Nicht geringere, sondern am Ende wohl noch weit größere Schuld an der Vernichtung menschlichen und tierischen Lebens trägt die technologische und industrialisierte sogenannte Kultivierung der Erde, welche die unabsehbaren Folgen durch Verschmutzung der Meere, Verpestung der Luft und Verseuchung des Bodens mit sich gebracht hat. Seit das Morden und Vergiften automatisiert wurde, haben sich die Haftungen für die Folgen vergemeinschaftet und niemand will sich mehr zu persönlicher Schuld bekennen. In einigen Staaten wird seit Jahren an einem automatischen Waffensystem gearbeitet, das selbsttätig, ohne Lenkung durch einen Menschen, sogenannte Gegner ins Visier nehmen und „neutralisieren“ kann. Staaten haben keine Moral. Staaten haben, wie der geläufige Spruch eines preußischen Diplomaten lautet, Interessen. Darum ist uns nicht damit gedient, die Lenker dieser Staaten aufzurufen, Maßstäbe und Richtlinien für das ethische Verhalten ihrer Völker zu erlassen. Man hat gesehen, wohin dies führte, als der wohlmeinende Kaiser Augustus seine Gesetze zur Hebung der Ehemoral erlassen hat. Er hat am Ende doch nichts weiter zu bewirken vermocht als den Hohn und Widerspruch seines Volkes. Man weiß zu welchen Übelständen im vergangenen Jahrhundert das Alkoholverbot in den Vereinigten Staaten geführt hat. Und endlich haben wir in unseren Tagen die widerwärtigste Anschauung zu erdulden von den immer rigoroseren Moralgesetzen mancher islamischer Staaten. Des allen ungeachtet müssen durch öffentlichen Diskurs von Zeit zu Zeit neue Richtlinien für das menschliche Verhalten entworfen werden, an denen das Gewissen der Individuen in unterschiedlichen Ländern Orientierung suchen und Bestätigung finden kann. Es müssen die Folgen auch der gemeinschaftlichen Entwürfe und Taten aufgezeigt werden, Ziele vorausblickend angedeutet und Urteile rückblickend ausgesprochen werden. Ein Weniges davon soll auch mit den folgenden Zeilen geschehen.
Die sogenannte Globalisierung der bewohnten Welt hat es mit sich gebracht, dass die alten Grenzen zwischen Staaten, Völkern, Religionsgemeinschaften und Klassen mehr und mehr abgebaut wurden. Danach aber haben sich Forderungen erhoben nach Regeln in den Begegnungen der immer noch sehr unterschiedlichen Gruppen, die doch die eigentlichen Ganglien bilden im gesellschaftlichen Gewebe. Immerhin ist es möglich, einige der Forderungen zu benennen, die an alle gemeinsam gestellt werden müssen. Und so ist es angebracht, im Voraus eines solchen Unternehmens einzugestehen, dass es nur bei einem Versuch bleiben kann. Der aber soll, auch wenn er nicht mehr bewirken wird als andere vor ihm, dennoch gemacht werden; denn nichts sollte uns mehr am Herzen liegen als zu erfahren, ob wir und unsere Nachbarn das Rechte tun, in unserem eigenen und in fremdem, gar allgemeinem Sinne, ob wir die Welt, an der wir seit tausend Generationen und länger bauen, mit unserem Handeln fördern oder verderben werden. An dieser Mühe nämlich liegt es, ob wir – und mit diesem wir ist ein jeder unter den Denkenden gemeint – belohnt und geachtet werden und ob wir vor uns selber bestehen können zu jeder Stunde, bis zu unserer letzten.
Wir werden, um es vorwegzunehmen, keine Antwort finden, die für alle Zeiten und in allen Ländern der Erde gültig und anerkannt sein wird. Wir werden mit unseren Urteilen nicht einmal jedem Einzelnen gerecht werden können. Nicht einmal uns selbst, unserem Land und unserer Zeit werden wir vollauf genügen. Denn es sind sich zwar alle darüber einig, dass es so etwas wie eine allgemein menschliche Moral geben müsse, deren Ausprägungen aber sind, je nach Ländern und Epochen, je nach wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, so unterschiedlich, dass man an einer Verständigung über alle Grenzen hinweg zweifeln möchte. Vielleicht aber können wir helfen, das Gute zu befördern und das Böse, das in einzelnen Gehirnen und das Schädigende, das auf vielen Straßen unterwegs ist, hindern, uns zu überwältigen und die ganze Erde mit uns. Als das Böse, so scheint es uns auf den ersten und noch nicht sehr genauen Blick, hat man zu allen Zeiten, und so auch heute, das Zerstörende oder besser gesagt: das Vernichtende bezeichnet. Ob dagegen das Gute das Bauende, das Erhaltende und das Ordnende sei, das ist eine mit größerer Mühe zu beantwortende Frage. Denn wenn die Welt ein einziges Werden, Wachsen und Vergehen ist, so sollte man bereit sein, um dieser ans Licht drängenden Zukunft willen, auch das Zerstörende neben dem Aufbauenden gelten zu lassen.
