Ein kleiner Dreimaster und eine Galeone segelten an dem Verband vorbei und entließen ihr Höllenfeuer. Er sah sie, als er kurz den Kopf hob, aber dann mußte er sich erneut in Sicherheit bringen, denn auch die Drehbassen der Schiffe sorgten für erheblichen Schaden.
Dann hörte das Donnern der Kanonen auf, und wie ein Spuk verschwanden die beiden Schiffe wieder in der Dunkelheit. Erst jetzt konnte Cubera sich wieder aufrichten – und er sah die Bescherung in ihrem vollen Ausmaß.
Eine der beiden Karavellen war so schwer getroffen, daß sie zu sinken begann. Ihre Backbordseite war mittschiffs in der Wasserlinie fast in Jollenlänge regelrecht aufgeschlitzt. Drei Kugeln von Siebzehnpfündern waren dort hineingerast, wie mit dem Lineal gezogen. Nicht nur Old O’Flynn und seine kleine Crew, auch die Kolberger, Arne von Manteuffels Stammcrew, verstanden es, zu zielen und zu treffen.
Doch keiner der Spanier erkannte in dieser unheilvollen Nacht in der Galeone die „Wappen von Kolberg“ wieder, das Schiff des deutschen Kaufherrn Arne von Manteuffel. Wäre Don Antonio de Quintanilla an Deck gewesen, dann wäre es vielleicht ihm aufgefallen, daß die Galeone kein Fremder für sie war. Der aber lag nach wie vor in seiner Kammer. Er war inzwischen wieder zu sich gekommen und hatte sich auf der Koje unter einer Decke versteckt. Er glaubte, der Weltuntergang sei nahe, und sein mächtiger Leib wurde von heftigem Schluchzen geschüttelt.
Don Garcia Cubera war wie vor den Kopf geschlagen. Er wankte zur Querbalustrade des Achterdecks und blickte auf die Wuhling hinunter, die wieder auf dem Hauptdeck eingesetzt hatte. Neben ihm waren seine Offiziere, aber der Zweite humpelte. Er hatte eine Schramme am rechten Bein und mußte sich auf den Dritten stützen.
„Profos!“ rief Cubera. „Hat es Tote gegeben?“
„Zwei, Señor!“
„Wie viele Verletzte?“
„Vier!“
„Sofort verarzten! Feuer löschen, die schlimmsten Schäden beheben und Männer an die Geschütze abkommandieren! Wir müssen mit einer Rückkehr des Gegners rechnen!“
„Wer, zum Teufel, war das bloß?“ fragte der Erste. „Ist denn hier alles verhext?“
„Ich glaube langsam auch, daß nicht alles mit rechten Dingen zugeht“, sagte Cubera gepreßt. Er fühlte sich benommen und mußte sich festhalten. Zum erstenmal seit dem Beginn des Unternehmens fühlte er Müdigkeit in sich aufsteigen. In aller Deutlichkeit wurde ihm bewußt, daß er am Ende war – und die Bedrohung durch den Feind wuchs, weil der jetzt zwei Schiffe zu seiner Verfügung hatte, die jederzeit wieder aus der Nacht heraus angreifen konnten.
Doch in diesem Punkt täuschte er sich. Die „Empress“ und die „Wappen“ verholten unter Land. Old O’Flynn und Renke Eggens warteten ab, was weiter geschah. Sie hielten es beide nicht für ratsam, jetzt einen neuen Ausfall zu unternehmen. Lieber ließen sie die Spanier zappeln.
Die Ungewißheit zehrte an den Nerven von Cubera und seinen Männern. Sie waren gründlich verunsichert – und sie mußten die Überlebenden der gesunkenen Karavelle aus dem Wasser bergen. Eben war das Schiff endgültig in den Fluten untergegangen, und jetzt riefen die Männer, die zwischen der Unglücksstelle und den Schiffen und Booten schwammen, um Hilfe.
„Ein Hai!“ schrie einer von ihnen.
„Lampen setzen!“ befahl Cubera. „Rasch!“
Öllampen wurden an Peekhaken befestigt und von Bord der Schiffe aus über das Wasser gesenkt. In den Lichthöfen erschienen die Köpfe der Schiffbrüchigen, und alle sahen jetzt, wer den Schrei ausgestoßen hatte.
Es war der Bootsmann der Karavelle. Er brüllte, als habe der Hai ihn bereits gepackt, und schlug im Wasser um sich. Plötzlich ging er unter.
Zwei seiner Kameraden tauchten beherzt nach ihm und holten ihn wieder an die Oberfläche zurück. Der Mann schlug mit den Fäusten nach ihnen und gebärdete sich wie ein Besessener. Aber ein Hieb gegen seine Schläfe, den ihm einer der beiden Helfer verpaßte, nahm ihm das Bewußtsein. Sie drehten ihn auf den Rücken und schleppten ihn zur „San José“ ab.
