„Nun ja“, sagte Karl von Hutten. „Dann hast du ja genau richtig kalkuliert, Sir. Sie rücken uns auf den Pelz, und es nutzt uns herzlich wenig, daß wir den Dicken haben.“ Absichtlich bediente auch er sich der spanischen Sprache, damit Don Ramón jedes Wort hören konnte.
Hasard trat zu Don Ramón. „Señor, haben Sie das vernommen?“
Don Ramón war grau im Gesicht geworden, seine Mundwinkel zuckten heftig. Man hatte den Eindruck, in eine Masse aufgequollenen Hefeteiges zu blicken, in die ein Witzbold menschliche Züge geritzt hatte. Jeden Augenblick drohte der Teig in sich zusammenzufallen.
Noch entsetzter wurde der Dicke, als er vernahm, was die beiden Aufseher zu berichten hatten. Es verging nicht sehr viel Zeit, und Delon und Ventura entschlossen sich tatsächlich, alles zu sagen, was sie wußten.
Hasard nahm keinerlei Rücksicht, er sprach eiskalt und entschlossen mit ihnen.
„Hört zu“, sagte er. „Wir haben hier drei Indios, sie heißen Toparca, Chupa und Atitla. Wenn ihr nicht auspackt und singt wie die Lerchen, überlassen wir euch ihnen. Es gehört nicht sehr viel Phantasie dazu, sich auszumalen, was sie tun werden.“
Die drei Indios hatten sich genähert und zückten in unmißverständlicher Absicht ihre Messer. Karl von Hutten sprach jedoch mit ihnen, und sie hielten sich noch zurück.
Delon benetzte seine trocken werdenden Lippen mit der Zunge.
„Hör mal zu, das kannst du doch nicht tun“, sagte er zu Hasard. „Wir führen nur Befehle aus. Wir halten es weder mit dem Dicken da noch mit dem Präfekten, dem Stadtkommandanten oder dem Bürgermeister.“
„Aber ihr habt auch Carreros Befehle ausgeführt“, sagte Hasard.
„Den kennst du?“ fragte Ventura.
„Richtig. Er ist ebenfalls mein Gefangener.“
„Was? Wo?“ wollte Delon wissen.
„Ich stelle hier die Fragen“, sagte der Seewolf. „Ich warte noch einige Augenblicke, dann beginnt die Prozedur. Mister Andrews!“
„Sir?“ sagte Gary.
„Du zählst bis zehn. Wenn sie sich dann immer noch nicht entschieden haben, geht’s los.“
„Hoffentlich geht’s bald los“, sagte Carberry mit finsterem Gesicht.
Delon und Ventura wußten wie Don Ramón nicht, vor wem sie mehr Angst haben sollten – vor den drei Indios oder vor dem Ungeheuer.
Toparca wandte sich an von Hutten. „Überlaßt uns diese Hundesöhne“, sagte er mit harter Miene. „Nach Carrero waren sie mit die übelsten Sklavenschinder im Bergwerk.“
„Eins“, sagte Gary.
„Ich kann das nicht entscheiden“, sagte Karl von Hutten.
„Zwei.“
„Laß mich mit deinem Häuptling reden“, sagte Toparca. „Er wird es gestatten. Wir werden diesen Teufeln die Zungen herausschneiden und ihnen die Knochen brechen.“
„Drei“, sagte Gary.
„Verdammt, Delon!“ sagte Ventura. „Was haben wir davon, wenn wir schweigen?“
„Du vergißt die Belohnung.“
„Die erhaltet ihr sowieso nicht“, sagte Pater David. „Wer immer sie euch versprochen hat, ihr könnt sie vergessen.“
„Vier!“
„Du kannst machen, was du willst, ich halte das nicht aus“, sagte Ventura zu seinem Kumpan.
„Fünf!“
„Gut“, sagte Delon, dem inzwischen der Schweiß ausgebrochen war. „Was wollt ihr wissen?“ Er schaute die Männer mit flackerndem Blick an.
„Was ist nach unserem Abmarsch in Potosi geschehen?“ fragte Hasard.
Delon berichtete, was sich während der Nacht zugetragen hatte, dann schilderte er, wie die Eingeschlossenen aus dem Stadtgefängnis befreit worden waren. Ventura erzählte, was der Rat beschlossen hatte und wie die Befehle des Präfekten und des Bürgermeisters lauteten.
„Zwei weitere Boten sind nach Lima und nach Sucre in Marsch gesetzt worden“, erklärte er. „Der eine soll den Vizekönig über das Geschehen in Potosi unterrichten. Der andere hat den Auftrag, die Truppe zurückzuholen.“
„Gut, das genügt vorerst“, sagte der Seewolf. Eigentlich hatte er nicht daran gedacht, daß in Potosi geplündert und gemordet werden würde, aber diese Auswirkungen konnten ihm im Prinzip nur recht sein.
