Pater David hatte inzwischen den bewußtlosen Soldaten gefesselt und geknebelt. Er vergewisserte sich, daß sich die fünf Maultiere ruhig verhielten, dann ging er zu Hasard und den vier anderen Männern hinüber und betrachtete die Brustwehr.
„Ein gutes Stück Arbeit“, sagte er leise. „Ich möchte wirklich wissen, was die Soldaten jetzt noch unternehmen wollen.“
„Der Pfad ist zur Zeit mit Felsbrocken blockiert“, sagte der Seewolf. „Es dürfte einige Zeit dauern, bis sie die weggeräumt haben. Außerdem ist es jetzt dunkel.“
„Da kann man leicht danebentreten oder ausrutschen“, sagte Pater David mit nachdenklicher Miene. „Der Pfad ist schmal. Und sollten sie es trotzdem schaffen, dann haben sie hier eine weitere Barriere vor sich, die sie kaum nehmen werden.“
„Mit anderen Worten, wir haben bereits gewonnen?“ Stenmark schüttelte den Kopf. „Da würde ich nicht so sicher sein.“
„Wir warten ab, was sich tut“, sagte Hasard. „Eine andere Wahl haben wir ohnehin nicht.“
Noch wußten sie nicht, daß es der Teniente Alvaro Gomez war, der den Trupp Soldaten anführte, ausgerechnet jener Mann, der von Carberry öffentlich niedergeschlagen und gedemütigt worden war. Aber bald sollten sie es erfahren.
Alvaro Gomez hatte sich mit dem Rücken gegen die Felswand gelehnt. Er atmete heftig und unregelmäßig und mußte sich bezwingen, um nicht vor Wut und Haß laut loszuschreien. Es kochte in ihm, seine Hände waren zu Fäusten geballt.
Langsam wandte er sich zu dem Sargento um.
„Ist jemand verletzt?“ fragte er.
„Nein, Señor Teniente. Alle wohlauf.“
„Außer dem Vortrupp haben wir drei Verluste, richtig?“
„Ja, das ist richtig.“
„Hölle und Teufel“, sagte Gomez. „Es war gut und richtig gewesen, die Vorhut zu schicken. Aber wir hätten sie kleiner halten sollen.“ Diesen Fehler gestand er gern ein. Daß das Scheitern des Trupps jedoch nicht seine Schuld war, stellte er aber auch sofort klar. „Dieser Idiot ganz vorn bei den fünf Maultieren – warum hat er nicht aufgepaßt?“
„Ich weiß es nicht“, erwiderte der Sargento. Er konnte es sich zwar vorstellen: Übermüdung. Doch das wagte er laut nicht zu äußern.
„Wer ist es?“
„Der Soldat Hernan Tores, Señor.“
„Wenn er noch am Leben ist, wird er dafür büßen“, sagte Gomez wütend. „Er hat uns nicht alarmiert. Er hat geschlafen, der verfluchte Bastard.“
„Sie haben ihn überrumpelt“, sagte ein alter Soldat. „So muß es gewesen sein. Anders kann ich es mir nicht vorstellen.“
Gomez überlegte, was er tun sollte. Rückzug? Auf gar keinen Fall, dachte er. Er gab nicht auf. Es mußte eine Möglichkeit geben, die Hundesöhne doch noch zu packen und zu überwältigen.
„Welche Möglichkeiten haben wir, diesen Bastarden in den Rücken zu fallen?“ fragte er.
„Keine, Señor“, entgegnete der alte Soldat, der sich am besten von allen in dieser Bergregion auskannte. „Es gibt nur den einen Pfad, ein anderer existiert nicht.“
„Wir müssen den Spieß umdrehen“, sagte Gomez. „Noch können wir es schaffen.“
„Das dürfte außerordentlich schwierig sein“, sagte der alte Soldat.
„Das finde ich auch“, fügte der Sargento hinzu.
Gomez’ Gesicht war eine Grimasse des Hohns und der Verachtung. „Ihr würdet gern kapitulieren, was? Das könnte euch so passen, ihr Feiglinge. Nein! Wir haben den Feind vor uns und werden ihn vernichten. Wir haben immer noch genug Männer, um gegen ihn bestehen zu können. Und noch etwas: Wer meinen Befehlen nicht gehorcht, wird von mir persönlich bestraft.“
„Ja, Señor“, murmelten die Männer, aber sie hätten den Teniente am liebsten umgebracht.
Das Unternehmen hatte bereits zu viele Opfer gefordert. Sie waren nicht bereit, sich von ihm verheizen zu lassen. Sie wußten, daß der Teniente auf eine Beförderung hoffte, wenn er als Sieger nach Potosi zurückkehrte. Aber sie wollten nicht, daß er auf ihre Kosten aufstieg. Alles hatte seine Grenzen.
