Wie immer in unserer Familie hatte Joseph das letzte Wort. Er sagte, es sei eine notwendige Investition, um die Jungs zu unterstützen.
Noch nie zuvor hatte ich erlebt, dass sich unsere Eltern stritten, weil Mutter normalerweise immer sofort nachgab, aber dieses Mal war Joseph zu weit gegangen. Zum einen hatte er sie nicht gefragt, zum anderen war er an ihre geheiligten Ersparnisse gegangen. „Du kriegst dein Zimmer, Katie“, versuchte er sie zu beschwichtigen. „Wir werden nach Kalifornien ziehen, und dann kaufe ich dir ein größeres Haus, aber unsere Jungs können ohne Instrumente nun mal nicht auftreten!“ In den nächsten Tagen hörten wir nachts immer wieder laute Stimmen aus dem Schlafzimmer. Mutter machte sich Sorgen, dass er Luftschlösser baute und uns Hoffnungen machte, die sich nie erfüllen würden. Joseph hingegen hielt daran fest, dass er das Richtige getan hatte, und bat um ihre Unterstützung. Das war seine Art, seine Liebe zu uns auszudrücken – er glaubte an unser Talent. Während Mutter uns mit ihrer Zuneigung und Zärtlichkeit überschüttete, steuerte Joseph das bei, was sie nicht vermitteln konnte: Selbstvertrauen und Überzeugung. Es waren Gegensätze, die uns aber mit all dem versorgten, was man von seinen beiden Eltern mitbekommen sollte. Mutter war jemand, der das Leben pragmatisch betrachtete, während Joseph eher bereit war, Risiken einzugehen und hoch zu pokern. Seine ruppige Liebe zu uns zeigte sich nicht in Streicheleinheiten, sondern in der Konzentration und Disziplin, die er in uns weckte, und in dem Respekt, den er einforderte. Es war eine Liebe, wie ein Football-Coach sie für sein Team empfindet, wenn er immer wieder das Motto ausgibt, dass es nur ums Gewinnen des nächsten Spiels geht. Er drückte seine Zuneigung anders aus, mit einem Schulterklopfen, einem Lächeln oder vielleicht einmal einem aufgeregten Händeklatschen. Anders wusste er uns nicht zu vermitteln, dass er uns liebte.
Ein paar Wochen lang herrschte bei uns zu Hause dicke Luft, aber irgendwann beruhigte Mutter sich und beschloss, Joseph zu vertrauen, dass die Investition sich tatsächlich auszahlen würde. Wir bekamen allerdings überhaupt nicht mit, dass jetzt die Chips in unserem Namen aufs rote Feld geschoben wurden.
Das Radio knisterte und knackte bei der Übertragung in jener Nacht im Jahr 1964, und das Haus war so still wie noch nie zuvor. „Guten Abend, liebe Sportfreunde im ganzen Land“, meldete sich der Box-Kommentator, „bald werden eure Fragen beantwortet. Liston in weißen Hosen mit schwarzen Streifen. Clay, eineinhalb Zentimeter größer, in weißen Hosen mit roten Streifen …“ Es faszinierte mich, dass uns dieser Mann so mitten ins Geschehen versetzen konnte und ein so lebendiges Bild von der Szene malte, dass wir sie selbst zu sehen glaubten. Josephs Spannung verstärkte sich, er saß vornübergebeugt auf dem Küchenstuhl direkt neben dem Radio, das auf einer kleinen Anrichte stand. „Der Schwergewichts-Weltmeister“, fuhr die Stimme fort. „Wenn dieser Kampf über die erste Runde hinausgeht, wäre das bereits eine Überraschung …“
Wir hörten den Rundengong. Die Menge brüllte. Wir stellten uns vor, wie der Herausforderer – Cassius Clay, der Mann aus Louisville in Kentucky – mit einem Satz aus seiner Ecke sprang, um den amtierenden Weltmeister Sonny Liston anzugreifen. „Und nun geht es los!“
Lange bevor der damals 22-jährige Cassius Clay als Muhammad Ali, „der Größte“, bekannt wurde, hielten wir ihm die Daumen, weil Joseph seine Art zu Boxen liebte und außerdem meinte, wir sollten den Underdog unterstützen, der mutig genug war, den Besten herauszufordern. Joseph hatte selbst als Jugendlicher in Oakland an Boxwettkämpfen teilgenommen; er forderte Tito, Jackie und mich auf dem Rasen vor dem Haus immer wieder heraus, wenn wir unsere roten Handschuhe trugen, und er brachte uns bei, „nie und vor niemandem Angst zu haben“. Er spielte den Schiedsrichter bei Kämpfen mit anderen Kindern aus der Straße, und Michael saß dann auf der Eingangstreppe und rief: „Schlag ihn! Schlag ihn! Schlag ihn!“
Joseph brachte uns die richtige Technik bei und zeigte uns, wie man auf seine Deckung achtete. „Niemand schlägt einen Jackson“, pflegte er zu sagen, und tatsächlich gelang das auch niemandem. Joseph sagte, er habe früher mit einer der soliden Eichentüren von Papa Samuel trainiert, nicht mit einem Sandsack – das stärke die Hornhaut und härte den Geist ab. Er war der stärkste, härteste und zäheste Mann, den wir kannten, und ich bin mir sicher: Als wir dem Kampf im Radio lauschten, stellte er sich vor, selbst im Ring zu stehen.
