns so genau, wie wir reagieren sollten. Sicher, eine Niederlage war natürlich nicht toll, aber für uns gab es trotzdem keinen Grund, übermäßig enttäuscht zu sein. Schließlich brach Marlon das Eis, als wir unsere Sachen einpackten und die Schule verließen. „Wenigstens haben wir einen Farbfernseher bekommen!“ Damit sprach er aus, was wir alle dachten: Die Zeiten, in denen wir Filme durch den Schleier der eingefärbten Plastikfolie gucken mussten, näherten sich offenbar ihrem Ende.
Nur für Joseph lag in einem solchen Trostpreis nichts Tröstliches. „Es gibt nur einen Gewinner, und es geht immer um den ersten Platz, nicht um den zweiten!“, grollte er und warf uns allen böse Blicke zu. Wir holten den Fernseher an diesem Tag dann nicht ab: Joseph sagte, dass wir ihn nicht verdient hätten. Für den zweiten Platz gab es eben keine Auszeichnung.
Ich wünschte, ich hätte in diesen aufregenden Zeiten Tagebuch geführt oder mir zumindest die Berichte über uns ausgeschnitten, um meiner Erinnerung auf die Sprünge zu helfen – vor allem jetzt, da Michael nicht mehr unter uns ist. Bei einem schweren Verlust klammert man sich an Erinnerungen, man möchte sich jede kleinste Einzelheit wieder ins Gedächtnis rufen, die einem einst so völlig selbstverständlich erschien. Damals entwickelte sich alles so schnell, dass die Auftritte und die Jahre regelrecht ineinander übergingen. Heute erscheinen mir die frühen Jahre der Jackson 5 wie eine Fahrt mit dem Hochgeschwindigkeitszug: Die Orte, an denen wir vorüberkamen, verschwammen, und nur die Abfahrt, das Ziel und einige denkwürdige Haltepunkte auf der Strecke stehen mir noch lebhaft vor Augen. Zwischen 1966 und 1968 waren wir an den meisten Wochenenden unterwegs und bastelten an unserer Karriere. Wir spielten vor ganz unterschiedlichem Publikum: vor uns freundlich gesinnten, begeisterten, betrunkenen oder gleichgültigen Leuten. Normalerweise war die Aufmerksamkeit der Zuschauer schon geweckt, wenn fünf Kinder auf die Bühne kamen, und der Niedlichkeitsfaktor war klar auf unserer Seite, vor allem dank Michael und Marlon. Am großartigsten fühlten wir uns immer, wenn es uns gelungen war, eine zunächst recht reservierte Menge richtig aufzutauen.
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