Die Wochen vergehen und immer kommt Ilona mit Mucki. Wir mögen ihn nun nicht mehr so gerne, denn durch das ständige Treten ist der Hund irgendwie komisch geworden. Er knurrt und des Öfteren hat er schon bei einigen von uns unten am Hosenbein gezerrt und so ausgesehen, als wollte er zubeißen. Da er nun immer größer wird, ist das gar nicht mehr so lustig. Gestern hat das blöde Vieh gar den Saum meiner Lieblingsjeans zerfetzt und ich habe von meiner Mutter einen Anschiss kassiert.
Als es uns zu viel wird, beschließen wir, künftig auf Ilonas und Muckis Gesellschaft komplett zu verzichten, das kann man uns jetzt echt nicht mehr zumuten. Wir erklären ein Kellerabteil zur Bandenzentrale, sitzen auf Obstkisten und überlegen, was zu tun ist. Nachdem wir uns die Köpfe heiß geredet haben, steht fest: wir stellen eine Wache ab, die oben an der Haustür erst einmal überprüft, ob Ilona, ihre Mutter oder der dämliche Hund draußen vor dem Haus sind. Erst wenn Entwarnung gegeben wurde, verschwinden wir heimlich, still und leise, und zwar ohne Ilona und ihren Köter. Natürlich ist niemand von uns glücklich, der gerade zur »Muckiwache« eingeteilt wird.
Heute ist Sabrina oben. Sie pfeift dreimal Richtung Keller, und wir wissen: die Luft ist rein. Wie die Verbrecher drücken wir uns durch das dunkle Treppenhaus Richtung Haustüre, denn selbstverständlich wissen meine Eltern nicht, dass ihr Keller neuerdings eine Bandenzentrale ist. Uff, draußen! Jetzt schnell um den Block und hinunter zum Main, bis dorthin darf Ilona nicht.
Als wir gerade erleichtert um die Ecke biegen wollen, kommt Mucki, laut kläffend, wie ein bösartiger Blitz um die Ecke gehechelt. Ach, du Scheiße! Der hat ganz offensichtlich vor, uns anzugreifen, wahrscheinlich hat ihn Ilona gerade eben wieder gequält. Diese Erkenntnis macht uns Beine, wir rennen in alle Himmelsrichtungen panisch davon. Der hochgelobte Bandenmut hat uns gründlich im Stich gelassen.
Ich Idiotin habe mich ausgerechnet in eine Ecke manövriert, aus der ich Mucki nicht mehr entkommen kann. Er kommt näher, und ich überlege fieberhaft in größter Panik, wohin ich mich retten könnte. Da, ein Müllcontainer! Gerade noch rechtzeitig gelingt es mir, dort hinaufzuklettern, als Mucki seine spitzen Zähne schon wieder in den Saum meiner Hose gegraben hatte.
Ich sitze mit klopfendem Herzen und völlig aus der Puste auf dem metallenen Müllcontainer, froh über meine Rettung, und untersuche den Hosensaum. Ha, diesmal konnte er nichts ruinieren, der blöde Kläffer. Aus einem Hauseingang sehe ich vorsichtig die Hannelore hervorlugen, ums Eck die dicke Ricke. Mucki steht vor der Mülltonne und verbellt mich nach Leibeskräften. Da will ich vor meinen Freundinnen natürlich als besonders stark dastehen, fange an, den Mucki zu verhöhnen.
»Na, du wandelnder Bettvorleger? Hast wohl noch gar nicht geschnallt, dass du gar kein richtiger Kampfhund bist, du lächerliche Schoßtöle??« Gelächter aus dem Hauseingang. Jetzt finde ich die ganze Sache relativ lustig, weiß allerdings noch nicht, wie ich jemals von der Mülltonne wieder herunterkommen soll, wenn das Vieh nicht bald verschwindet.
Dieser Entscheidung werde ich allerdings enthoben, und dies viel zu plötzlich. Unter meinem Hosenboden tut sich was, der große Deckel des metallenen Müllcontainers öffnet sich, rutscht nach hinten hinunter. Und ich schreiend mit ihm.
Plumps, lande ich genau vor Muckis Schnauze, der erfreut um die Mülltonne gerannt ist, um mich gebührend in Empfang zu nehmen. HRRRRRRR! Mucki fletscht das Gebiss, knurrt bedrohlich und macht sich daran, meine Kleidung zu zerfetzen. Da naht im Laufschritt Ilonas Mutter mit einer Leine, und da Mucki gar so sehr mit meiner Socke beschäftigt ist, die er haarklein zu zerlegen gedenkt, kann sie die Leine mühelos an seinem Halsband einhaken und ihn wegzerren. Gerettet!
