Als das Floß längst außer Sicht war, stand Prado auf und wanderte ein Stück am Meer entlang. Dann kehrte er in aller Ruhe zurück und nickte den anderen zu.
„Zwei Stunden sind ungefähr herum. Wir werden jetzt lostörnen, und zwar laufen wir die Ostseite der Insel an. Dort werden wir das Floß verstecken und tarnen, damit es niemand sieht.“
Die Kerle waren wieder eifrig bei der Sache und Feuer und Flamme, als sie das Floß ins Wasser schoben. Dann wurde das Segel gesetzt, und Prado übernahm das Ruder in Form eines achtern ausgebrachten Riemens.
Eine Stunde lang segelten sie etwa. Dann zuckten alle wie unter einem gewaltigen Hieb zusammen. Normando bewegte sich so heftig, daß er fast vom Floß gefallen wäre.
Der Himmel wurde weißlichgelb, dann orangefarben und schließlich blieb nur ein dumpfes Nachleuchten zurück. Dem Blitz folgte viermal hintereinander, unwahrscheinlich schnell, ein Donnern und Krachen.
„Mann!“ brüllte Santos. „Jetzt hat es die aber …“
„Maul halten“, rief Prado. „Kein Wort mehr!“
Die Kerle schwiegen überrascht, während er mit vorgerecktem Schädel in die Dunkelheit lauschte. Er glaubte, einen ganz schwachen Schrei gehört zu haben.
Das Donnern war längst verhallt, und über allem lag die Dunkelheit. Bis auf den leisen und sanften Wellenschlag war es unheimlich still.
Die Kerle stierten immer noch zum Himmel, wo als Spiegelung das Feuer aufgezuckt war.
Jetzt begann Prado breit zu grinsen. Er schlug Senona auf die Schulter und lachte laut.
„Haha, ich könnte mich totlachen! Jetzt kannst du sagen, was du wolltest, Santos. Die Idioten hat es in die Luft geblasen, weggepustet. Die sind erledigt, diese Klugscheißer und Anfänger. Fein ist das, da kann ich die anderen Kerle nur beglückwünschen.“
„Woher willst du das so genau wissen, daß sie erledigt sind?“
„Weil ich denken kann, und es ganz einfach ist. Das war Drehbassenfeuer, und zwar viermal ganz kurz hintereinander. Acosta hat aber keine Drehbassen auf dem Floß, oder? Folglich sind die Halunken gesichtet und in die Luft geblasen worden.“
„Aber sie haben doch Musketen.“
„Sie haben nur nicht damit zurückgeschossen, weil sie dazu nicht mehr in der Lage waren. Es muß sie blitzartig erwischt haben, oder hat einer von euch einen Schuß gehört?“
Niemand hatte auch nur einen Musketenschuß gehört.
„Und die Drehbassen haben auch nicht weitergefeuert“, belehrte Prado die anderen. „Weil die Kerle nach dem Beschuß nämlich gleich erledigt waren.“
„Stimmt genau“, sagte Morro, und dann begann er schrecklich laut zu lachen, bis auch die anderen in das Gelächter einstimmten.
Prado schlug sich immer wieder auf die Schenkel. Die unliebsame Konkurrenz war aus dem Wege geräumt. Jetzt konnten sie endlich allein absahnen, ohne groß teilen zu müssen.
Es war für sie auch bezeichnend, daß sie über den Tod ihrer Kumpane in rauhes und rohes Gelächter ausbrachen und die Schadenfreude sehr groß war.
„Jetzt wird nur noch durch sechs geteilt, und dann kann jeder mit seinem Gold anfangen, was er will.“
Wieder folgte Prados Worten befreiendes Gelächter.
Gegen drei Uhr morgens erreichten sie die Ostseite der Insel und zogen das Floß auf den Strand.
Prado und Morro sahen sich um. Sie entdeckten gleich darauf eine Stelle mit dichtem Buschwerk und nickten sich zu.
„Dort verstecken wir das Floß. Da kann es niemand sehen.“
Das Floß wurde hochgehoben und zu dem Dickicht geschleppt. Dahinter befand sich eine kleine Lichtung, die nur von oben einsehbar war. Selbst vom Strand aus konnte man nichts erkennen.
„Nehmt jetzt die Waffen und den Proviant mit“, befahl Prado. „Und dann zischen wir ab zur Westseite der Insel, wo der Kahn liegt. Dort werden wir vorerst die Beobachter spielen und abwarten, bis ein paar der Kerle an Land gehen.“
Nachdem sie alles zusammen hatten, überquerten sie die Insel und stießen zur Westseite vor. Oberhalb des Strandes fanden sie einen hervorragend gegen Sicht geschützten Platz, hinter dem sie in Deckung gingen.
