„He“, flüsterte er. „Blacky, bist du das?“
„Ja. Wie fühlst du dich?“
„Einfach prächtig. Habt ihr ihn?“
„Noch nicht, aber die anderen sind ihm auf den Fersen“, erwiderte Blacky.
„Wer alles?“
„Shane, Al, Batuti, die Zwillinge, Montbars, Piet und Baxter – und Plymmie. Plymmie hat mal kurz an Carreros Stiefeln geschnuppert, die er in der Vorpiek zurückgelassen hat, und jetzt hat sie seine Witterung aufgenommen.“
„Das ist gut. Sie findet ihn.“
„Hör mal“, raunte Blacky. „Was ist, wenn der Don noch hier in der Nähe steckt?“
„Er ist weg“, murmelte Sven. „Ich habe ihn selbst türmen sehen. Dann wurde alles schwarz um mich rum, und ich bin wohl umgekippt.“
„Tut die Schulter sehr weh?“
„Ach wo.“
„Glaubst du, daß die Kugel steckt?“
„Sie ist glatt hindurchgegangen“, erwiderte der Däne. „Wie durch ein Stück Butter. Ist das nicht witzig?“
„Ja, sehr. Urkomisch. Mir kommen gleich die Tränen. Vor Lachen, meine ich.“
„Viel ist da nicht zu machen. Das heilt schon wieder aus.“
„Ich lege dir einen provisorischen Verband an“, sagte Blacky. „Dann wird das Bluten schon aufhören. Du stützt dich auf mich, und wir kehren zur Bucht zurück.“
„Verdammt, ich will Carrero schnappen!“
„Du spinnst wohl! In deinem Zustand?“
„Wie ist das überhaupt passiert?“ erkundigte sich Sven. „Wie konnte der Hund aus der Vorpiek entkommen?“
„Beim Fischen der Anchovetas müssen wir unaufmerksam gewesen sein. Er durfte sich gerade die Füße an Deck vertreten, erinnerst du dich?“
„Ja.“
„Nun, dabei hat er sich einen Koffeynagel aus der Nagelbank des Großmastes geholt – als wir gerade nicht aufgepaßt haben.“
„Und die Fesseln? Wie hat er die gelöst?“
„Noch wissen wir es nicht“, erwiderte Blacky. „Aber er muß sie irgendwo aufgescheuert haben.“
„Vielleicht an einem Nagel, der ein Stück aus ’ner Planke ’rausragt“, meinte Sven. „Möglich wäre es. O Teufel, hätten wir ihm doch nie die Ketten abgenommen.“
„Ben hat es bereut, das kannst du mir glauben.“
„Und was ist weiter vorgefallen?“
„Carrero hat Luke, der gerade Wache vor dem Schott hatte, mit einem Trick hereingelockt. Er hat mit dem Belegnagel herumgehämmert, glaube ich. Luke wollte nach dem Rechten sehen, da hat Carrero ihm was über den Kopf gegeben. Vorher hat er sich natürlich schlafend gestellt.“
„Dieser Scheißkerl“, sagte Sven. „Wenn Hasard das erfährt, macht er uns alle zur Schnecke.“
„Carrero hat an Deck auch noch Jack Finnegan umgehauen – mit dem Belegnagel. Der hat eine saubere Handschrift, kann ich dir sagen.“
„Sind die beiden schwer verletzt?“
„Ihre Köpfe sind hart genug, sie werden es überstehen“, erwiderte Blacky. „Und wir haben ja schon Schlimmeres einstecken müssen, nicht wahr?“
„Ja, klar. Der dickste Hund ist, daß Carrero weg ist. Mann, so eine Schande.“
„Plymmie erwischt ihn“, sagte Blacky. „Ich bin davon überzeugt. Sie wird ihm sicherlich einiges mehr als den Hosenboden aufreißen. Was für einen Haß sie auf ihn hat, weißt du ja.“
„Ja.“ Sven stöhnte und verzog das Gesicht.
„Hör jetzt auf zu reden“, sagte Blacky. „Du hast schon genug Blut verloren. So gut wie der Kutscher bin ich nicht, aber vielleicht mindestens so gut wie Mac, was das Behandeln von Blessuren betrifft. Hältst du still – oder soll ich dir den Arm gleich amputieren?“
„Du machst vielleicht Witze!“
Blacky grinste, zog sich das Hemd aus und riß es in Streifen. Im Nu hatte er jeweils zwei Fetzen zusammengeknotet und legte Sven einen behelfsmäßigen Verband an. Lange würde diese Maßnahme nicht vorhalten, das wußten sie beide. Vor allen Dingen mußte Sven so schnell wie möglich an Bord der „Estrella de Málaga“, damit die Wunde ausgewaschen und mit sauberen Tüchern verbunden werden konnte.
