Hasard grinste unwillkürlich und genehmigte sich noch einen Schluck Branntwein. Er verspürte große Lust, diesem Don Antonio früher oder später zu begegnen und ihn für seine Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. Er war einer der durchtriebensten und korruptesten Halunken, von denen er je vernommen hatte.
Er schreckte nicht einmal davor zurück, seine Amtskollegen zu beseitigen, wenn sie ihm im Wege standen, wie der Fall des Don Ruiz de Retortilla bewies. Er verdiente eine Abreibung und nachhaltige Bestrafung, denn unter anderem hatte er versucht, Don Juan zu töten. Zuletzt hatte er ihn des Mordes an der Señora Samanta de Azorin bezichtigt, und Don Juan hatte fliehen und sich verstecken müssen.
Cubera hingegen schien ein ganz anderer Typ Mensch zu sein. Er versah seine Aufgabe korrekt und mit dem erforderlichen Ehrgeiz. Hasard konnte ihn deswegen nicht hassen. Der Mann tat seine Pflicht, bediente sich aber keiner hinterhältigen Tricks. Don Juan hatte versucht, ihn durch seine Angriffe zu entmutigen und den Verband zur Umkehr zu zwingen, aber er hatte sein Ziel nicht erreicht. Cubera segelte weiter – und lieber starb er, als daß er jetzt noch von seinem Unternehmen abließ.
All das ging Hasard durch den Kopf, während er dahockte und zur Tatenlosigkeit verdammt war. Die Dinge nahmen ihren Lauf – und er konnte sie nicht mehr beeinflussen.
Dennoch hatte er keinen Grund, jetzt noch niedergeschlagen oder gar verzweifelt zu sein. Immerhin hatte er sich bis hierher retten können. Die See hatte ihn nicht geholt, und er konnte recht zufrieden sein, wieder Boden unter den Füßen zu haben. Alles weitere würde sich ergeben. Er mußte versuchen, das Beste aus seiner Lage zu machen.
Erst jetzt untersuchte er seine Brust richtig, auf der sich ein gehöriger Bluterguß abzeichnete. Wenn er die Arme und den Oberkörper bewegte, schmerzte der Brustkasten immer noch. Wieder tastete er seine Brustrippen ab – und stöhnte auf. Es war immer noch da und hatte nicht nachgelassen, und auch das Atemholen bereitete ihm nach wie vor Qualen.
Was hätte der Kutscher in diesem Fall getan? Ja, er hatte einmal gesagt, man müsse den Brustkorb fest bandagieren, wenn die Rippen gebrochen oder angebrochen wären. Das war wichtig, weil die Rippen sich dann nicht mehr bewegen konnten und in relativ kurzer Zeit wieder heilten oder zusammenwuchsen.
Hasard untersuchte seine „Vorräte“ und entdeckte ein dünneres, knochentrockenes Stück Segeltuch. Es kostete ihn einige fast akrobatische Verrenkungen, aber er schaffte es, sich das Tuch fest um den Brustkorb zu wickeln. Auch den Knoten zu schlagen, war keine leichte Arbeit. Als er endlich damit fertig war, ließ er sich aufatmend zurücksinken und blieb für einige Zeit liegen.
Er zählte die Möwen, die über ihm kreisten, schloß die Augen und drohte einzuschlafen.
Nein, dachte er energisch, jetzt noch nicht. Er gab sich einen inneren Ruck und erhob sich wieder. Er verließ seinen Lagerplatz, kehrte zu dem Floß zurück, überprüfte noch einmal, ob es sicher lag, und unternahm dann eine erste Besichtigung der Insel.
Es stellte sich heraus, wie er es inzwischen nicht mehr anders erwartete, daß er auf diesem Stückchen Erde der einzige Mensch war. Es gab keine Eingeborenen und keine Piraten, die sich hier versteckt hielten. Aber auf der nördlichen Ostseite entdeckte er schließlich doch etwas, das ihn stutzen und verharren ließ.
Er stolperte fast über einen flachen, von Gras bedeckten Graben, in dem sich Wasser zu bewegen schien, schenkte ihm aber weiter keine Aufmerksamkeit. Sein Blick war auf das gerichtet, was sich draußen, im Wasser vor der Insel, befand.
Zwischen den Korallenriffs lag ein Schiffwrack, der Rumpf einer dreimastigen Galeone. Die Decks waren der See zugekehrt, die Masten richteten sich wie spitze Finger auf das Wasser. Zerbrechlich wirkte der Rumpf, als würde er jeden Moment zerfallen und ganz versinken.
