Aber sie sahen den Teniente neben sich zusammenbrechen und sterben und wußten, daß sie keine Chance mehr hatten. Wütend hieben sie auf die Gegner ein, deren Zahl immer größer zu werden schien. Sie kämpften auf verlorenem Posten – und sie wußten es.
Binnen weniger Augenblicke waren auch die letzten Soldaten niedergestreckt. Drei Schlangen-Krieger liefen auf die Jolle zu und schleuderten ihre Wurfbomben. Das Boot flog mit einem Donnerhall in die Luft. Es war aus, keiner anderen Jolle oder Schaluppe gelang die Landung.
Don Garcia Cubera fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und stöhnte auf. Vom Achterdeck der „San José“ hatte er auch den erfolglosen Kampf der Seesoldaten und die Explosion der Jolle verfolgen können. Es ist alles umsonst gewesen, dachte er erschüttert.
Dann zerknüllte er die Skizze der Schlangen-Insel zwischen seinen Fingern und gab dem Trompeter ein Zeichen. Dieser blies das Signal zum Rückzug, und die Aktion war beendet.
Ruhe trat ein, die Kanonen auf beiden Seiten schwiegen jetzt. Verhalten plätscherte das Seewasser an den Bordwänden der Schiffe, und immer noch knisterten die Flammen. Nach einiger Zeit waren aber auch die letzten Schwelbrände erstickt, der herbe Geruch kalter Asche und angesengten Holzes wurde vom Wind davongetragen.
Zwei Schatten glitten durch die Nacht – die „Empress of Sea II.“ und die „Wappen von Kolberg“. Schon seit gut einer halben Stunde konnten die Männer, die von den Decks aus scharf Ausschau nach voraus hielten, das Zucken der Feuerblitze und das Krachen der Schüsse und Detonationen vernehmen. Bald tönte auch das Geschrei zu ihnen herüber, mit denen die Spanier quittierten, daß die Verteidiger der Schlangen-Insel ihnen wieder eine Falle gestellt hatten.
„Das kommt vom Südufer“, sagte der alte O’Flynn. „Verdammt, kann der elende Wind denn nicht auffrischen? Zur Hölle, warum muß das so lange dauern?“
Plymmie, die Wolfshündin, hockte neben ihm auf dem Achterdeck, hatte die Zähne gebleckt und knurrte erbost. Martin Correa, Nils Larsen, Sven Nyberg und Hasard junior sprachen kein Wort.
Nur Philip junior meinte: „Wir müssen gleich da sein. Es kann sich höchstens noch um zwei Meilen Distanz handeln.“
„Aber dann müssen wir sie noch runden, unsere feine Insel“, sagte der Alte grimmig. „Und auch das nimmt noch einige Zeit in Anspruch. Bis dahin haben die Dons drüben alles zusammengeschossen. Teufel, warum hat dieser verfluchte Abstecher nach Coral Island auch so lange dauern müssen?“
„Die Frage brauchen wir uns jetzt nicht zu stellen, Donegal“, sagte Nils. „Ich sehe die Lage im übrigen nicht so schwarz wie du. Meiner Ansicht nach sind es die Dons, die da was auf die Jacke kriegen, nicht unsere Leute.“
„Hoffentlich behältst du recht“, brummte der Alte, dann vertiefte er sich wieder in seine Beobachtungen. Voraus, im Süden, knallte, blitzte und donnerte es fast unausgesetzt, und es war nicht zu überhören, daß große Schiffsgeschütze mit im Spiel waren. Aber die Schreie – da mochte Nils recht haben – schienen nicht von den Verteidigern der Insel ausgestoßen zu werden.
Dennoch blieb die Ungewißheit. Was ging auf der Insel vor, wie war das Kräfteverhältnis verteilt, was taten die Spanier? Konnten Karl von Hutten, Arkana, Ramsgate, Pater David, die Leute der Werft und die Schlangen-Krieger sich halten?
Ähnliche Überlegungen wurden an Bord der „Wappen von Kolberg“ angestellt, die unter dem Kommando von Renke Eggens stand. Niemand wagte, seine Meinung vorbehaltlos zu äußern. Alle hatten Angst, der Gegner könne bereits auf der Insel gelandet sein.
