Nachträglich erklärte sich so auch, weshalb meine Tante Thea sich im letzten Jahr ihres Lebens Attila gegenüber so abweisend verhalten hatte. Mit Sicherheit hatte diese das von Uschi bei der Anwaltskanzlei angeforderte Gutachten über seine Firmen bezahlen dürfen, und Uschi zeigte ihr hernach die darin angegebenen Beträge, welche die immensen Verbindlichkeiten der Firma überhaupt nicht berücksichtigt hatten. So hatte sie wohl davon ausgehen müssen, dass Attila tatsächlich all sein Geld an Uschi vorbeischmuggelte und ihr böswillig vorenthielt.
Am Mittwoch, den 16. Februar wollte ich eigentlich meinen ersten Vertrag für Sal News abschließen; leider scheiterte ich trotz der Tatsache, dass ich einen Termin vereinbart hatte, am engen Zeitplan des Managers. Ich musste mich notgedrungen bereit erklären, am nächsten Tag noch einmal wiederzukommen.
Was blieb mir anderes übrig? Ich beschloss dann, wenigstens bei den netten Engländern der Oasis-Bar noch einmal vorbeizuschauen. Und siehe da, man wollte eine Anzeige. Aber die Chefin sei leider erst am Montag wieder im Haus, erklärte man mir. Also musste ich auch dort noch ein drittes Mal vorsprechen. Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen.
Als ich zurück nach Hause kam, hatte Attila schon wieder einen Schriftsatz der gegnerischen Anwältin auf dem Schreibtisch liegen. Dieser enthielt eine Aufstellung über Uschis Kosten, die sie für ein Jahr aufgelistet hatte und welche exorbitant hoch waren für eine Hartz-IV-Empfängerin. Allein schon die Kosten für das Auto, das sie eigentlich gar nicht brauchte, waren doppelt so hoch wie die unseren angesetzt – obwohl es sich dabei um ein baugleiches Fahrzeug handelte und auch unseres finanziert war.
Was sehr zu Buche schlug, waren natürlich die Hortkosten für alle drei Kinder, die dort auch Essen bekamen. Diese Kosten wiederum hätte sie komplett einsparen können, wenn sie sich selbst am Nachmittag um die Kinder gekümmert hätte.
Außerdem – was mussten Attila eigentlich die Kosten seiner Ex kümmern, was ging ihn das an? Den tatsächlich notwendigen Bedarf beglich die ARGE, was darüber hinaus ging, war eben Luxus. Uschi arbeitete nicht, sie gab einfach dauerhaft zu viel Geld aus, schob die Kinder ab und erwartete dann noch, dass irgendwer die Kosten ausglich. Hoffentlich merkte der Richter das nun endlich auch einmal.
Interessierte es irgendjemanden, welche Ausgaben Attila hatte? Wie er überhaupt von seinem Geld lebte, von dem ihm nicht einmal ein Betrag unterhalb der derzeitigen deutschen Pfändungsfreigrenze blieb, obwohl er jeden Tag mindestens 10 bis 12 Stunden arbeitete? Nein! Hoffentlich, hoffentlich würde die Hauptverhandlung endlich einmal klare Verhältnisse schaffen.
Wie ich es mir schon gedacht hatte, lagen dem Schriftsatz auch ein paar Atteste einer gewissen Frau Dr. Geisser bei, welche Uschi bescheinigen sollten, dass sie wegen dieser Scheidung unter einer »Belastungsreaktion« leide, somit nicht arbeiten könne. Die familiäre Situation habe sich verschärft.
Auch da stellte sich mir die wohl berechtigte Frage, weshalb man Attila ständig ohne Weiteres die volle Arbeitsbelastung zumuten konnte, obwohl auch er bereits erhebliche psychische und mittlerweile sogar körperliche Schäden davontrug. Er war nach dortiger Ansicht voll arbeitsfähig, sollte schön brav zahlen und auch noch jeden Cent, den er selbst ausgab, rechtfertigen. Falls der Richter das auch so sah, dann ade, du lieber Rechtsstaat.
Wie weit es mit Recht und Gesetz, mit Anstand und Ehre in Deutschland schon gekommen war, lebten uns einmal mehr die Politiker vor. Da ertappte man den Verteidigungsminister, weite Teile seiner Doktorarbeit einfach abgeschrieben zu haben. Erst leugnete er notorisch, dann gab er zwar Fehler zu, nachdem man sie ihm zweifelsfrei nachgewiesen hatte, weigerte sich aber, zurückzutreten.
Jeder Schüler wäre da von der Schule geflogen, hätte man ihm solch ein eklatantes Betrugsvergehen nachgewiesen. Der adelige Herr Minister aber tat, als sei so etwas ein durch Stress entstandenes Kavaliersdelikt, es habe mit seinem sonstigen Charakter nichts zu tun. Und die Bundeskanzlerin stärkte ihm auch noch den Rücken. Der Doktortitel wurde ihm von der Uni aberkannt, was er mit trotziger Arroganz zur Kenntnis nahm. Deutschland, deine glänzenden Vorbilder.
