Die Wölfin schien den Schuß geahnt zu haben. Sie schnellte zur Seite. Carrero feuerte auf den huschenden Schatten, der aber plötzlich hinter einem Uferfelsen verschwand.
Es schien sie nie gegeben zu haben, diese teuflische Wolfshündin. Es wirkte, als habe sie sich in Luft aufgelöst wie ein Spuk. Der Schuß donnerte in die Nacht – und ging fehl. Irgendwo prallte die Kugel von den Felsen ab und jaulte als Querschläger davon.
Carrero stöhnte auf. Das hatte ihm noch gefehlt.
Wieder hörte er das Knurren. Wie von Sinnen schleuderte er die leergeschossene Pistole aus dem Gurt. Sie gehörte Jack Finnegan, und es handelte sich um ein solides, nicht sonderlich aufwendig gearbeitetes, aber sehr präzises Radschloß-Modell.
Carreros Gesicht war eine Fratze der Angst und des Hasses. Er wollte den Hahn spannen, griff aber mit dem Daumen daneben. Er stolperte und drohte zu stürzen, fing sich wieder, fluchte und hantierte mit beiden Händen an der Waffe herum.
Endlich gelang es ihm, den Hahn zu spannen. Da sah er, wie der Schatten des Tieres wieder hinter dem Felsen hervorsprang.
„Nein!“ schrie er.
Plymmie raste auf ihn zu, ein zähnefletschendes Ungeheuer in der Nacht. Das Knurren nahm zu, das Hecheln wurde zu einem Dröhnen. Ihr Atem verwandelte sich in Dampf. In dieser Vision sah Carrero sie plötzlich, und er schrie noch einmal.
Er war halb irrsinnig vor Angst und Entsetzen, vor allem deshalb, weil er wußte, was solche Hunde mit Menschen anrichten konnten. Brüllend richtete er die Radschloßpistole auf Plymmie.
„Du Vieh! Ich bring’ dich um!“ schrie er.
Ihr Schatten flog an ihm vorbei. Er feuerte im Laufen, und ein Donnerhall rollte über den Strand. Der Mündungsblitz stach auf die Wolfshündin zu, doch wieder war sie schneller. Schon war sie vorbei, und die Kugel raste ins Leere.
Carrero brüllte auf und schleuderte die Pistole nach ihr. Er traf auch dieses Mal nicht. Die Pistole landete im Sand.
Plötzlich war Plymmie wieder verschwunden. Carrero taumelte. Er glaubte, seinen Augen nicht zu trauen. War dieses Vieh vielleicht wirklich verhext? Stand es mit dem Teufel im Bund? Er konnte es nicht fassen. Er war ein guter Schütze, und er hatte schließlich auch den Kerl nicht verfehlt, der ihn angerufen und bedroht hatte. Warum gelang es ihm nicht, dieses Höllenbiest zu töten?
Er hatte nur noch das Entermesser als Waffe. Er zog es aus dem Gurt, nahm es in beide Hände, blieb stehen, blickte gehetzt nach allen Seiten und sagte: „Komm her! Wo bist du?“
Seine Stimme klang schrill und verzerrt. Er erkannte sie selbst kaum wieder. Wütend hackte er mit dem Entermesser durch die Luft.
„Du dreckiges Biest!“ brüllte er. „Wo steckst du?“
Er sah das Tier nicht, so sehr er seine Augen auch anstrengte. Keuchend, mit pumpenden Lungen, stand er da. Er duckte sich und schaute sich wieder nach allen Seiten um.
Da! Da war etwas! Oder nicht? Carrero war sicher, eine Bewegung bemerkt zu haben. Er schleuderte das Entermesser. Es huschte durch die Luft. Und dieses Mal traf er. Es gab ein hartes Geräusch, und er vernahm auch einen Ton, den Laut eines Tiers im Sterben, wehklagend und hell. Dann riß es ab.
Carrero trat auf sein Opfer zu. Er bückte sich – und dann begriff er. Es war nicht die Hündin, die er mit dem Messer getroffen hatte. Es handelte sich um einen Strandhasen, der jählings aufgetaucht war. Er hatte ihn glatt geköpft.
Carrero begann, wie ein Irrer zu lachen. Er konnte sich nicht mehr beruhigen und ließ das Entermesser zu Boden fallen. Nutzte es ihm noch? Nein. Das Vieh war fort. Verschwunden! Er konnte wieder laufen – Arica entgegen.
Er lief und lief, lachte und lachte. Er vernahm kaum das leise Knurren, das plötzlich wieder hinter ihm war. Und welche Bedeutung hatte es jetzt noch? Er hatte den Köter abgehängt, in die Flucht geschlagen – jawohl!
