Es gab einen Durchschlupf, sehr eng zwar, aber schlanke Männer konnten sich hindurchzwängen. Gomez blieb stehen und drehte sich grinsend um. Er gab zwei Soldaten das Zeichen, in die Stellfelsen einzusteigen. Ihre Aufgabe war klar, sie hatten vorher alles genau abgesprochen. Die beiden sollten auskundschaften, wo sich der Lagerplatz des Feindes befand.
Die beiden Männer kletterten nach oben und gelangten an eine Felsennadel, von der aus sie im weißlichen Mondlicht zumindest einen Teil des Plateaus überblickten. Sie sahen aber auch die Brustwehr, die am Zugang zum Plateau errichtet worden war. Gerade wollten sie wieder absteigen und den Teniente informieren, da geschah es.
Dan hatte die im Mondlicht aufschimmernden Helme und Brustpanzer der Soldaten sofort entdeckt. Jetzt hob er die Muskete und zielte auf den linken Soldaten. Hasard hatte den anderen im Visier. Sie drückten gleichzeitig ab. Die Musketen krachten, und in das Geräusch, das von den Bergwänden widerhallte, mischten sich die Schreie der Getroffenen.
Hasard und Dan nahmen die schmauchenden Büchsen herunter.
„Alle Achtung“, sagte Carberry. „Besser hätte ich das auch nicht gekonnt.“
Sie verfolgten, wie die Gestalten der beiden Soldaten von der Felsnadel verschwanden und in die Tiefe stürzten. Sie waren tot, ehe sie auf den Pfad prallten. Der eine fiel in die Schlucht, der andere rollte dem Teniente vor die Füße.
„Heilige Mutter Gottes“, sagte der Sargento. „Sie haben ihm zwischen die Augen geschossen.“
„Diese Hunde sind mit dem Teufel im Bund“, sagte der alte Soldat. „Sie können in der Dunkelheit sehen wie Luchse.“
Alvaro Gomez war zu betroffen, um etwas sagen zu können. Wie erstarrt stand er da und blickte auf den vor ihm liegenden Toten. War denn alles verhext? Ging es noch mit rechten Dingen zu?
Das Echo der Schüsse war verhallt, wieder trat Ruhe ein. Gomez blickte in die Felsspalte, in der die beiden Soldaten aufgestiegen waren. Sollte er denselben Weg nehmen und mit mehreren Musketen auf die Widersacher feuern? Welchen Erfolg brachte es ihm? Daß er ebenfalls mit durchschossener Stirn abstürzte?
„Teniente“, sagte der Sargento.
Jetzt habe ich nur noch zehn Soldaten, dachte Gomez. Wenn das so weitergeht …
„Teniente“, sagte der Sargento. „Wie lauten Ihre Befehle?“
„Weiter“, sagte Gomez. Er stieg über den Toten und schritt voran, hart an der Felswand, die Muskete schußbereit in den Fäusten. Sollte er sich des Helms entledigen? Nein, der Helm bot ihm Schutz. Und den Brustpanzer, der ebenfalls matt im Mondlicht schimmerte, konnte er auch nicht ablegen. Unmöglich, ein Soldat brauchte seine Montur, er war damit verwachsen.
Noch boten die Felsen Schutz, die auf dem Pfad lagen. Ein riesiger Quader, an die vierzig Yards von der Brustwehr entfernt, blockierte den Pfad völlig. Der Teniente verharrte und spähte vorsichtig darüber hinweg.
Er konnte nichts erkennen, keinen Gegner in der Dunkelheit. Diese Kerle waren wie Gespenster, mal tauchten sie wie ein Spuk auf, und mal verschwanden sie wieder. Sie schienen sich in Luft aufgelöst zu haben. Aber sie waren da, nicht weit entfernt. Hob er den Kopf zu sehr an, schossen sie.
Der Sargento, der alte Soldat und die anderen trafen bei ihm ein.
„Hier geht’s nicht mehr weiter“, sagte der Sargento.
„Der Brocken muß weg“, sagte Gomez.
„Aber auf dem Weg können allenfalls drei Mann nebeneinander stehen“, gab der alte Soldat zu bedenken. „Das wird ein schweres Stück Arbeit. Ich schätze, das schaffen wir kaum.“
Der Teniente sah ihn an, sein Blick war flackernd und unstet. „Der Brocken muß weg, habe ich gesagt!“
Drei Soldaten stemmten sich gegen den Quader. Sie drückten mit den Händen und Schultern dagegen, doch es war, wie der alte Mann prophezeit hatte: Der Block rührte sich nicht vom Fleck. Die anderen Soldaten versuchten mitzuhelfen, aber der Sargento geriet dabei in bedrohliche Nähe des Abgrunds. Fast glitt er aus und kippte hinunter.