Auch in diesen Momenten konnte er es sich nicht verkneifen, einen Zusammenhang mit dem Entertainment auf der Bühne herzustellen. „Schwebe wie ein Schmetterling, stich wie eine Biene – so müsst ihr bei euren Auftritten sein“, erklärte er in Anlehnung an einen Ausspruch Clays auf der Pressekonferenz in der Vorwoche. Joseph fand überall nützliche Assoziationen und verpackte sie als kleine Lektionen. Genauso war es mit Jim Brown von den Cleveland Bears, wenn wir vom Football schwärmten. Die Nummer 32, der größte Runningback aller Zeiten, war ein Beispiel für Entschlossenheit und harte Arbeit: „In den letzten neun Jahren hat er nie ein Spiel oder ein Training ausgelassen, weil er weiß, dass man sich immer wieder anstrengen muss, wenn man der Beste bleiben will.“
Sogar in die Aufgaben, die er uns übertrug, verpackte Joseph nützliche Lehren. Der Stapel Steine, der sich noch immer hinter dem Haus befand – jene Steine, von denen Mutter inzwischen wusste, dass aus ihnen nun doch kein Anbau mehr werden würde –, erfüllten immer noch einen Zweck. Es waren sicher um die hundert richtig schwere Betonsteine, die links vom Haus aufgeschichtet waren, und uns wurde aufgetragen, sie einen nach dem anderen auf die andere Seite zu schleppen. Eine völlig sinnlose Übung, aber wir hinterfragten sie nicht, wir taten, wie uns geheißen wurde. Wenn Joseph nach Hause kam, nahm er unsere Arbeit in Augenschein. Alle Steine hatten genau bündig auf den anderen zu liegen, so dass die Kanten eine gerade Linie bis zum Boden bildeten. „Nein … das macht ihr noch mal. Ich möchte, dass sie ordentlich aufgestapelt sind.“ Also schleppten wir sie von rechts zurück nach links, bis sie eben ordentlich lagen. Blasen, Schürfwunden und kleine Schnitte lehrten uns Disziplin, Perfektion und Teamgeist. Wie man alles richtig macht. Keine Fehler zulässt. Wenn einer aus der Gruppe patzt, dann kommen auch alle anderen aus dem Tritt, und es sieht nicht mehr gut aus. Wie sich zum Beispiel auch bei der Choreographie zeigte.
All das erklärt vielleicht, wieso einige von uns als Erwachsene Zwangsstörungen entwickelten. Wenn Michael in ein Zimmer kam und sah, dass ein Kissen „falsch lag“, dann rückte er es zurecht. „Das kann ich nicht mit ansehen“, sagte er dann lächelnd. Mir ging es genauso, und Rebbie auch. „Erinnert ihr euch an die Betonsteine?“, fragten wir uns dann und lachten uns kaputt.
Als dann Cassius Clay in der Boxszene von sich reden machte, diente er Joseph als hervorragendes neues Beispiel für seine Lektionen. Denn hier war ein neues Gesicht, ein Mann, dem keiner der Experten etwas zutraute, aber der dennoch ein unerschütterliches Selbstbewusstsein besaß. Während wir dem Kampf lauschten und der Kommentator uns die erste Runde schilderte, lieferten sich Michael und Marlon einen Schattenboxkampf. Sonny Liston schlug öfter daneben, als dass er traf. „Die Beinarbeit ist das Wichtigste“, erklärte Joseph. Mutter brummte leise vor sich hin, dass sie von einem so gewalttätigen Sport prinzipiell nichts halte, aber Joseph hörte nicht zu – er war viel zu sehr damit beschäftigt, den Radiobericht mit Blick auf unsere Ziele für uns zu übersetzen. „Sonny Liston ist wie euer Publikum – ihr müsst raus auf die Bühne, richtig explodieren und die Leute umhauen!“
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