Trotz dieser Niederlage gaben die Piraten noch nicht auf – nicht zuletzt auch aus Angst vor Uluch Ali, der unbarmherzig Köpfe rollen ließ, wenn seine Seeräuber-Kapitäne einen Mißerfolg zu verzeichnen hatten.
Doch keiner der Piraten ahnte, wer die „ungläubigen Christenhunde“ an Bord der Sambuke waren. Hätten sie es gewußt, hätten sie einen Grund mehr gehabt, blutige Rache zu üben. Uluch Ali war ein alter Feind der Seewölfe: 1580 hatte Philip Hasard Killigrew es fertiggebracht, seinen Vater, Godefroy von Manteuffel, von der Piraten-Galeere zu befreien, wo dieser ein erbärmliches Dasein als Rudersklave gefristet hatte.
Der Seewolf hatte Uluch Ali in einem furchtbaren Säbelduell besiegt, schwer verletzt war Ali außenbords geflogen. Er hatte aber überlebt. Eine derartige Niederlage hatte er noch nie hinnehmen müssen, die Erinnerung daran gärte noch heute in ihm, und immer, wenn er daran zurückdachte, konnte es ihm schlecht werden vor Wut und Haß.
Die Seewölfe wußten von all diesen Zusammenhängen nichts und wähnten sich völlig sicher, zumal sie davon überzeugt waren, ihren unbekannten Gegner total abgeschlagen zu haben. Zwar hielten sie immer wieder nach allen Seiten Ausschau, konnten aber keine Verfolger erspähen.
„Keine Mastspitzen an der Kimm“, sagte Bob Grey, der zum wiederholten Mal nach achtern Ausschau gehalten hatte. „Keine Fühlungshalter – die Kerle scheinen von uns wirklich die Nase voll zu haben.“
Sam Roskill schob den Messingkieker zusammen, durch den er das Ufer längere Zeit über beobachtet hatte.
„Auch an Land tut sich nichts“, meldete er. „Keine Kamele, keine Reiter, die zu uns herüberstarren. Da drüben ist alles tot. Gut so, nicht?“
„Ausgezeichnet“, erwiderte Ben. „Wir können uns in aller Ruhe nach einem Ankerplatz für die Nacht umsehen. Ich glaube nicht, daß wir wieder Ärger kriegen, aber wir sollten trotzdem auf der Hut sein. Erinnert ihr euch noch an unsere Fahrt nach Damiette?“
„Natürlich“, brummte Old O’Flynn. „Plötzlich waren diese Bubastis-Muselmanen wieder da wie der Satan höchstpersönlich, aber wir haben es ihnen ja trotzdem ganz schön gegeben. Vielleicht sollten wir doppelte Ankerwachen einteilen, Ben.“
„Ja. Genau das werden wir tun.“
Damit war die Unterhaltung vorerst wieder beendet, und die Männer beschäftigten sich in ihren Gedanken mit Old England, mit der „Bloody Mary“ und mit dem dicken Plymson, als wären sie schon fast da und brauchten nur noch den Ärmelkanal zu überqueren.
Hamed, den Kamelreiter, der ihnen beharrlich folgte, sahen sie nicht. Er verhielt sich nach wie vor sehr geschickt und nutzte jede Deckung aus. Er konnte auch hinter Felsen weit vorausreiten und brauchte, an irgendwelchen Kaps verborgen, nur zu warten, bis die Männer in der Sambuke aufgesegelt waren.
Hamed hatte die Abwehr der Seewölfe als einziger Mann des Kamelreitertrupps unverletzt überlebt und seine Chance, der Sambuke doch noch folgen zu können, sofort wahrgenommen. Daher wußte er nicht, ob sich von den Küstenseglern auch jemand hatte retten können und war über das Schicksal seiner Kumpane nicht im Bilde. Er sollte in dieser Hinsicht noch eine Überraschung erleben.
Ben Brighton hatte also, solange er nichtsahnend in Sichtweite der Küste segelte, einen Fühlungshalter. Leider ging er nicht weiter auf die See hinaus, weil er nicht unbedingt in einen Sturm geraten wollte. An der Küste konnte er bei schwerem Wetter oder gar Sturm den Leeschutz einer Bucht aufsuchen, an denen es hier nicht mangelte.
An und für sich war dies seemännisch durchaus in Ordnung – nur in diesem Fall war es falsch, da er und seine Kameraden den Feind im Nakken hatten.
Der Wind war günstig und wehte leicht bis mittel aus Nordosten. Ben wartete den Nachmittag ab, bis er sich über die weiteren Wetterverhältnisse ziemlich im klaren sein konnte.
