Sich selbst dieser Gruppe anzuschließen, übte keinen Reiz auf sie aus, da sie sich auf den Gospel, den sie so spektakulär zu singen verstand, konzentrieren wollte. Aber sie kannte mich gut und hätte das Angebot nicht an mich weitergeleitet, wenn sie nicht gedacht hätte, dass es sich für mich lohnen würde.
Zwar hatte ich ihr gesagt, dass ich nicht interessiert wäre, aber die Sache ging mir nicht mehr aus dem Kopf und nachdem ich wenig später wieder nach England zurückgekehrt war, quälte mich der Gedanke daran regelrecht. Dornee hatte ganze Arbeit geleistet. Auch wenn ich sofort wieder in meinen familiären Alltag einstieg, wachte ich jeden Tag auf und dachte: „Was ist nun mit dieser Gruppe?“
Als ich mich dann wieder in Hamburg aufhielt, fragte ich den Mann, mit dem ich mich damals traf, einen Deutschen, was er darüber dachte – und vielleicht war es ja seine Antwort, die letztlich den Ausschlag für meine Entscheidung gab: „Glaubst du nicht, dass du schon ein bisschen zu alt bist, um in eine Popgruppe einzusteigen?“ Dabei war ich gerade mal 27! Egal, wie alt das irgendjemandem vorkommen mochte, oder wie alt ich im Vergleich mit anderen Popsängerinnen war – für mich machte das keinen großen Unterschied, da ich mich noch am Anfang dieser Reise wähnte: Ich befand mich an der Schwelle zu einer wunderbaren Karriere.
Also griff ich zum Hörer und rief Dornee in der Hoffnung an, dass die Stelle nicht schon vergeben wäre. Sie sagte, sie müsste zuerst Frank fragen. Als sie das getan hatte und sich bei mir meldete, war ich ziemlich überrascht, dass er sich immer noch auf der Suche befand. Die Würfel waren gefallen! Wenn der Job nach ein paar Monaten immer noch zu haben war, dachte ich, war er für mich bestimmt. Es war Schicksal. Nachdem ich so vehement darauf bestanden hatte, mich nie wieder einer Gruppe anzuschließen, rechtfertigte ich das mir selbst gegenüber: „Hier geht es darum, einen wichtigen Schritt nach vorne zu machen. Ich habe zwar einen eigenen Plattenvertrag, aber in den letzten Jahren habe ich nicht viele Fortschritte gemacht. Wenn jetzt ein neuer Produzent daherkommt, der sich dafür interessiert, mit meiner Stimme zu arbeiten, ergibt sich daraus vielleicht eine große Sache. Also warum nicht einfach ausprobieren?“ Es ist albern, sich nur um seiner selbst willen an Prinzipien festzuklammern. Manchmal muss man sich eben auch auf Kompromisse einlassen. Und ich wusste von Anfang an, dass ich nichts zu verlieren hatte, wenn es nicht funktionieren würde. Ich könnte dann ja immer noch meine Solokarriere weiterverfolgen.
Meine Kontaktperson war Katja Wolfe, eine Deutsche, die, das nahm ich an, für Frank Farian Talente aufspürte. Sie traf sich mit mir in einer Bar in Hamburg und brachte Maizie Williams mit. Maizie schloss sich als erste dieser neuen Gruppe an. Sie hatte gute Moves drauf, weil sie zuvor in einer Oben-Ohne-Bar in Hannover getanzt hatte. Solche Kneipen waren damals in Deutschland ziemlich angesagt. Tatsächlich gab es so viele von ihnen, dass ich immer ein wenig schräg angeguckt wurde, wenn ich nach London zurückkehrte und sagte, ich würde in Deutschland als Tänzerin arbeiten. Als ob ich etwas Unlauteres gemacht hätte! Wenn ich tanzte, trug ich Glockenhosen und verknotete meine Hemdschöße unter meinen Brüsten. Ich habe noch Fotos von damals, die das beweisen.
Ich nahm meine Mappe mit Presseschnipseln und Fotos zu unserem Meeting mit. Obwohl Katja beeindruckt schien, dass ich tatsächlich singen konnte – ich nehme an, sie erwartete jemanden, der bloß tanzte und gut aussah –, gab sie sich einigermaßen zugeknöpft: „Gut, ich werde das Herrn Farian mitteilen. Du musst dich nur mit ihm treffen und, wenn er das will, ein wenig vorsingen.“ Das war auch schon alles. Ich sollte bald herausfinden, dass allein das schon ein großes Lob war.
