»Nein! Bist du nicht!«, gab diese unbeeindruckt zurück und schaukelte friedlich weiter.
»Bin ich wohl!«
»Kinder!« Ihr Vater blickte über den Rand seiner Zeitung hinweg auf sie beide hinunter. Er hatte es sich auf ihrer Terrasse gemütlich gemacht und saß im Schatten des Sonnenschirms. Ihre Katze Luna lag auf seinem Schoß und schnurrte laut. »Wieso seid ihr nicht beide Sailor Mars!«, schlug er vor.
»Nein!«, kam es einstimmig von den Mädchen.
Ein Grinsen erschien auf den Lippen ihres Vaters. Was fand er nur lustig daran?
»Das geht nicht!«, fauchte die J üngere und stampfte wütend mit dem Fuß ins Gras.
»Wieso nicht?«, fragte ihr Papa unbeeindruckt.
»Weil es nicht zwei Mal die gleiche Person geben kann! Und sie ist immer Sailor Mars!«, beharrte die Siebenjährige.
»Eben! IMMER!«, wiederholte die Ä ltere.
Ihr Vater seufzte.
»Wieso seid ihr nicht einfach die eineiigen Zwillinge Sailor-Mars!«, schlug er vor und fügte hinzu: »Und Tuxedo Mask schenkt euch dann die Rosen!« Ihr Vater nickte in Richtung des roten Rosenstrauches.
»Tuxedo Mask schenkt keine Rosen«, belehrte ihn das ältere Mädchen.
»Genau! Er besiegt die Bösewichter mit den Rosen. Mit den scharfen Dornen!«, fügte die Jüngere wichtig hinzu.
»Vielleicht macht Tuxedo Mask heute eine Ausnahme!« Ihr Vater stand auf, griff nach der Gartenschere, die zu seinen Füßen lag und steuerte die Rosen an. Vier Blumen schnitt er ab, dann holte er theatralisch Luft und rief: »Im Namen des Mondes werde … ich euch bestrafen!« Dabei verstellte er seine Stimme, holte aus und warf die Blumen von der erhöhten Terrasse auf seine beiden Töchter. Laut lachend sprang die Ältere von der Schaukel, während das jüngere Mädchen kreischend auf die Rosen zulief.
Gemeinsam sangen alle drei die Titelmusik. »Sag das Zauberwort und du hast die Macht …«, während sie im Garten herumtollten. Vergessen war der kleine Streit.
Kapitel 5
Tom saß neben Laura. Sein Kopf ruhte in seinen Händen, die Ellenbogen hatte er auf ihr Bett gestützt. Grässliches Weiß. Überall. Die Bettwäsche. Die Wände. Toms Gesicht. Ihre eigenen Hände. Befremdlich betrachtete Laura ihre Finger. Sie waren blutleer. Wie die einer Leiche.
»Du bist wach.« Toms Stimme klang rau. Ein dunkler Bartschatten zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Er sah aus, als hätte er sich tagelang nicht rasiert. Vermutlich nicht seit dem Unfall. Wie lange lag der nun zurück? Drei Tage? Oder länger? Wie lange hatte sie geschlafen?
Plötzlich fiel ihr wieder alles ein. Die Neonatologie. Der Arzt, der sie einfach niedergespritzt hatte, als wäre sie verrückt. Nur, weil sie ihr Baby hatte sehen wollen. Ihr Baby …
»Wo ist Mia?« Laura räusperte sich.
Toms Adamsapfel hüpfte. In einer fahrigen Bewegung strich er durch sein dunkles Haar. Es könnte eine Wäsche vertragen. Strähnig hing es hinab. Ihr Mann trug es etwas länger, allerdings in keinem Langhaarschnitt. Es reichte ja noch nicht mal ganz bis zu den Schultern. Aber es war wuschelig. Laura liebte es für gewöhnlich, durch Toms Haar zu fahren. Sich daran festzuhalten, wenn sie ihn küsste. Heute graute ihr allein bei dem Gedanken an seine Nähe. Beinahe wie an jenem Tag, als sie die Nachrichten auf seinem Handy gelesen hatte.
»Letzte Nacht war schön. Ich freue mich schon auf das nächste Mal. S.«
Laura war stutzig geworden, hatte es aber zuerst auf ihre Paranoia geschoben. Ihr Ex-Freund hatte sie betrogen, also vielleicht reagierte sie über. Immerhin war die Mitteilung von einem »Sven« gekommen. Vermutlich bloß einer von Toms Kumpels, der außergewöhnliche Formulierungen verwendete. Vielleicht war das auch ein Scherz unter Männern. Immerhin hatte Tom doch gesagt, er wäre mit seinen Billard-Freunden unterwegs gewesen. Bei der nächsten Nachricht sah Laura dann aber rot:
»Wann sagst du es endlich deiner Frau?«
Wenn ihr Mann nicht plötzlich schwul geworden war, dann steckte hinter diesem »S« ganz bestimmt nicht Sven. Und welchen Grund sollte Tom haben, einen falschen Namen einzuspeichern, wenn er nicht etwas zu verbergen hatte?