Es ist ausgemacht, dass wir, die wir Teil dieses Prozesses sind und für uns selbst das Sein erstreben und das Nichtsein scheuen, nicht Richter eines Geschehens sein können, das uns umfasst und übersteigt. So sehr wir uns wünschen mögen, Gesetze unseres Handelns zu erkennen, die für alle Zeiten bisher gegolten haben und weiterhin gelten sollten, so werden wir doch gut daran tun, uns zu bescheiden mit den Jahrzehnten oder den Jahrhunderten, die wir überblicken. Befördert durch die ständig sich mehrenden Erkenntnisse der Forschung, vor allem auf den Gebieten der Naturwissenschaften, wandelt sich unsere Welt seither in schier atemberaubender Geschwindigkeit. Was früher über Jahrhunderte gelten mochte, das hat sich innerhalb weniger Jahrzehnte geändert. Man denke nur daran, dass es das Frauenwahlrecht in Europa erst seit gut hundert Jahren gibt – in einzelnen Ländern wesentlich kürzer. Man denke an die revolutionierte Sexualmoral oder an die erst seit etwa über zweihundert Jahren postulierten Menschenrechte. Es soll darum hier gesprochen werden allein für unsere eigene Lebenszeit, für diese Epoche der großen Umstürze, Wenden und Wandlungen, die Epoche der unvorhergesehenen krebsartigen Vermehrungen und Vermassungen, die Epoche der Vermischungen und Infragestellungen aller einst getrennten Gedanken und Glaubensüberzeugungen, der Bedrohungen durch die Umweltverseuchungen, der zuvor nie gekannten Vernichtungswaffen chemischer, physikalischer oder elektronischer Art. Nicht geringer muss uns heute die bedenkenlose Ausbeutung der Natur durch das millionenfache Roden von Bäumen erscheinen. Wir hören, dass von tausend Kanzeln, Pulten und Sendeplätzen Warnungen ausgehen, wir lesen, dass in tausend Zeitungen, Sachbüchern und im Internet Schlimmes vorhergesagt wird, das uns und unseren Planeten bedrohe. Wir riechen, schmecken und sehen, dass die Luft verpestet, die Meere verseucht, die furchtbarsten Waffen erprobt werden. Und dennoch hören wir nicht damit auf, die Ressourcen der Erde zu verprassen, Millionen und Abermillionen von Menschen dem Hungertod preiszugeben oder in die Flucht zu treiben und selbst in den reichsten Staaten ein unabtragbares Gebirge von Schulden anzuhäufen. Wir haben eines der schreckensvollsten Jahrhunderte der menschlichen Geschichte durchlebt. Und entsetzt und ernüchtert ans Ufer eines neuen gekommen, beginnen wir zu erkennen, dass wir nicht nur unser Handeln, sondern auch unsere Überzeugungen ändern müssen, wenn es unseren Nachkommen gegönnt sein soll, in Würde zu überleben. Belehrungen alter Fahrensleute werden uns dabei nicht nützen. Es ist bei all den neuen Herausforderungen sehr die Frage, ob uns die alten Erzählungen helfen werden, die anstehenden Prüfungen zu bestehen. Viele unter uns haben sich ihre Meinungen seit langem gebildet und werden nicht abgehen von ihrem Weg, zumal dann nicht, wenn sie es sind, die in Politik, Finanz, Industrie oder Religion das Ruder führen. Nirgends erkennt man dies besser als an den frustrierenden Ergebnissen der Umweltkonferenzen. Die Wahrer des Besitzes fahren, solange sie leben, noch immer gut. Was nach ihnen sein wird kümmert sie wenig. Aber es ist unter den Jüngeren unbezweifelt, dass nicht so weiter gefahren werden kann wie bisher; dass die Waffenarsenale nicht weiter vergrößert, dass die Umweltverschmutzung nicht weiter befördert und die Klimaerwärmung an ein Ende gebracht werden muss, wenn die Welt vor einer Katastrophe bewahrt werden soll. Darum ist zu hoffen, dass die Jüngeren bald selbstbewusst genug sein werden, um ein besseres Ziel anzusteuern. Sie nämlich sind es, die bald schon werden büßen müssen für das, was ihre Eltern der Welt heute antun. War es früher wohl geachteter Brauch, den Rat der Alten zu erbitten, so ist es in diesen sich überstürzenden Zeiten angebracht, dass an jeder Biegung des Weges neu Ausschau gehalten und vermessen wird. Die alten Wegweiser müssen neu beschriftet oder ganz abgebrochen werden. Zeit ist es, die Gesetze des Handelns zu überdenken. Alles was die, die bis hierhergeführt haben, noch tun können, ist aufzeigen, was bisher gesagt und getan wurde und einzugestehen, wohin es geführt hat. Die Nachkommenden aber haben zu prüfen was weiter geschehen soll.
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