Hasard setzte sich wieder in Bewegung und untersuchte den Strand. Auch auf dieser Seite der Insel war er unberührt und zeigte keine menschlichen Spuren, weder Fußabdrücke noch Feuerreste noch sonstige Relikte.
Vielleicht, dachte der Seewolf, ist es den Schiffbrüchigen gelungen, mit einem Boot die Insel zu verlassen. Sie sind nach Kuba gesegelt, wie die Überlebenden der beiden Kriegsgaleonen.
Morgen, so nahm er sich vor, schwimme ich zum Wrack und sehe nach, ob ich etwas finde, das ich gebrauchen kann.
Jetzt war er zu müde dazu. Er forschte noch den Rest des Eilandes ab, entdeckte aber außer ein paar Möweneiern nichts mehr, das sein Interesse erregte.
Er kehrte zu seinem improvisierten Lagerplatz zurück. Mit Hilfe des Segeltuches bereitete er sich eine Liegestatt, so gut es irgend ging, und deckte sich auch mit dem Tuch zu. Er sank in einen Tiefschlaf, aber als er hinüberglitt in die Sphäre der Ruhe, galt sein letzter Gedanke wieder den Freunden und seinen beiden Söhnen.
Sie kämpften, und er lag hier. Niemals hätte er für möglich gehalten, daß ihm so etwas widerfahren würde – und doch war es eingetreten.
Am Morgen des 26. Juli stand die Sonne längst über der Kimm, als Hasard aufwachte. Vorsichtig öffnete er die Augen, auf Überraschungen gefaßt. Gab es Besuch? Nein – weder Menschen noch wilde Tiere. Er richtete sich auf, gähnte und bewegte die Arme. Endlich fühlte er sich erfrischt, und er meinte auch, daß die Schmerzen im Brustkasten geringer geworden seien.
Sein Frühstück bestand aus der Milch und dem Fleisch der Kokosnuß, außerdem nahm er den rohen Inhalt eines Möweneies und einen winzigen Schluck Branntwein zu sich. Dann erinnerte er sich daran, daß er bei seinem Rundgang an der Ostseite der Insel eine Art Rinnsal überquert hatte. Er hatte es nicht weiter beachtet, weil ihm das Wrack der Galeone aufgefallen war. Jetzt aber kehrte er zu dem Rinnsal zurück und folgte seinem Verlauf ins Innere der Insel.
Tatsächlich fand er wenig später im Mangrovendschungel eine kleine Süßwasserquelle. Er beugte sich darüber, schöpfte das kühle, frische Naß mit beiden Händen und trank. Somit hatte er auch das Wasserproblem gelöst.
Seine nächste Untersuchung galt dem Wrack. Er verließ den Urwald, trat auf den Strand und spähte zu den Riffs hinüber, wo es in unveränderter Lage festgeklemmt war, etwa zweihundert Yards vom Ufer entfernt.
Die Steuerbordseite war nach Osten gekantet, der Bug wies nach Norden. Wäre das Wrack hundert Yards höher gewesen, hätte Hasard noch wagen können, hinüberzuschwimmen. So aber war das Unternehmen zu riskant – wegen der Haie. Bislang hatten sie ihn in Ruhe gelassen, und er befand jetzt, nach gründlicher Überlegung, daß es nicht ratsam war, das Schicksal herauszufordern.
Deshalb kehrte er zu seinem Landeplatz zurück, schob das Floß ins Wasser und wriggte mit dem einen Riemen aus der Lagune. Eine flache Dünung kräuselte die See, der Wind wehte handig aus Nordosten. Keine Wolke kündigte einen bevorstehenden Wetterumschwung an, alles war ruhig. Günstige Voraussetzungen für sein Vorhaben: Wieder konnte er von Glück reden, und das Schicksal schien es doch nicht so schlecht mit ihm zu meinen.
In relativ kurzer Zeit erreichte er das Wrack und brauchte wegen der Beschaffenheit seines Untersatzes nicht zu befürchten, irgendwo aufzulaufen. Ungehindert wriggte er auf die Bordwand zu und umsteuerte das Heck. Dann hielt er überrascht die Luft an.
Von Land her war es wegen der Lage des Wracks nicht zu sehen gewesen: Steuerbord mittschiffs auf der Kuhl stand noch ein auf Klampen verzurrtes Beiboot, eine dreiriemige Jolle für sechs Rudergasten. Hasard stieß unwillkürlich einen leisen Pfiff aus. Damit hatte er nicht gerechnet.
Durch die Schräglage des Wracks wurde die Steuerbordseite des Bootes zum Teil von Seewasser umspült, aber dieser Umstand hatte keine Bedeutung. Hasard legte an und unterzog es einer genauen Untersuchung. Es war völlig intakt und in keiner Weise beschädigt.
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