Offenbar stand Laura auf einen ganz speziellen Typ, was Männer anbelangte: den Fremdgeher.
Sie betrachtete Toms Gesicht. Die braunen Augen unter den buschigen Brauen. Seine etwas zu breite Stupsnase. Die schmalen Lippen. Seine Gesichtsform war oval. Er war hübsch, aber kein Schönling. Nicht so wie ihre erste große Liebe Ronny. Er hätte als Model arbeiten können. Leider wusste er das auch. Die Mädchen liefen ihm scharenweise hinterher und Laura war bloß eine von vielen. Sie war die Letzte, die begriff, dass er mit der halben Stadt geschlafen hatte und sie auch nicht seine einzige »Freundin« war. Aus dieser Erfahrung hatte sie gelernt und seither keinen Mann mehr gewollt, der schöner war als sie selbst. Sie wusste, das hörte sich dumm an, aber wenn der Kerl zu hübsch war, hatte man ihn doch nie für sich allein. Abgesehen davon waren fast alle Schönlinge Mistkerle. Vielleicht waren ihre Überzeugungen diesbezüglich sehr klischeegeladen, aber das war nun mal ihre Meinung. Wie naiv. Tom war kein Model und trotzdem hatte er sie betrogen. Wahrscheinlich war die andere seinem Lächeln erlegen. Den Grübchen, die sich dann an seinen Wangen bildeten. Heute lächelte er nicht. Im Moment starrte er sie an.
»Hast du mir überhaupt zugehört?«
Sie konnte nicht in ihm lesen. Wusste nicht, ob er verärgert war. Wann hatten sie sich derartig entfremdet? Wie hatte sie nur denken können, ein gemeinsames Kind würde alles kitten?
»Laura? Ich rede mit dir.«
»Ja, tut mir leid. Ich war gerade abgelenkt.« Ich habe überlegt, mit wem du geschlafen hast. Natürlich sprach sie die Worte nicht aus. Was sagte es über sie als Mutter aus, dass sie ihrem verlogenen Mann mehr Gedanken widmete als ihrem kleinen Mädchen?
Das schlechte Gewissen überrollte sie und hinterließ ein drückendes Gefühl in ihrer Brust. Um Tom nicht anzuschreien, presste Laura ihre Lippen fest aufeinander. Wie unpassend, dass er enttäuscht wirkte. Beinahe resigniert, so wie er die Schultern hängen ließ.
»Was ist mit Mia?« Der Gesundheitszustand ihrer Tochter war im Moment das Einzige, das zählte und auf das sie sich konzentrieren sollte. Sie dachte an Dr. Roth, der sie nicht zu ihr gelassen hatte. An Katherines Worte. »Wo ist sie?«
Keine Antwort.
Eine düstere Ahnung beschlich Laura. Ein Wispern verließ ihre Lippen: »Ist sie … tot?«
Noch immer antwortete Tom nicht. Sah sie nur an. Unmöglich zu erahnen, was er dachte.
»Sie ist tot, oder?« Warum gab er keine Antwort, verdammt?
Mit einem Ruck stand Tom auf. Seine Bewegungen wirkten steif und er kreiste seine Schultern. Er drehte ihr den Rücken zu, während er in dem Krankenzimmer auf- und ablief.
»Tom! Rede mit mir!« Ihre Stimme überschlug sich, ohne dass sie es wollte. Sie wollte nicht so hysterisch sein, aber … War es zu viel, eine Auskunft zu verlangen? Wieso brachte er den Mund nicht auf? Am liebsten hätte sie ihn geschüttelt und die Antwort aus ihm rausgeprügelt. »Wo warst du vorhin? Du hast den Rollstuhl geschoben und auf einmal warst du weg. Du hast mich allein gelassen!« Sie konnte die Anschuldigung in ihrer Stimme nicht verstecken.
»Das hab‘ ich nicht!« Schwungvoll wandte er sich ihr wieder zu. So viel Schmerz und gleichzeitig Ärger, den Laura nicht nachvollziehen konnte, standen in seinem Gesicht geschrieben. »Ich hab‘ dich nie allein gelassen!«, fügte er dann leiser hinzu, so als wäre seine ganze Wut plötzlich verpufft.
Tom setzte sich wieder auf den Stuhl. »Es wird alles gut!« Er griff nach ihrer Hand. Seltsamerweise hörten sich die Worte so an, als wolle er sich selbst beruhigen. Nicht Laura. Seine Hand war kalt und gleichzeitig schweißnass. Trotzdem entzog sie ihm ihre nicht.
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