Eine Weile hockten sie aber noch da und lauschten in die Nacht. War da nicht ein Knurren zu vernehmen? Plymmie – oder bildeten sie sich das nur ein? Wie weit hatte Carrero sich entfernen können, seit er auf Sven Nyberg gefeuert hatte? Sehr weit konnte er nicht gelangt sein.
Aber was war, wenn er die Hündin niederschoß? Gelang es ihm dann, sich wiederum abzusetzen, fanden Shane und seine Begleiter ihn in der Dunkelheit sicher nicht mehr wieder.
Plymmie riß und zerrte an ihrer Leine, und jedesmal, wenn das Halsband tief in ihr Fell schnitt, gab sie einen keuchenden Laut von sich.
„Laßt sie los!“ stieß Shane hervor. „Sie ist schneller als wir!“
Hasard junior biß die Zähne zusammen. Philip schnitt ebenfalls eine Grimasse. Hasard befreite Plymmie von der Leine – und sie raste davon.
Den Zwillingen war nicht wohl in ihrer Haut. Big Old Shanes Befehl war durchaus richtig, aber es gab auch noch einen anderen Aspekt, den man bedenken mußte: Sie mußten damit rechnen, daß Luis Carrero Plymmie kaltblütig tötete.
Allerdings war es genausogut möglich, daß Plymmie den Spanier niederwarf und schaffte. Und – nicht zu vergessen – es ging um Hasard und die Männer, die mit ihm nach Potosi unterwegs waren. Selbst wenn Plymmie geopfert werden mußte, war Shanes Entscheidung nur richtig: Das Leben der Männer war mehr wert als das eines Tieres.
Hasard junior und auch sein Bruder erkannten, wie schwer es war, solche Entscheidungen zu treffen, bei denen es um Leben oder Tod des einen oder anderen ging.
„Faß ihn!“ gellte Hasard juniors Stimme hinter Plymmie her – und sie schien ihr Tempo noch zu verdoppeln.
Sie jagte durch die Nacht – ein langgestreckter grauer Schatten. Die Männer und die beiden Jungen liefen hinter ihr her, hatten sie aber bald schon aus den Augen verloren.
Lautlos huschte Plymmie durch die Nacht, sie schien über den felsigen Untergrund zu fliegen. Sie verlor die Witterung des Spaniers nicht, hatte sie deutlich in der Nase. Die Flecken waren in der Dunkelheit nicht zu sehen, doch die Hündin roch sie: Blutstropfen hafteten an dem Gestein. Carreros Blut. Er hatte sich die Fußsohlen aufgescheuert und aufgeritzt.
Dieser Umstand erleichterte Plymmie die Suche. Sie wußte, welche Richtung sie einzuschlagen hatte.
Sie raste dahin und hetzte die Beute. Sie war jetzt die Wölfin, die sich ihrem Opfer näherte und ihm bald im Nacken sitzen würde. Eine gnadenlose Jagd – grausam, wie die Natur nun einmal war. Und doch lag eine gewisse Art der Fairneß darin. Das Opfer hatte eine Chance. Es konnte, wenn es gerissen genug war, noch auf die eine oder andere Art entwischen.
Wenn Carrero ins Wasser lief, verlor sich seine Spur. Aber er konnte sich nicht in die See stürzen. Welcher Sinn lag darin? Draußen war er verloren, und eine andere Art von Schicksal ereilte ihn.
Seine Hoffnung würde darin bestehen, an einen Bachlauf zu gelangen. Aber fand er ihn rechtzeitig genug? Noch ahnte er nicht, daß ihm die Hündin auf den Fersen saß.
Luis Carreros Atem ging hastig und stoßweise. Er verfluchte sich, weil er die Langschäfter in der Vorpiek zurückgelassen hatte. Aber dieser Fehler war nicht wiedergutzumachen.
So schlimm, wie es jetzt war, hatte er sich das Ganze doch nicht vorgestellt. Das Gestein erwies sich als mörderisch. Seine Füße brannten wie Feuer. Er lief mit seltsam staksenden Bewegungen. Bei jedem Schritt hätte er am liebsten aufgeschrien.
Er verspürte den Drang, sich einfach hinzusetzen und abzuwarten – aber er mußte weiter. Nicht stehenbleiben jetzt, hämmerte er sich immer wieder ein, nicht schlappmachen.
In einem Anflug blinder Wut schleuderte er die Muskete von sich, die er Jack Finnegang abgenommen und auf Sven Nyberg abgefeuert hatte. Er hatte ohnehin keine Zeit zum Nachladen. Die Waffe behinderte ihn jetzt nur beim Laufen.
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