Ich bin schon ein bisschen sauer auf die anderen, die mir nicht einmal zu Hilfe geeilt sind, sondern nur mit wohligem Schaudern abgewartet haben, ob ich nun gefressen werde oder nicht. Feige Schweinebande. Ich glaube, die nächsten Wochen dürfen sie auf meine Wenigkeit verzichten, ich werde mich erst einmal wieder hinter meinen Büchern vergraben. Wobei man Mucki nicht mehr gesichtet hat; ich glaube, der ist im Tierheim.
*
Am Dienstagmorgen tigerte ich los, um meine Wirkung als Vertreterin für Anzeigen auf die Geschäftswelt zu testen. Der Einstieg gestaltete sich erst einmal schwierig, denn die einen brauchten keine Werbung, weil sie ohnehin jede Menge Kundschaft bekamen. Die anderen hatten zum Zeitpunkt des Besuchs den Geschäftsinhaber nicht zum Gespräch vorrätig, dort konnte ich nur Preisliste, Heftchen sowie meine Telefonnummer hinterlassen, musste später nachbohren. Aber zum Schluss stellte sich doch noch ein Erfolgserlebnis ein. Und was für eines!
Ich beschloss, einem neu eröffneten Fitnessund Wellnesscenter einen Besuch abzustatten. Und Bingo – man suchte noch nach einer Möglichkeit, den Club bei den deutschen Residenten bekannt zu machen und seine Eröffnungsangebote zu präsentieren. Dort konnte ich einen Termin für ein Interview vereinbaren, denn man wollte eine größere Anzeige für mehrere Monate schalten. Diesen Vertrag hatte ich praktisch in der Tasche. Die netten dänischen Inhaber zeigten mir nach dem Gespräch noch stolz das mehrstöckige Haus.
Und was für ein Haus! Erstens war es äußerst geschmackvoll eingerichtet, wobei Dunkelbraun und Apfelgrün dominierten. Alles war perfekt durchgestylt. Man bekam jede nur erdenkliche Wellnessund Schönheitsbehandlung geboten: von der Kosmetikerin über Kneipp-Anwendungen, Sauna, Frisör, Fitness oder kleine, feine Snacks, und das alles in einem Traum-Ambiente.
Wenn ich nur an jenen Raum denke, in welchem Salz aus dem Himalaya ausgelegt war und alles in orangefarbenen SalzlampenDesign erstrahlte. Außerdem glänzte der Laden mit sehr freundlichem Personal, ich wollte dort am liebsten gar nicht mehr weg. So kam ich nicht, wie ich es befürchtet hatte, frustriert, sondern eher beschwingt nach Hause. Für einen ersten Tag war das Ganze nett gewesen.
Am Abend meldete sich Marco bei Attila mit der Begründung, dass er das Mailstündchen am Vortag vergessen habe; die beiden kommunizierten ein paar Minuten, dann war das Söhnchen auch schon wieder weg vom Rechner.
Auch am folgenden Tag machte ich meine Runde, um Anzeigen an den Mann oder die Frau zu bringen. Die Reaktionen fielen sehr unterschiedlich aus. Während man in manchen Geschäften und Bars Interesse zeigte oder es wenigstens heuchelte, kam man sich in anderen vor, als sei man ein nerviger Störenfried. Gleich entscheiden wollte ohnehin keiner, ob man sich zu einer Anzeige durchringen könne; somit konnte ich nur Angebot und Telefonnummer hinterlassen und später wiederkommen. Eigentlich gar nicht mein Fall.
Am Donnerstag war ich längere Zeit mit Attila unterwegs, um einzukaufen und ähnliches, hatte zudem einiges im Haushalt zu erledigen. So ließ ich für diesen Tag die Anzeigentour ausfallen und begann lieber damit, schon mal den Teil 2 für meinen Roman zu beginnen. Auch in Bezug auf die Autorentätigkeit hatte ich neue Tiefschläge zu verkraften, denn ich war im Internet auf Gerichtsurteile gestoßen, die das Thema »Persönlichkeitsrechte bei Biografien« behandelten. Mein Scheidungsdrama strotzte nur so von Personenbeschreibungen, auch wenn die Namen von allen Personen, die als Vorlage gedient hatten, von mir geändert worden waren.
Die Rechtsprechung hierzu war ziemlich widersprüchlich. Für manche Gerichte genügte es, das Ganze als »Roman« zu kennzeichnen und darauf hinzuweisen, dass die beschriebenen Personen stellvertretend für eine bestimmte Art von Menschen und deren Persönlichkeit zu werten sind, nicht als reale Person. Also ein »fiktiver Anteil« musste hinter der Geschichte zu vermuten oder tatsächlich vorhanden sein. Andere wiederum sahen das enger und verurteilten Autoren schon, sobald sich nur irgendwer in der Geschichte wiederzuerkennen glaubte.
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