»Genau«, nickte die Gärtnerin.
»Augenfarbe?«
»Keinen blassen Schimmer, sorry.«
»Nochmals zum Mitschreiben. Es handelt sich somit um eine mittelgroße Person, weiblich, die vom Gesicht her unscheinbar aussieht und bräunliches, halblanges Haar hat.«
»Jetzt haben Sie es endlich kapiert. Das ist Larissa Schönhoff«, entgegnete sie überheblich.
Der Polizist überging die Unverschämtheit einfach, blieb sachlich. Das war definitiv der schnellste Weg, diese nervige Frau vor seinem Schreibtisch wieder loszuwerden.
»Beim Hereinkommen hatten Sie den Verdacht geäußert, dass Ihre Kollegin sogar ermordet worden sein könnte. Wie kommen Sie darauf, gibt es konkrete Hinweise auf Feinde oder Motive?«
Ihr selbstbewusstes Lächeln erstarb. Sie betrachtete ihre Fingernägel, deren braunschwarze Trauerränder ihren Beruf verrieten. Vermutlich war sie direkt von der Arbeit hergekommen.
Gegen das tägliche Wühlen in feuchter Erde sind Wasser und Seife wahrscheinlich machtlos, sinnierte Weichelt.
»Feinde … wenn Sie damit Leute meinen, die Lara nicht ausstehen können, sie womöglich sogar hassen, müsste ich Ihnen eine Liste anfertigen. Eigentlich mochte sie niemand leiden, im Betrieb schon gar nicht – niemand außer mir. Privat ist sie auch überall angeeckt, was mich aber keineswegs wundert.
Ich bin scheinbar die Einzige, die sich jemals die Mühe gemacht hat, hinter ihre beinharte Fassade zu schauen, um den wirklichen Menschen dahinter zu erkennen. Und der ist gar nicht so übel.
Larissa hat eine ausgesprochen schwierige Kindheit durchlitten, mir einiges Schlimme anvertraut, nachdem wir uns angefreundet hatten. Es ist deshalb meines Erachtens kein Wunder, dass sie mit der Zeit so unnahbar geworden ist, von jedem Menschen erstmal nur Schlechtes denkt und ihn dementsprechend behandelt.
Außerdem entwickelte sie im Laufe der Zeit einen krankhaften Ehrgeiz, wurde immer ärger zur sturen Perfektionistin. Die überzogen hohen Ansprüche, die sie an sich selbst stellt, überträgt sie leider auch auf andere Leute.
Damit macht sie besonders unseren Azubis das Leben schwer. Kein Berichtsheft ist ihr akkurat genug geführt. Die Jungs und Mädels arbeiten ihr entweder zu lahmarschig – oder zu ungenau. Selbst an deren T-Shirts kritisiert sie herum, dabei geht es sie gar nichts an, was einer unter der Latzhose trägt.«
»Na schön, dann fahnden wir nach einem menschlichen Ekelpaket, so wie Sie Ihre Kollegin darstellen. Aber ich muss Sie das jetzt nochmal fragen: Gab es konkrete Hinweise, dass ihr jemand ans Leder wollte, hat sie irgendwas darüber erzählt?«
»Von einer Morddrohung weiß ich nichts. Aber ihrem Exmann Gerald würde ich einiges Üble zutrauen. Er hatte bereits vor ihr bei Findeisen gearbeitet. Der Chef stellte Lara damals bloß ihm zuliebe ein. Als die Ehe nach ein paar Jahren in die Brüche ging, schied Gerald aus und machte sich als Landschaftsgärtner selbständig, während sie uns weiterhin erhalten blieb. Dummerweise macht er uns seitdem Konkurrenz. Gerald hat zwar einen miesen Charakter, ist jedoch ein super kreativer Gärtner. Er fehlt bei uns an allen Ecken und Enden.
Wir waren vor knapp zwei Jahren dennoch froh über sein Ausscheiden, weil die beiden Streithammel sich sonst höchstwahrscheinlich bald gegenseitig umgebracht hätten. Und wer möchte schon irgendwann eine Leiche, der eine Hacke im Kopf steckt, im Gewächshaus finden? Der ›Rosenkrieg‹ war bei denen buchstäblich zu nehmen.«
Weichelt beendete seine Notizen, nahm den Blick vom Monitor und wandte sich ihr zu.
»Dann werden wir wohl als erstes bei Gerald Schönhoff nachfragen müssen. Vielen Dank, dass Sie hergekommen sind, Frau Bilcher. Wir melden uns, sobald es etwas Neues gibt. Oder falls weitere Fragen auftauchen sollten.«
Jeanette Bilcher machte indes keine Anstalten, zu gehen.