Die Männer grinsten.
„Ja, so ist das Leben nun mal“, sagte Ribault. „Es ist zwar bedauerlich, daß wir wegen des Transportproblems die Münze nicht restlos haben ausnehmen können, aber schließlich sind wir ja auch bescheiden.“
„Und wenn sich der Mob bedient hat, dann wird die Krone auch geschädigt“, sagte Pater David.
„Verrat!“ schrie Don Ramón de Cubillo schrill. „Ihr endet alle am Galgen! Ihr werdet gevierteilt!“
Carberry hielt ihm die geballte Rechte direkt vors Gesicht. „Noch ein Wort, Kerl!“ fuhr er ihn an. „Na los!“
Don Ramón schwieg. Ventura und Delon hielten ebenfalls den Mund. Sie waren noch nicht sicher, was mit ihnen geschehen würde. Vielleicht überließ der Schwarzhaarige sie doch den Indios?
„Das Ziel des Unternehmens gegen Potosi ist also voll erreicht worden“, sagte Hasard. „Gut.“ Er blickte auf den Provinzgouverneur hinunter, der wie ein großer Klumpen Elend dahockte. „Ja, und den armen Don Ramón hat man also wie eine heiße Kartoffel fallen lassen. Mit dem Gouverneursamt und den damit verbundenen Pfründen, dem Wohlleben und den erzwungenen Liebesspielen mit hübschen Indiomädchen dürfte es aus sein.“
„Du bist erledigt, Dicker“, sagte Delon zu Don Ramón. „Hast du kapiert?“
„Wen juckt das schon?“ Ventura blickte zu Hasard auf, während er es sagte. „Eine widerliche Made im Speck weniger, ist das nicht gut?“
„Versucht nicht, euch bei uns anzubiedern“, sagte Hasard. „Darauf fallen wir nicht herein. Ihr seid genauso schlimm wie dieser Kerl. Ihr könnt froh sein, wenn wir euch am Leben lassen.“
Toparca bat darum, mit dem Seewolf sprechen zu dürfen, als dieser in seine Höhle zurückkehrte. Ruhig hörte Hasard sich an, was der Mann ihm zu sagen hatte.
„Wir haben das Recht, diese drei Mörder in Stücke zu schneiden“, sagte der Indio. „Chupa und Atitla warten wie ich darauf, es tun zu können. Warum läßt du nicht zu, daß wir sie zerfetzen und in die nächste Schlucht stürzen, damit der Kondor sie fressen kann?“
„Macht euch nicht die Finger an ihnen schmutzig“, sagte Hasard. Von Hutten war bei ihm und übersetzte. „Es lohnt sich nicht.“
„Weißt du, wie viele von uns diese Hunde getötet haben?“ fragte Toparca.
„Ich kann es mir vorstellen. Andererseits kann ich aber auch keine weiteren Grausamkeiten billigen.“
„Ich beuge mich deinem Befehl“, sagte Toparca.
„Ich werde noch entscheiden, was mit ihnen geschieht“, sagte Hasard. „Ob wir sie mit auf die Schiffe nehmen. Ich weiß es selbst noch nicht. Aber ich informiere dich und deine Stammesbrüder noch darüber, Toparca.“
Toparca zog sich wieder zurück.
„Sicher“, sagte Hasard zu von Hutten und Pater David, der ebenfalls herübergekommen war. „Don Ramón und die beiden Aufseher haben es verdient, zu Tode gequält zu werden. Aber Don Ramón hatte ich versprochen, ihm eine Chance zum Überleben zu geben, wie ihr wißt.“
„Das stimmt“, pflichtete Pater David ihm bei. „Doch es stellt sich die Frage, wie wir weiter mit ihnen verfahren. Willst du sie irgendwo aussetzen?“
„Ich weiß es noch nicht“, erwiderte Hasard.
Es ging inzwischen auf den Nachmittag zu. Daß es nur zu empfehlen war, auch weiterhin auf dem Plateau zu verweilen, war für Hasard logisch und folgerichtig. Erst mußten sie abwarten, ob die Soldaten auftauchten. Sie mußten sie zurückschlagen. Erst dann konnte der Marsch westwärts weitergehen.
Die Zeit verstrich. Bald wurde es dunkel. Stenmark hatte zu dieser Stunde den Späherposten besetzt, und er war es, der im verblassenden Büchsenlicht die Gestalten von Männern entdeckte, die sich über den Pfad dem Plateau näherten. Sofort begab er sich zu Hasard und den anderen, um es zu melden.
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