„Die haben genug!“ stellte Smoky mit sachkundiger Miene fest. „Jedenfalls bereiten sie mit diesen beiden Wracks niemandem mehr Ärger, das steht jetzt schon fest!“
Er sollte sich damit nicht getäuscht haben, denn im selben Augenblick versank der erste Küstensegler, der das große Leck im Bug gehabt hatte, mit einem häßlichen Gurgeln in der See. Die Überlebenden, es waren nur drei, hatten sich noch rechtzeitig durch einen Sprung in die Fluten gerettet.
Der Kampf war entschieden, die Gegner waren vernichtend geschlagen worden, genauso wie die Kamelreiter drüben an Land.
Ben Brighton gab zunächst den Befehl, die schwimmenden Araber aus dem Wasser zu fischen, aber diese schienen absolut keinen Wert darauf zu legen. Bereits der erste, den man aus den Fluten ziehen wollte, wehrte sich verbissen und schwamm dann davon, als sei der Scheitan persönlich hinter ihm her.
„Wer nicht will, dem ist nicht zu helfen“, sagte Ben Brighton. „Lassen wir sie also schwimmen. Nach menschlichem Ermessen müßten sie den Strand erreichen. Wir können nur für sie hoffen, daß sich die Haie noch an ihrer Futterstelle aufhalten.“
„So ist es“, sagte Old O’Flynn. „Jetzt werden sie die Hilfe Allahs wirklich gebrauchen können!“
„Und was wird aus uns, Mister Brighton, Sir?“ fragte Bob Grey. „Kehren wir zurück, um weiterzutauchen?“
„Nein!“ entschied Ben Brighton. „Wir haben in dieser lausigen Bucht schon genug Ärger gehabt. Außerdem waren wir durch die Haie auch genug Gefahren ausgesetzt. Was wir aus dem Wrack der ‚San Marco‘ herausgeholt haben, dürfte mehr als ausreichen, wir können damit zufrieden sein. Oder ist irgendeiner von euch ein ganz gottverdammter, lausiger und habgieriger Beutegeier?“
„Nein, Sir!“ tönte es fast gleichzeitig aus sieben Männerkehlen zurück.
„Dann ist’s ja gut“, sagte Ben Brighton und grinste. „Hopp, hopp, an die Schoten! Wir haben noch einen weiten Weg vor uns.“
Die Zweimast-Sambuke der kleinen Seewölfe-Crew ging auf Westkurs und segelte mit Backstagsbrise weiter an der nordafrikanischen Mittelmeerküste entlang.
Und wenn sich Old O’Flynn mit seinem kribbelnden Holzbein nicht getäuscht hatte, dann rauschte das kleine Schiff mitten hinein in neue Gefahren und Abenteuer.
Mit diesem Holzbein hatte es sowieso eine besondere Bewandtnis. Aber dieses Geheimnis kannte nur Old O’Flynn. Es würde ihm bald helfen müssen …
Die Stimmung an Bord der Sambuke hätte besser nicht sein können. Al Conroy und Pete Ballie stießen sich immer wieder an und lachten. Smoky, Sam Roskill, Bob Grey und Will Thorne, der alte Segelmacher der Seewölfe-Crew, grinsten wie die Teufel, und Ben Brighton schmunzelte vergnügt vor sich hin. Selbst Old Donegal Daniel O’Flynn kicherte hin und wieder, was sonst eigentlich gar nicht seine Art war.
Grund genug zur Heiterkeit bestand wirklich. Heute war der 4. Juni 1592, und an diesem Vormittag hatte Ben Brightons Gruppe die Bucht bei Ras el Kanais verlassen – mit heiler Haut, wohlgemerkt, und nach erfolgreicher Abwehr der Kamelreiter und der beiden Küstensegler, die sie bedroht hatten. An der Küste Nordafrikas entlang segelten sie nun weiter westwärts und hatten, wie sie annahmen, neue Angriffe vorläufig nicht zu befürchten.
Aber das war noch nicht alles. Die Sambuke war schwerer geworden, und zwar um ganze vier Schatztruhen. Diese Truhen waren bis unter ihre Deckel prall gefüllt mit Perlen, Edelsteinen, Diamanten und erlesenem Gold- und Silberschmuck, ein unverhoffter Reichtum, den der Zufall ihnen in die Hände gespielt hatte.
So etwas war ihnen wirklich noch nicht passiert: Der Stockanker der Sambuke hatte sich in einer Stückpforte der Galeone „San Marco“ verfangen, die friedlich als Wrack auf dem Grund der Bucht lag. Nur so waren sie überhaupt auf das Schiff aufmerksam geworden und hatten begonnen, danach zu tauchen und es zu untersuchen. Zwar hatten sie sich mit Haien und heimtückisch über sie herfallenden Kerlen abplagen müssen, doch das Ganze hatte sich gelohnt.