„Elende Hunde“, sagte Old O’Flynn kurze Zeit darauf, als beide Schiffe sich anschickten, die Schlangen-Insel an der Ostseite zu umrunden. „Wer weiß, wie lange sie schon da sind und unsere Freunde mit ihren Kugeln bepflastern.“
„Da scheinen aber auch Höllenflaschen zu fliegen“, sagte Hasard junior. „Ich hab’s ganz deutlich gehört.“
Der Alte kratzte sich am Kinn und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Er konnte es einfach nicht mehr erwarten, direkt mit dem Feind konfrontiert zu werden. Unklare Verhältnisse und die Unfähigkeit, einzugreifen und auf eine Situation einzuwirken, waren für ihn mit das Schlimmste, was es gab.
Etwas später änderte sich die Lage jedoch. Die „Empress“ und die „Wappen“, umrundeten die Insel im Südosten und hatten den Verband der Spanier plötzlich vor sich. Die „Empress“ führte – die „Wappen“ lief in ihrem Kielwasser. Die Zwillinge hatten sich unterdessen auf das Vordeck der „Empress“ begeben und hielten erneut Ausguck.
„Es sind vier Schiffe“, meldete Philip junior dann plötzlich leise.
„Was?“ murmelte der Alte. „Nur vier? Wo, zur Hölle, sind die anderen?“
„Boote bewegen sich auf die Schiffe zu“, raunte Philip, der sich umgedreht hatte und wieder nach achtern ging. „Da scheint ein Landemanöver stattgefunden zu haben, aber es ist mißglückt.“
„Woher willst du das so genau wissen, du Schlauberger?“ zischte Old O’Flynn.
„Die Schiffe – zwei Galeonen und zwei Karavellen – sind angeknackst, da scheinen eben die letzten Feuer gelöscht zu werden. Auch die Boote sind ramponiert.“
„Dann los“, sagte der Alte grimmig. „Mal sehen, ob wir sie noch ein bißchen mehr knacken und schütteln können.“
Längst waren der Dreimaster und die Galeone klar zum Gefecht. Die Männer begaben sich auf ihre Kampfstationen und warteten gespannt das Zeichen zum Einsatz ab. Rasch schrumpfte der Abstand zu den vier spanischen Schiffen jetzt zusammen.
Die „Empress“ und die „Wappen“ luvten an und gingen auf westlichen Kurs, der Wind fiel raumschots ein. Dann hatten sie den Feind unmittelbar vor sich, und Old O’Flynn rief: „Drauf! Ich will die Fetzen fliegen sehen!“
„Klar bei Lunten“, sagte Renke Eggens an Bord der „Wappen“. „Es geht los.“
Nur eine Schaluppe und zwei Jollen hatten das Inferno der Abwehr überstanden. Sie glitten auf die „San José“ und die drei anderen Schiffe des Kriegsverbandes zu. Schon trafen die Besatzungen Anstalten, längsseits zu gehen und festzumachen, da tauchten die beiden unheimlichen Angreifer unversehens aus der Dunkelheit auf und waren heran.
Die Nacht der Schrecken war noch nicht vorbei. Ein Alarmruf erklang an Bord der „San José“, aber die Männer, die mit dem Löschen der letzten Schwelbrände und dem Aufklaren an Deck beschäftigt waren, gelangten nicht mehr schnell genug an die Geschütze. Völlig unerwartet erfolgte dieser neue Angriff. Wie gespenstische Schatten schoben sich die „Empress“ und die „Wappen von Kolberg“ neben den Feind, und schon eröffneten sie das Feuer.
Sie strichen an den vier Schiffen entlang, und ihre Kanonen, spuckten Feuer und Eisen. Breitseiten – und nichts war auf den Backbordseiten der vier Spanier auf Abwehr eingestellt. Der Eisenhagel raste über die Decks, schlug in die Seiten und sorgte für Tod und Verderben. Wieder war die Nacht vom Grollen und Donnern der Geschütze erfüllt, vom Schreien der Getroffenen und von den Flüchen derer, die sich hinter den Schanzkleidern in Deckung warfen und im letzten Augenblick den Kugeln entgingen.
Don Garcia Cubera gehörte zu diesen Männern, aber er wünschte sich in diesem Moment, zu sterben. Er war machtlos gegen das, was hier geschah, es gab kein Mittel gegen den neuen, unheimlichen Feind. Und trotz der ursprünglichen Überlegenheit und Stärke des Verbandes hatte es jetzt den Anschein, als sei er dem Gegner regelrecht ausgeliefert. Nie zuvor in seiner Laufbahn als Kommandant und Verbandsführer hatte Cubera etwas Vergleichbares erlebt. Es war das erste Mal, daß er von einem Gegner, der ihm zahlenmäßig und von der Größe her klar unterlegen war, geschlagen wurde.
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