Cubera bereitete sich auf einen grausigen Anblick vor. Sein Gesicht verhärtete sich. Er stellte sich vor, daß der Hai dem Bootsmann die Beine abgebissen hatte.
Als der Mann an Bord gehievt wurde, atmete Cubera dann aber doch unwillkürlich auf. Er war unversehrt – nichts war geschehen. Kein Hai hatte angegriffen, es war reine Einbildung gewesen. Die Nerven waren mit dem Bootsmann durchgegangen. Er hatte, wie sich wenig später herausstellte, einen treibenden Trümmerteil für die Rückenflosse eines der grauen Mörder gehalten. Die Strapazen der letzten Stunden, das erbitterte Gefecht und die Niederlage – all das hatte mit dazu beigetragen.
Aber der Bootsmann war nicht der einzige, der völlig erschöpft und demoralisiert war. Vielen ging es wie ihm, und nur ein letzter Rest Selbstbeherrschung bewahrte sie davor, laut loszuschreien.
Die meisten Schiffbrüchigen waren inzwischen aus dem Wasser geborgen, und die Schaluppe und die beiden Jollen brachten sie zu den Schiffen. Cubera verfolgte, wie auch die letzten aus der See gezogen wurden, und er sah zu, wie der Kapitän der Karavelle mit grimmiger Miene an Bord der zweiten Galeone auf enterte.
Was sollte jetzt geschehen? Cubera verdoppelte die Ausguckposten, sie hielten nach allen Seiten Ausschau. Aber die beiden unheimlichen Angreifer kehrten nicht zurück. Etwas Zeit war verstrichen, das Stundenglas wurde gerade umgedreht.
Cubera fuhr sich mit der Hand über das Kinn und stellte fest, daß er nicht nur deprimiert, sondern auch gleichsam verlegen war – sich selbst und seihen Männern gegenüber, die allmählich den Glauben an ihn als Verbandsführer verlieren mußten.
Was sollte er als nächstes tun? Jeder Versuch, auf dieser Teufelsinsel zu landen, war fehlgeschlagen. Ein weiterer Anlauf konnte nicht unternommen werden – die Verluste waren bereits zu hoch. Cubera biß sich auf die Unterlippe.
„Wir schaffen es nicht“, sagte er zu seinem Ersten Offizier. „Es hat keinen Sinn, noch einmal anzugreifen!“
„Was haben Sie vor, Señor?“
„Das weiß ich selbst noch nicht“, erwiderte Cubera offen. „Aber geben Sie mir die Seekarte.“
Der Erste reichte ihm die zusammengerollte Karte. Cubera öffnete sie und blickte im Licht der Hecklaterne darauf. Fast verzweifelt suchte er nach einer Lösung für seine Probleme. Aber wo lag sie? Er war nicht nur gescheitert, er war jetzt auch einer permanenten Bedrohung ausgesetzt, denn jeden Augenblick konnten der kleine Dreimaster und die Galeone wieder erscheinen, um einen weiteren Blitzangriff zu fahren. Und die Schäden an den eigenen Schiffen? Wo und wann sollten sie gründlich behoben werden?
„Wir setzen Segel und laufen ab“, sagte er schweren Herzens. „Wir haben zur Zeit keine andere Wahl.“
„Welchen Kurs? Wohin?“
„Grand Turk, die größte der Turks-Inseln. Dort reparieren wir die Schäden und fassen neue Entschlüsse.“
„Jawohl, Señor Capitán.“
„Es gibt jetzt keinen anderen Weg. Informieren Sie die Kapitäne, und geben Sie meine Befehle weiter.“
„Señor Capitán“, sagte der Erste. „Es ist nicht leicht, diese Inselfestung zu erobern. Keinem anderen an Ihrer Stelle wäre das gelungen. Der Gegner kämpft mit allen Tricks und hat Waffen, mit denen wir nicht rechnen konnten.“
„Ich danke Ihnen für Ihre Worte. Aber ich hätte voraussehen müssen, daß sie mit Zähnen und Krallen kämpfen.“ Cubera ersparte sich keinen Vorwurf, und er dachte nicht daran, sich zu rechtfertigen und die Verantwortung für das, was geschehen war, von sich zu schieben.
„Wie erklären Sie sich die Anwesenheit von Indianern auf der Insel?“ fragte der Erste Offizier.
„Möglicherweise sind es Inselkariben, die sich mit den Engländern verbündet haben. Eine merkwürdige Partnerschaft – und doch denkbar. Ich gehe sogar so weit, zu behaupten, daß die Freibeuter sie absichtlich hergeholt haben.“
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