Vier Schatzkisten! Immer wieder ging es ihnen durch den Kopf, was sich mit dem Inhalt alles beginnen ließ.
„Der Teufel soll mich holen, wenn wir es mit diesem Zeug nicht schaffen, in England eine neue ‚Isabella‘ bauen zu lassen“, sagte Smoky. Bei diesen Worten klopfte er mit der Hand bedeutungsvoll auf eine der Kisten. „Wäre doch gelacht, wenn es mit dem neuen Kahn nicht klappen würde, was?“
„Wir kriegen eine ‚Isabella IX.‘“, erwiderte Old O’Flynn. „Ich spüre das, und mein Holzbein tut heute nicht weh. Ich meine, ich habe nicht dieses verdammte Reißen in meinem Beinstumpf, das immer dann einsetzt, wenn was nicht geheuer ist.“
„Schon gut“, sagte Pete Ballie. „Wir kennen uns mit deinem Bein ja genausogut aus wie du. Die Frage ist nur, ob wir unsere mühsam erbeuteten Kisten hier und auch das Geld und die Perlen, die wir in unseren Ledergürteln haben, sicher bis nach England raufbringen.“
Sam Roskill grinste und winkte ab. „Mach dir deswegen doch keine Sorgen, Mann. Unser Kahn ist schnell, wir fahren damit ganz fix nach Gibraltar und dann raus auf den Atlantik, pirschen uns an Cadiz vorbei und husten den Dons was, segeln an Portugal und Frankreich vorbei bis zum Ärmelkanal, und dann wartet der dumme Plymson in seiner ‚Bloody Mary‘ schon darauf, daß wir ihm mal wieder die Perücke zurechtstutzen.“
„Na fein“, sagte Ben Brighton. „Keine Probleme also bis nach Plymouth, was, Sam? Hoffentlich behältst du recht.“
Natürlich hatte er da seine Bedenken, schließlich war er nach wie vor der vorsichtige, besonnene Ben Brighton, der jede Gefahr und alle üblen Überraschungen in seine Planungen einzubeziehen versuchte, aber er ließ jetzt keine weiteren Äußerungen fallen, weil er die Begeisterung seiner Männer nicht dämpfen wollte.
Immerhin, dies war der erste Lichtblick, seit sie ihre „Isabella VIII.“ im Kanal der Pharaonen, der zu einem Kanal des Todes geworden war, hatten zurücklassen müssen. Auch drei Viertel ihrer in Ägypten erbeuteten Schätze hatten sie in den gesprengten Bergkavernen liegenlassen müssen, und so war die ganze Expedition den Nil hinauf und wieder hinunter gescheitert – wegen Ali Abdel Rasul, dem Verräter, dem Schnapphahn, Galgenstrick und Verkleidungskünstler, der sie auf hinterhältigste Weise hereingelegt hatte.
Philip Hasard Killigrew hatte einen Seeweg durch das Rote Meer nach Indien entdecken und erforschen wollen, nur deshalb hatte er sich auf dieses Abenteuer eingelassen. Doch am Ende war alles schiefgegangen. Die „Isabella“ war stekkengeblieben und vom Sand der Wüste zugeweht worden. Nur noch die Beiboote hatten der Seewolf und seine Männer retten können, und Will Thorne hatte schleunigst das Geld und die Perlen, die sie noch mitnehmen konnten, in die Ledergürtel eingenäht, die sie jetzt um die Hüften trugen.
Hasard hatte seine Crew in Damiette in drei Gruppen aufgeteilt, nur so konnte eine Heimreise nach England gelingen. Ferris Tucker, Carberry, Stenmark, der Kutscher, Blacky, Jeff Bowie, Bill und Luke Morgan befanden sich inzwischen an Bord der „Mercure“, einer französischen Handelsgaleone, die nach Brest unterwegs war. Hasard und Ben waren mit ihren Gruppen nach Alexandria weitergesegelt, hatten dort die Jollen aufgegeben und zwei kleine Schiffe erstanden, eine Feluke und eine Sambuke.
An Bord der Feluke, die nun den Seeweg nach Westen fuhr, befanden sich Hasard mit seinen Söhnen, Dan O’Flynn, Big Old Shane, Gary Andrews, Batuti und Matt Davies. Ben indes hatte mit seiner Sambuke den Kurs entlang der nordafrikanischen Küste vorgezogen. Vorsichtig wie immer, hielt er diese Route für die bessere, doch es sollte sich erst in der Zukunft herausstellen, wer nun den richtigen Weg gewählt hatte, Hasard oder er.
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