„Aufhören!“ keuchte er entsetzt, dann wandte er sich an Gomez. „So hat das keinen Sinn, Teniente.“
„Wie denn?“ fragte Gomez. „Wie hat es Sinn?“
„Wir müssen aufgeben“, sagte der alte Soldat.
Gomez’ Gesicht begann sich in eine teuflische Fratze zu verwandeln.
„Man kann über den Brocken hinwegklettern“, sagte er mit seltsam gequetscht klingender Stimme.
„Ja“, sagte der Sargento. „Und wir werden abgeknallt wie auf dem Präsentierteller.“
„Und angenommen, wir rollen den Klotz wirklich in die Tiefe“, sagte der Alte, „dann stehen wir hier ebenfalls im Freien, ungeschützt und zum Sterben bereit.“
„Es sei denn, wir haben noch genügend Zeit, eine Deckung zu finden“, sagte ein anderer Soldat.
„Schlag dir das aus dem Kopf“, brummte der Alte. „Die Kerle sind zu schlau. Du kannst es drehen und wenden, wie du willst, so oder so ist es ein Glücksspiel mit dem Tod.“
Gomez stieß einen heiseren Laut aus. „Jetzt habe ich aber genug! Überklettert den Brocken! Stürmt vor! Das ist ein Befehl! Wir rennen und schießen diese Hurensöhne nieder!“
„Wahnsinn“, sagte der Sargento.
„Wie? Ich habe mich wohl verhört!“
„Das ist Wahnsinn“, sagte der Sargento ruhig und mit fester Stimme. „Ohne Deckungsfeuer ist das, was Sie vorhaben, Selbstmord, Teniente.“
„Über den Felsen hinweg!“ schrie Gomez ihn an.
„Sie können nicht von uns verlangen, daß wir uns freiwillig niederschießen lassen!“ rief der Sargento.
Gomez brüllte: „Das ist Feigheit vorm Feind! Ungehorsam! Sie haben meine Befehle auszuführen!“
Hasard und seine Männer kauerten hinter der Brustwehr und lauschten diesem Dialog.
„Hört euch das an“, sagte Hasard. „Es sieht wirklich so aus, als wolle er sie alle verheizen. Verdammt noch mal, das geht mir gegen den Strich.“
„Wir können sie nicht abknallen wie die Hasen“, sagte Carberry. „Wenn ich diesem Scheiß-Teniente gleich in Potosi den Schädel eingeschlagen hätte, wär’s besser gewesen.“
„Ich glaube, die Soldaten spielen nicht mehr mit“, sagte Stenmark. „Das hört sich verdammt nach Meuterei an.“
„Vorwärts!“ brüllte der Teniente Alvaro Gomez.
Aber es war der alte Soldat, der ihm Paroli bot.
„Señor Teniente!“ rief er höhnisch. „Warum gehen Sie nicht selbst voran und beweisen Ihren Mut? Wir folgen Ihnen gern, vorausgesetzt, es geschieht nichts Bedenkliches!“
Hasard rief zu ihnen hinüber: „Sehr richtig, Señor! Lassen Sie Ihrem Teniente den Vortritt, wir werden uns dann um ihn kümmern!“
„Da haben Sie’s“, sagte der Sargento. „Sie sind nur einen Steinwurf von uns entfernt.“
Alvaro Gomez war außer sich vor Haß. Jetzt verspottete ihn auch der Feind, und seine eigenen Leute fielen ihm in den Rücken. Er war versucht, dem Alten und dem Sargento die Faust ins Gesicht zu schmettern, bezwang sich aber doch im letzten Moment.
„Zum letzten Mal!“ brüllte er. „Vorwärts!“
„Nach Ihnen, Señor Teniente!“ schrie der Alte.
Da zog Gomez die Pistole.
Er hatte jetzt vollends die Beherrschung verloren und war kaum noch Herr seiner Sinne. Er sprang zurück, riß die Pistole hoch und schwang sie hin und her.
„Ihr Bastarde!“ brüllte er. „Ich werde euch standrechtlich erschießen!“
„Überlegen Sie sich, was Sie tun, Señor“, sagte der Sargento. „Nehmen Sie doch endlich Vernunft an.“
„Er verliert den Verstand“, sagte der Alte.
„Ihr Feiglinge!“ stieß Gomez hervor. „Ihr Ratten! Euch mache ich fertig, wenn ihr nicht gehorcht! Ihr kehrt nicht nach Potosi zurück!“
„Das tun wir auch nicht, wenn wir Ihre Befehle befolgen, Teniente“, sagte der alte Soldat. „Jedes Ding hat seine Grenze. Wir wären bereit gewesen, über den Stein zu klettern und die Brustwehr da oben zu stürmen, wenn wir wenigstens ein Deckungsfeuer gehabt hätten. Aber doch nicht so!“
Читать дальше