„Und Sie glauben, er ist Sir Francis’ Beispiel gefolgt?“
„Ich fürchte, ja.“
„Und nun ist man im Dorf verärgert darüber, daß die dumme Sarah in diese Geschichte verwickelt wurde?“
„Es geht weniger darum, daß sie dort hineingezogen wurde, als vielmehr um ihr Baby.“
„Ihr Baby?“ fragte Lord Melburne scharf.
„Sie schwor, ihr Kind sei von Nicholas Vernon. Aber einen Monat nach seiner Geburt verschwand es, und Sarah, die auf ihre Art sehr an dem Kind gehangen hatte und wohl auch eine gute Mutter war, beschuldigte Nicholas Vernon, das Kind in seinen Höhlen geopfert zu haben.“
„Mein Gott!“ stieß Lord Melburne hervor.
„Der Aufruhr war so groß, daß einige der Dörfler, angeführt vom Pfarrer, zu Sir Roderick gingen. Offensichtlich war dieser nicht sehr erstaunt über die Vorgänge in den Höhlen. Was ihn jedoch erschreckte, war der Vorfall mit dem Kind. Er hat dann wohl an Nicholas geschrieben und ihm mitgeteilt, daß er ihn enterbt hätte und ihn nie wieder auf Priory zu sehen wünschte.“
„Also so war das! Verflucht, Foster, ich hätte nie gedacht, daß es so etwas heute noch gibt.“
„Meiner Ansicht nach war Nicholas Vernon immer schon schlecht. Ich hatte nie eine gute Meinung von ihm, dachte jedoch nicht, daß es soweit mit ihm kommen würde.“
„Und sind die Höhlen jetzt verschlossen?“
„Das weiß man nicht. Niemand wollte das Land Sir Rodericks betreten, um das herauszufinden. Ich weiß nur, daß Mr. Nicholas seit einem Monat nicht mehr hier war oder ich es jedenfalls nicht erfahren habe.“
Nach einer kurzen Pause meinte Major Foster dann: „Aber Sie haben Sir Roderick gesehen. Hat er Ihnen nichts erzählt?“
„Nicht so ausführlich. Aber ich werde ihn heute nachmittag nochmals aufsuchen.“
Da Lord Melburne seinen Verwalter nicht ins Vertrauen ziehen wollte, sprach er anschließend mit ihm über geschäftliche Dinge und machte sich nach dem Mittagessen erneut auf den Weg nach Priory.
Dort empfing ihn der Butler mit den Worten: „Miss Clarinda ist im Moment beschäftigt.“
Als er die Treppe zu Sir Rodericks Zimmer hinaufgehen wollte, hörte er eine laute Stimme aus dem Arbeitszimmer.
„Wer ist bei Miss Clarinda?“ fragte er den Butler.
„Einer der Bauern, Mylord, ein ungehobelter Mann mit rauhen Manieren.“
Lord Melburne durchquerte die Halle und betrat das Arbeitszimmer. Clarinda saß hinter einem Schreibtisch, der sie noch zierlicher und zerbrechlicher erscheinen ließ. Davor stand ein großer, stämmiger, dunkelhaariger Mann, der mit einem Akzent sprach, an dem Lord Melburne sofort erkannte, daß es sich nicht um einen Mann vom Lande handelte.
Er sagte gerade: „Entweder Sie geben mir das Geld, oder ich geh ’rauf und verlang’ es von Sir Roderick. Ich kenn’ meine Rechte, und wenn Sie mir das Geld nicht geben - umso schlimmer für Sie!“
„Kann ich vielleicht helfen?“ fragte Lord Melburne.
Der Mann fuhr herum. Sein Gesichtsausdruck war feindselig, doch beim Anblick Lord Melburnes nahm er sofort eine unterwürfige Haltung ein.
„Ich habe nur um etwas gebeten, was mir zusteht, Sir.“
„Sie wissen sehr gut, daß das nicht wahr ist“, gab Clarinda zurück.
„Ich werde mit Sir Roderick darüber sprechen.“
Daß dies kein Wunsch, sondern vielmehr eine Drohung war, konnte Lord Melburne unschwer erkennen.
So sagte er: „Da Sir Roderick sich nicht wohl fühlt, werde ich meinen Verwalter, Major Foster, morgen zu Ihnen schicken. Er wird die Angelegenheit überprüfen und Miss Clarinda beraten.“
„Ich brauche Ihren Verwalter nicht. Mr. Nicholas weiß, wieviel mir zusteht.“
„Dann würde ich doch vorschlagen, daß Sie zu Mr. Nicholas gehen und dort Ihr Geld verlangen. Es wäre vielleicht auch gar nicht gut, wenn die Polizei Sie hier fände.“
„Ich habe verstanden, Sir. Ich werde morgen nicht mehr hier sein.“
Damit verließ er unter lautem Türenschlagen den Raum.
Lord Melburne drehte sich zu Clarinda um und sah die Furcht in ihren Augen.
„Nicholas brachte ihn vor zwei Monaten. Ich wollte Onkel Roderick nicht damit belästigen und gab ihm, was er wollte.“
„Hat Nicholas noch andere Männer hier untergebracht?“
Sie zögerte.
„Da ist nur noch einer, abgesehen von dem Diener Walter, den Sie heute vormittag gesehen haben. Der andere kam vor zehn Tagen und verlangte Dene’s Farm, nahe bei den Höhlen.“
Bei diesen Worten errötete sie, und Lord Melburne erkannte, daß sie die Geschichte der Höhlen kannte.
„Was für ein Mann ist das?“
„Er ist sehr seltsam. Er sieht mehr wie ein Priester als wie ein Bauer aus. Mit ihm kamen zwei Männer, vielleicht Verwandte, ich weiß es nicht. Auf jeden Fall schrieb mir Nicholas sehr eindringlich, daß sie den Hof zu bekommen hätten. Jemand mußte ihm erzählt haben, daß er leer stand.“
„Und Sie haben ihn ihnen gegeben?“
„Was sollte ich anderes tun? Ich konnte die neuen Pächter nicht mit Onkel Roderick zusammen auswählen und habe nicht die Macht, Nicholas etwas abzuschlagen. Soviel ich weiß, ist der Mann vor drei Tagen eingezogen.“
„Er gefällt Ihnen nicht?“
„Es ist etwas - Erschreckendes an ihm“, sagte sie schaudernd. „Ich kann es nicht erklären, aber er ängstigt mich.“
„Ich werde Foster sagen, er solle sich auch diesen Hof ansehen.“
„Ich möchte die Freundlichkeit Eurer Lordschaft nicht zu sehr beanspruchen, aber ich weiß nicht, was ich sonst tun kann.“
„Darf ich Ihnen versichern, daß ich nicht von Ihrer Schwäche profitieren werde?“
Sie schien verletzt zu sein, meinte dann aber: „Ich fürchte, Sie haben recht. Es ist Schwäche. Ich wünschte, ich wäre ein Mann. Dann könnte ich kämpfen und würde mit Männern wie diesen leicht fertig.“
Lord Melburne lächelte.
„Wenn Sie etwas älter sind“, sagte er, „werden Sie sehen, daß es viel leichter ist, als schöne Frau etwas zu erreichen.“
Er sprach fast zärtlich, so sehr bezauberte ihn ihre Schönheit.
Überrascht sah sie ihn an, dann sagte sie mit eisiger Stimme: „Soweit es Sie betrifft, Mylord, wäre ich ganz sicher lieber ein Mann.“
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