Es gab keine Alternative. Sie mußten über den Pfad vorrücken, auf Biegen und Brechen. Gomez überlegte hin und her und wägte alle Gegebenheiten ab, dann fällte er seine Entscheidung.
„Wir nutzen die Dunkelheit aus“, sagte er leise zu den Soldaten. „Es ist jetzt so finster, daß sie uns nicht sehen können. Wir warten aber noch Mitternacht ab, erst dann handeln wir. Die Zeit ist unser Verbündeter. Sie werden glauben, daß wir uns zurückgezogen haben. Wenn sie nicht mehr damit rechnen und einpennen, fallen wir über sie her und nehmen ihr Lager im Sturm.“
„Sie glauben im Ernst, daß das gelingt?“ fragte der Sargento verblüfft.
„Habe ich gesagt, daß ich mit Ihnen darüber diskutieren will?“ fragte Gomez drohend.
„Nein, Señor.“
„Also, dann halten Sie Ihren Mund!“
Sie schwiegen. Gomez spürte, daß ihn die Soldaten zum Teufel wünschten, aber das war für ihn das geringste Problem. Sie sollten nur wagen, offen gegen ihn aufzubegehren! Ein Exempel genügte, und die anderen kuschten wieder. Wenn die Kerle aufmüpfig wurden, würde er nicht zögern, einen von ihnen eiskalt niederzuschießen.
Er ließ sich auf dem Pfad nieder und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Felswand. Ruhig Blut, dachte er, und nicht die Nerven verlieren.
Natürlich: Er durfte seine Gefühle nicht offen zeigen. Je disziplinierter er sich verhielt, desto größer war das Vertrauen der Soldaten in ihn. Keine Blöße durfte er sich geben. Seine Härte und Unnachgiebigkeit waren das Vorbild, das er ihnen vorlebte. Daran orientierten sie sich. Er mußte sie energisch zum Ziel führen und die Stellung der Banditen im Handstreich nehmen.
Er blickte zu den Maultieren. Die würden jetzt nicht mehr viel nutzen. Sie konnten sie hier, an diesem Platz, zurücklassen. Das war sogar empfehlenswert, denn leicht konnten die Tiere sie im Dunkeln durch ihr Schnauben verraten.
Die Zeit verstrich schnell, schneller, als Alvaro Gomez gedacht hatte. Bald war Mitternacht – dann ging es los.
Hasard und seine Männer berieten zur selben Zeit an der Steinbrustwehr miteinander. Ribault, von Hutten, Dan und Carberry waren zu ihm herübergekommen, nur Pater Aloysius hielt zur Zeit in den Steilfelsen Wache.
„Wie wäre es mit einem Ausfall?“ fragte der Profos. „Abgehauen sind die Dons noch nicht, da gehe ich jede Wette ein. Sie kauern hinter der Biegung. Es wäre doch fein, wenn wir sie da mal besuchen würden.“
„Wir müßten über die Felsen hinwegklettern, vergiß das nicht“, sagte Hasard. „Das ist mir zu riskant. Warum sollen wir das Risiko eingehen?“
„Ich fürchte bloß, sie hecken wieder was Neues aus“, sagte Carberry.
„Was denn?“ sagte Ribault. „Sie können uns nur über den Pfad erreichen. Entweder räumen sie die Felsen ab, oder sie steigen darüber hinweg.“
„Dann knallen wir sie ab“, sagte Carberry. „Einen nach dem anderen. Ja, das stimmt. Wir brauchen uns von hier gar nicht wegzurühren.“
„Ich hoffe immer noch, daß die Soldaten Vernunft annehmen“, sagte der Seewolf. „Wem dient denn dieses Blutvergießen?“
„Einem gewissen Rübenschwein“, sagte der Profos. „Wenn mich nicht alles täuscht, ist dieser Teniente dabei, den ich in Potosi ein bißchen herumgestoßen habe. Ich glaube, ich habe seine Stimme vorhin herausgehört. Wenn der den Trupp anführt, kann ich mir gut vorstellen, daß er so rasch nicht aufgibt.“
„Laßt ihn kommen“, sagte Dan. „Wir bereiten ihm einen gebührenden Empfang.“
„Sie lassen noch einige Zeit vergehen“, sagte Hasard. „Um uns zu verunsichern, aber auch, um frische Energien zu sammeln. Wahrscheinlich greifen sie erst nach Mitternacht an.“
Tatsächlich ließ Alvaro Gomez die Mitternachtsstunde noch halb verstreichen, erst dann gab er das Zeichen zum Aufbruch. Die Soldaten erhoben sich von ihren provisorischen Lagerplätzen und schlichen den Pfad entlang. Gomez führte sie und hielt, bevor sie die Felsbrocken erreichten, nach einer Einstiegsmöglichkeit in die Steilwand Ausschau.
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