»Ja … und wie lange kann sowas dauern? Es ist so viel Arbeit liegengeblieben, dass ich mich schier zerteilen könnte. Der Azubi hängt mangels Aufgabenzuteilung nur faul herum und daddelt auf dem Smartphone. Der kann halt noch nicht alles, benötigt für jeden Dreck Anleitung und Aufsicht.
Wir brauchen die Lara dringend. Solange kein Mensch weiß, ob, beziehungsweise wann sie zurück in den Betrieb kommt, wird natürlich niemand Neues eingestellt. Diesen Dauerstress packe ich nicht mehr lange«, jammerte die Brünette.
»Das kann ich Ihnen nicht beantworten, schon gar nicht jetzt gleich. Wir müssen uns erstmal ein eigenes Bild machen, herausfinden, ob sie wirklich vermisst wird. Womöglich hatte sie einen Unfall und liegt im Krankenhaus. Oder jemand aus der Familie weiß eben doch , wo Lara sich momentan aufhält. Wir werden das alles nachprüfen«, beschied ihr der Polizist.
Sie trollte sich augenrollend, und Weichelt sah allmählich klar, was der wahre Grund für ihr Auftauchen gewesen sein mochte. Bilchers zur Schau gestellte Sorge um die wenig nette Kollegin hielt sich in Wirklichkeit in engen Grenzen. Vermutlich durfte sie einfach nicht freinehmen, solange die Schönhoff unentschuldigt fehlte, weil sie sie vertreten musste.
Unglaublich, diese verlogene Augenwischerei. Dass die meisten Leute sich aber auch edelmütiger darstellen müssen als sie es tatsächlich sind, dachte der Beamte angewidert.
Das war das Allererste gewesen, woran er sich im Polizeidienst hatte gewöhnen müssen. Man wurde während der Erfüllung seiner Pflichten unablässig angelogen.
*
08. Mai 2019, Kanareninsel La Palma, Playa de Nogales
Der Fußweg zu diesem einsamen, von Felsen und Klippen eingerahmten Strandabschnitt im Ostteil der Insel war vergleichsweise beschwerlich gewesen.
Um hierher zu gelangen, musste man in der Ortschaft Puntallana parken und fünfzehn Minuten einem Pfad durch die Wildnis folgen. Der atemberaubende Blick aufs azurblaue Meer, der sich Urlauberin Marit jetzt beim Hinabsteigen einer Steintreppe darbot, entschädigte sie doppelt und dreifach dafür. Ihre nette Pensionswirtin hatte Recht behalten, das Panorama war einzigartig.
Marit hatte auf dem Hinflug viel über La Palma gelesen.
Diese Insel war wegen ihrer Steilküsten bislang vom Massentourismus verschont geblieben und wurde in erster Linie von Naturfreunden, Surfprofis und Individualisten besucht. Sie galt mit ihren ausgedehnten Lorbeer- und Kieferwäldern als waldreichste der sieben kanarischen Inseln und war, genau wie der Rest dieses Archipels, vulkanischen Ursprungs. Die zerstörerische Naturgewalt hatte sich in diesem Fall auch schöpferisch betätigt.
Nur an einigen wenigen Stellen schien es überhaupt möglich zu sein, im Atlantik schwimmen zu gehen. Sandstrände waren Mangelware. Dieser Umstand hatte die Insel vor den sonnenhungrigen Urlauberhorden bewahrt. Hier gab es keinen quirligen Teutonengrill und keine lauten Strandbars.
Umso schöner, dass sie nun einen der Sandstrände gefunden hatte, auch wenn er nicht besonders breit war. Außer einer Handvoll junger Surfer und einem schwer verliebten Pärchen, das sich auf seiner überbreiten Strandmatte sonnte, war niemand da.
Herrlich … auf besoffene, grölende Ballermann-Touristen mit Eimern voller Alkohol konnte sie wirklich verzichten.
Während sie sich ein Plätzchen zum Chillen auf dem feuchten schwarzen Sand suchte, musste sie unwillkürlich an Bernd denken, der jetzt im verregneten Wernigerode Dienst schob. Selber schuld, sie hatte ihn mehrmals gefragt, ob er mitkommen wolle. Aber nee, der Herr hatte angeblich Wichtigeres zu tun, vieles zu regeln. Jedenfalls hatte er ihr seine Absage mit haargenau diesen Worten verkauft und sie damit, wenn auch wahrscheinlich unabsichtlich, vor den Kopf gestoßen.
Nach allem, was kurz zuvor gewesen ist … wieso klebt Bernd ständig in der problembehafteten Vergangenheit fest, anstatt nach vorne zu schauen?
Читать дальше