Daraufhin gingen ein paar Wochen ins Land. Dann erfuhr ich, dass Frank mich in Saarbrücken, nahe der französischen Grenze, vorsingen lassen würde, wo er und sein Arrangeur Stefan Klinkhammer lebten. Stefan begleitete mich in seiner Wohnung bei „Get Ready“ und ein paar weiteren Nummern. Frank saß nur da, und als ich fertig war, sagte er: „Das wird reichen.“ Mein erster Gedanke war: „Menno! Ist das alles, was ihm einfällt?“ Er erkundigte sich mehrmals, ob ich noch ein paar andere Schwarze kennen würde, was ich ein wenig seltsam fand. Suchte er wirklich nach einer Sängerin, oder wollte er nur eine kleine Marionette, die sich einfach zu seiner Musik bewegte? Wie sich herausstellen sollte, war es genau das, was er sich wünschte.
Frank Farian hatte mit „Baby Do You Wanna Bump?“ selbst eine Platte als Interpret herausgebracht, auf der er alle Gesangsparts übernommen hatte. Viel Text hatte er dabei nicht zu bewältigen gehabt. Zwar konnte er damit in Deutschland keine großen Erfolge verbuchen, doch zumindest in den Niederlanden gelang ihm ein Überraschungs-Hit. Der Name, den er seiner Gruppe verpasst hatte, lautete Boney M. – inspiriert von einem australischen Fernseh-Detektiv namens Boney. Das M. fügte er hinzu, weil es dem Namen einen besseren Klang verlieh.
Nun hatte tatsächlich eine niederländische TV-Show Boney M. für einen Auftritt gebucht. Da er nie eine Gelegenheit ausließ, ein paar Platten zu verkaufen, musste Frank seiner rein fiktiven Gruppe Leben einhauchen, weshalb er mich nun mit Maizie und einem Typen namens Bobby Farrell zusammenspannte, die er bereits ausgesucht hatte. Der ursprüngliche Plan lautete, dass wir für diesen Fernsehauftritt nur so tun würden, als ob wir performten. Ich nehme an, dass das der Grund war, warum er und Katja Wolfe unser Vorsingen so locker nahmen.
Bobby verdingte sich als DJ im selben Lokal, in dem auch Maizie getanzt hatte, sodass sie sich schon kannten. Ich traf ihn zum ersten Mal, als wir zu unserem TV-Gig in die Niederlande reisten. Wieder einmal passierte alles Hals über Kopf. Er schien mir ein anständiger Kerl zu sein. Vielleicht ein wenig extrovertiert, aber in unserem Geschäft muss das ja nicht unbedingt etwas Schlechtes sein. Er hatte als Einziger von uns nicht in England gelebt und stammte aus Aruba, einer ehemals niederländischen Kolonie in der Karibik. Von dort aus war er zunächst in die Niederlande gezogen, bevor er schließlich in Hannover landete. Dass Frank so erpicht darauf war, drei Mädchen in der Gruppe zu haben, lag daran, dass er bereits ein PR-Foto mit einem Typen und drei Girls hatte schießen lassen, dem er nun auch gerecht werden wollte. Allerdings bin ich mir sicher, dass es entweder niemandem auffiel oder jedem schlichtweg egal war, dass die Anzahl der Mitglieder sich von der auf dem Foto unterschied – oder dass gleich zwei der Personen nicht darauf vertreten waren: Nur Maizie war schon auf dem Promo-Foto zu sehen und sollte als Einzige ein vollwertiges Mitglied von Boney M. werden.
Wir absolvierten den Gig somit als Trio. Maizie und ich gaben vor, „Wuuuh-wuuuh-wuuuh“ zu singen, und Bobby war für jenen Part zuständig, in dem mit tiefer Stimme der Titel des Songs wiederholt wurde. Ich sagte ja bereits, dass die Nummer ohne allzu viel Text auskam. Bobby eilte der Ruf voraus, ein verwegener Tänzer zu sein, der seine eigenen Moves beisteuern konnte. Auch Maizie war eine gute Tänzerin, die zu improvisieren wusste. Da auch ich ein paar Jahre lang in der Top-Ten-Discotheque getanzt hatte, einem Club in Hamburg-Harburg, war diese Aufgabe kein Problem für uns. Wir präsentierten den Song sehr dynamisch, aber ich muss gestehen, dass ich ihn schon damals nicht wirklich mochte. Auch dem gleichnamigen Tanz, dem Bump, konnte ich nichts abgewinnen. Als Frank ihn dem ersten Boney-M.-Album Take the Heat off Me hinzufügte, wurde der Song zu einem festen Bestandteil unseres Bühnenprogramms, den ich jedoch verabscheute, weil ich wusste, dass mein Hintern nun vier oder fünf Minuten lang angerempelt würde.
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