Die Wölfin war heran, setzte Carrero in letzten, langen Sprüngen nach und hob vom Boden ab. Sie flog von hinten auf ihn zu, saß ihm im Nacken und riß ihn mit sich nieder.
„Nein!“ schrie Carrero.
Aber sein gellender Schrei verröchelte. Es nutzte ihm nichts mehr, daß er mit den Fäusten nach ihr schlug und wie verrückt mit den Beinen stieß. Die Wölfin war ihm überlegen. Ihre kräftigen Zähne schnappten nach seiner Kehle. Carrero sah sie aufblitzen. Sie waren wie die Zähne eines Haies, dolchspitze Waffen, gnadenlos und tödlich.
Sein letzter Laut erstickte, als sie ihm die Kehle durchbiß. Sein Körper sank schlaff auf den Sand, dann regte er sich nicht mehr.
Die Wölfin ließ von ihm ab, trottete ins Wasser und schnappte nach den Wellen, als müsse sie sich das Maul spülen. Sie kehrte auf den Strand zurück, hob den Kopf und legte ihn in den Nacken. Sie schien den Mond anzublicken, öffnete ein wenig das Maul und gab ein verhaltenes Heulen von sich.
Dann begab sie sich wieder zu Luis Carrero, beschnupperte ihn und ließ sich schließlich in seiner Nähe auf dem Sand nieder. Sie schloß die Augen und öffnete sie wieder. Sie atmete jetzt ganz ruhig, von der Hetzjagd war ihr nichts mehr anzumerken. Überhaupt – es schien nichts geschehen zu sein. Ruhe war jetzt wieder eingetreten, unterbrochen nur von dem leisen Rauschen der Brandung.
Nichts konnte Sven Nyberg mehr halten. Als die Schüsse aufpeitschten, mußte er sich aufrappeln.
„Wir sehen nach, was da los ist“, sagte er zu Blacky. „Nein, keine Widerrede. Wenn du nicht willst, daß ich dem Trupp nachlaufe, ist das deine Sache.“
„Na los, ich stütze dich“, sagte Blacky.
„Mann, meine Schulter ist durchlöchert, nicht mein Bein!“
„Kannst du laufen?“
„Klar kann ich das!“ stieß Sven hervor, dann lief er los und hängte den verblüfften Blacky fast ab, als sie durch die Felsen zum Ufer eilten.
Shane, Al und die anderen hatten unterdessen das Wasser fast erreicht. Die Stille wirkte unheimlich. Was war geschehen?
„Plymmie!“ rief Hasard junior. „Plymiiiee!“
Ein helles Bellen ertönte hinter den Felsen. Philip junior und sein Bruder lachten auf.
„Sie ist am Leben!“ rief Philip.
„Hast du vielleicht was anderes erwartet?“ fragte Hasard.
„Ich schon, du vielleicht nicht?“
„Lassen wir das, es ist ja egal“, sagte Hasard junior.
Ziemlich außer Atem gelangten sie an den schmalen Uferstreifen, als erster Shane, dann die Zwillinge, und dicht hinter ihnen Al, Batuti, Montbars, Piet und Baxter.
Plymmies Ohren spielten. Als sie die Stimmen ihrer Leute hörte, bellte sie kurz, erhob sich und trottete ihnen entgegen.
Big Old Shane blieb stehen, streichelte sie und blickte zu der reglosen Gestalt, die in der Nähe der Brandung lag.
„Gut gemacht, Plymmie“, sagte er. „Der Frauenschänder und hundertfache Mörder hat sein gerechtes Ende gefunden.“
Batuti und Al liefen zu dem Toten.
„Hölle, die hat es ihm aber besorgt!“ stieß der Gambia-Mann in einer Mischung aus Verblüffung und Betroffenheit hervor.
Die Hündin strich um ihre Beine herum. Sie ließ jetzt die Zunge heraushängen und benahm sich wie ein junger Hund, der Lust zum Spielen hat. Es war kaum zu glauben, daß sie soeben einen Menschen getötet hatte.
„Achtung!“ stieß Montbars plötzlich hervor. „Da ist jemand!“
Sie fuhren herum und griffen zu den Waffen. Zwischen den Felsen waren leise Geräusche. Stimmen waren zu vernehmen. Dann erschienen Blacky und Sven Nyberg, und die Männer atmeten wieder auf.
„He!“ rief Big Old Shane. „Ihr habt uns vielleicht einen Schrecken eingejagt! Gebt euch das nächste Mal gefälligst zu erkennen!“
„Das habe ich glatt vergessen“, sagte Blacky.
„Ich dachte, ihr wüßtet, daß wir hinter euch sind“, sagte Sven.
„Du spinnst wohl“, sagte Shane. „Und überhaupt, was hast du hier zu suchen?“
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