Dann sagte er plötzlich: „Wißt ihr was? Wir sollten den Wind ausnutzen und in dieser Nacht nicht ankern. Wir könnten mit vierstündiger Wachablösung durchsegeln, eine Wache unter meinem Kommando, die andere unter Donegals Befehl. Was haltet ihr davon?“
„Eine Menge“, entgegnete der alte O’Flynn. „Je schneller wir vorankommen, je mehr Abstand wir zwischen uns und dieses Scheißafrika bringen und je kürzer die Entfernung nach England wird, desto besser sieht es für uns aus.“ Er drehte sich zu den anderen um. „Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?“
„Das hast du“, sagte Smoky grinsend. „Und ich schätze, wir schließen uns deiner Meinung an.“
„Jawohl“, sagte Al Conroy. „Oder hat etwa jemand Bedenken anzumelden?“
Das hatte niemand, und so lief die Sambuke keine der Buchten an, die sie an diesem späten Nachmittag passierte. Die Dunkelheit setzte ein und senkte sich auf den Zweimaster und seine Besatzung, der Himmel war mit glitzernden Punkten durchwirkt, und der Wind blies weiterhin beständig aus Nordosten. Für die Seewölfe wurde es eine beschauliche Nachtfahrt, die Stimmung an Bord blieb weiterhin prächtig.
Hamed fuhr abrupt im Sattel seines Kamels herum, er hatte ein Geräusch hinter sich vernommen. Sofort griff er nach Pfeil und Bogen und traf Anstalten, auf das zu schießen, was sich ihm mit knirschenden Lauten durch den Sand der Dünen näherte. Was war das – Mensch oder Tier? Er kniff die Augen zusammen, vermochte aber nichts Genaues zu erkennen. Undeutliche Konturen bewegten sich vor dem samtenen Vorhang der Nacht.
„Bist du das, Hamed?“ fragte plötzlich eine ihm wohlbekannte Stimme.
Verblüfft ließ er Pfeil und Bogen wieder sinken.
„Muley Salah!“ stieß er hervor. „Ist denn das die Möglichkeit? Woher kommst du?“
„Eine dümmere Frage hättest du nicht stellen können, Narr“, sagte Muley Salah barsch. „Wo haben wir uns denn wohl zum letztenmal gesehen, wie?“
„An der Bucht von Kanais natürlich. Aber ich dachte ...“
„Das Denken solltest du deinem Kamel überlassen“, unterbrach ihn der andere. „Das wäre gewiß klüger. Also, ich bin nicht abgekratzt, wie du jetzt siehst, Allah sei’s gedankt. Und ich bin auch nicht allein.“
„Wer ist bei dir?“
„Fünf Mann – Jussuf, Ahmed, Fausi, Amra und Saied.“
Hamed steckte den Pfeil weg und hängte sich den Bogen über die Schulter. Er war immer noch überrascht. „Ihr alle habt überlebt? Allah sei gelobt, Allah ist groß. Nun wird alles wieder gut. Tod den Christenhunden, Pest und Aussatz sollen sie vernichten.“ Er drängte sein Kamel näher an die Tiere der anderen heran, und wirklich, jetzt konnte er trotz der Dunkelheit ihre Gesichter erkennen, die ihn unter Turban und Staubschutz angrinsten. „Wie ist dies möglich?“ fragte er immer wieder. „Wie ist es euch ergangen?“
„Nun hör endlich auf, dich zu wundern“, sagte Muley Salah in dem unwirschen Tonfall, den er schon vorher angeschlagen hatte. Er war ein hagerer Kerl mit einem Geiergesicht, zäh und grausam zugleich, einer der schlimmsten Galgenvögel der gesamten Piratenbande. „Wir sind keine Fata Morgana, schon gar nicht bei Nacht.“
„Allah und der Prophet haben euch gerettet.“
„Ja, von mir aus.“
„Wie?“ fragte Hamed noch einmal. „Ist ein Wunder geschehen?“
„Beim Gefecht flogen wir gleich ins Wasser“, erklärte Muley Salah. „Das war eigentlich unser Glück, denn die anderen, die noch länger an Bord unserer Schiffe blieben, hat es allesamt erwischt, als die Hunde von Giaurs ihre Bomben warfen. Wir sechs hier schwammen an Land und stießen dort auf unsere toten Kameraden. Du warst schon weg.“
„Um den Ungläubigen zu folgen“, sagte Hamed, denn es schien ihm, daß ein gewisser Vorwurf in den Worten des anderen mitschwang.
„Ja. Wir liefen zum nächsten Ort, Ghuka, und holten uns sechs Kamele.“
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