Es war jetzt kurz vor Sonnenaufgang. Die Sicht war schon besser geworden, so daß sie Einzelheiten erkennen konnten.
„Hier werden die uns nie vermuten“, sagte Prado. „Die warten doch sicher darauf, daß wir von See her angreifen wie der selige Acosta und seine dämlichen Genossen. Gott hab’ sie selig.“
Wieder lachten sie leise und hielten nach dem Floß Ausschau. Doch es gab keine Spuren und auch keine Trümmer davon, weder auf dem Wasser noch am Ufer.
Als die Sonne aufging, hatten sie einen glänzenden Überblick.
Da lag die Karavelle vor ihnen – fast zum Greifen nah, und doch noch so unendlich fern. Ein paar Kerle erschienen an Deck.
Prado stierte das Schiff immer wieder an.
„Ich möchte nur wissen, was es mit der Karavelle auf sich hat“, sagte er kopfschüttelnd. „Das ist eine verdammt merkwürdige Angelegenheit. Der kleine Dreimaster gibt mir immer wieder Rätsel auf. Die Kerle bewegen sich auf dem Schiff, als seien sie dort zu Hause. Ich verstehe das einfach nicht.“
An dem kleinen Dreimaster hatten auch die anderen schon vergeblich herumgerätselt. Selbst Morro zuckte immer wieder mit den Schultern.
„Kapiere ich auch nicht. Der Kahn tauchte gestern früh unbemannt vor der Insel auf, die Kerle pullten hinüber und besetzten ihn mit der größten Selbstverständlichkeit, als hätten sie auf ihn gewartet. Jetzt ist die Situation umgekehrt: Die Bastarde haben ein Schiff, und wir sind schiffbrüchig.“
Merkwürdig war das Ganze für sie schon, denn sie fanden keine vernünftige Erklärung.
Aus dem kleinen Abzugsrohr über der Pantry kräuselte sich blauer Rauch, den der Wind langsam zerblies.
„Die frühstücken jetzt gleich“, maulte Santos, „und wir können uns die Zähne am Zwieback ausbeißen. Vielleicht gibt es bei denen Eier mit Speck oder so was.“
Neidvoll sahen sie zu, wie ein hagerer Mann ein paar Kummen an Deck brachte. Die Kerle da drüben hatten ihre Morgenwäsche gerade beendet, die darin bestand, daß sie sich ein paar Pützen Wasser über die Köpfe gossen.
Prado mampfte in Gedanken ebenfalls mit, als die Männer von dem Dreimaster sich gemütlich an Deck setzten und zu essen begannen.
Bei dem einen Kerl hockte ein Papagei auf der linken Schulter, der mit seinem großen Schnabel gierig nach einem Brocken faßte, dem ihm ein Riese von Kerl zusteckte.
„Der Köter sieht verdammt gefährlich aus und scheint auch sehr scharf zu sein“, kommentierte Prado. „Hoffentlich nehmen sie den nicht mit, wenn sie an Land gehen.“
„Dann knallen wir ihn eben ab“, sagte Morro. „Wir haben ja einen guten Überblick und sehen alles rechtzeitig.“
Nachdem der Papagei den Brocken geschluckt hatte, erhob er sich von der Schulter des Riesen und flog eine Runde über das Schiff.
Die Prado-Meute beobachtete den bunten Vogel. Sie kannten ihn und wußten, daß er unflätige Beschimpfungen ausstoßen konnte. Die Kerle hatten ihm einen reichhaltigen Wortschatz beigebracht. Zudem konnte der Papagei krächzen, kreischen und krakeelen, daß es ihnen jedes Mal durch Mark und Bein ging.
Der bunte Schreihals drehte eine zweite Runde. Dann fand er das wohl zu langweilig und flog zum Ufer. Der Riese sprang auf und rief ihm etwas nach, offenbar um ihn vom Landflug abzuhalten, doch der Papagei flog unbeirrt weiter. Er stieß nur wieder dieses entsetzliche Gekreische aus.
Scheinbar ziellos flog der bunte Vogel am Strand entlang. Dann war er über ihnen und zog neugierig ein paar Kreise.
Anfangs hielt er noch den Schnabel, doch dann wurde er ausfallend und begann hoch über ihren Köpfen zu krakeelen, zu zetern und zu schimpfen. Es waren auch ein paar hundsgemeine spanische Brocken dabei, die Prado sehr aufregten.
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