Attilas Anwalt reagierte auf die Schriftstücke der Gegenseite angemessen. Erstens schickte er dem Strafgericht eine gut formulierte Erwiderung gegen die Strafanzeige und kehrte diese gleich gegen Uschi; mit der Begründung, sie habe absichtlich Falschangaben gemacht, was absolut zutreffend war. Die Angaben in der gesamten Anzeige waren erstunken und erlogen. Ging man von gängiger Rechtsprechung aus, hätte Uschi jedenfalls ihren Ehegattenunterhalt wegen der vorsätzlichen Falschangaben verwirkt. Da war ich gespannt, das ließ hoffen.
Zweitens gab er Attilas 12-seitige Erläuterungen zur finanziellen Situation der Firma, sowie die der Privatperson Attila Szábo ans Familiengericht weiter. Sollten die Justizbeamten die Angaben glauben oder lieber einen für den Steuerzahler kostspieligen Wirtschaftsprüfer beauftragen, Attila war es mittlerweile einerlei. Wenn der Richter unbedingt meinte, so konnte er auch die Firmenpleite in Kauf nehmen. Wozu hatte man noch eine spanische S. L. zum Arbeiten parat?
Nach zahllosen E-Mails und sonstiger Verlagskorrespondenz stand am Tage vor der Abreise nun endlich fest, dass ich mein Buch »Himmel noch mal!« bei einem kleinen Verlag aus Gelnhausen veröffentlichen würde. Dieser Verlag bot mir faire Konditionen und erschien mir nach dem Bauchgefühl als passendster Vertragspartner. Mit der netten Lektorin jagte ich schon seit Wochen nette Mails hin und her.
So konnte ich während der Deutschlandfahrt, die keiner von uns antreten mochte, wenigstens meine Unterlagen dorthin bringen oder sie von Deutschland aus absenden; die spanische Post verlangte immense Summen für dicke Briefe. Damit wenigstens eine Sache in die Wege geleitet wäre, die wichtig für unsere Zukunft werden könnte.
Ich freute mich sehr darauf, mein hart erkämpftes Werk demnächst in Händen halten zu dürfen. Gleichzeitig litt ich unter Magenschmerzen, weil ich überhaupt nicht einschätzen konnte, was mir in Deutschland sonst noch so blühte. Die Natur tat es jedenfalls nicht, Schnee und Eisregen waren angesagt.
Ansonsten ging zumindest in Spanien so einiges neue Wege. Im Fitness-Studio, bei dem ich eine Anzeige für Sal News an Land gezogen hatte, bot man uns die Möglichkeit an, in einen durchdachten Strukturvertrieb für alltägliche Gebrauchsprodukte einzusteigen. Außerdem eröffnete man mir, dass ich nach meiner Rückkehr aus Deutschland eine kostenlose Kosmetikbehandlung erhielte, meine Erfahrungen hinterher in einem Artikel für die Zeitung festhalten solle. Aber gerne doch, solche Zusagen fielen mir natürlich nicht schwer.
Ebenfalls nur kurze Zeit vor der Abreise erfuhr Attila durch die Anwaltskanzlei, dass am Vortag der Verhandlung alle drei Kinder vom Richter ohne Begleitperson persönlich gehört werden sollen; Attila hatte ja bemängelt, dass die Kinder nie adäquat befragt worden seien, bei wem sie wohnen wollten oder wie es ihnen ginge. Allerdings hatte ich den Eindruck, als ob dieses Zugeständnis ihn nicht wirklich freute. Entweder, weil er für sich selbst das Thema »Kinder« gedanklich schon ein wenig auf Abstand gebracht hatte und nun wider Willen daran erinnert wurde, oder weil er sich denken konnte, dass die Kinder vor dem Termin wieder durch Mama geimpft wären und dieser hernach auch Rechenschaft über ihre getätigten Äußerungen ablegen würden müssen.
Welches Kind getraut sich in einer derartigen Situation, seine wirklichen, vielleicht Mama-kritischen Gedanken preiszugeben?
Am Abend vor der Abreise installierte Attila eine Webcam im Büro unseres Hauses, die uns in der Ferne beruhigende Bilder von unserem intakten Arbeitsplatz zeigen sollte. Unsere norwegische Nachbarin hatte während eines Gesprächs vor einigen Tagen ziemliche Bedenken wegen eines möglichen Einbruchs wachgerufen, nachdem diese Siedlung in der Vergangenheit wiederholt heimgesucht worden war. Ihr hatte man vor ein paar Jahren den gesamten wertvollen Schmuck gestohlen und den kleinen Hund getreten. Fast wären sie und ihr Mann deswegen entmutigt für immer nach Norwegen zurückgekehrt.
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