„Ho, laßt die verlausten Rübenschweine nur näher heran“, sagte Old O’Flynn. Über seinem verwitterten Gesicht lagen steile Falten. „Sie kriegen, wenn sie Dummheiten versuchen, genauso die Hucke voll, wie die Wüstenflöhe am Strand.“
Von den Kameltreibern jedoch war nicht mehr viel zu sehen. Offenbar kümmerten sich die Überlebenden zunächst um ihren verletzten Anführer. Außerdem war die Sambuke längst aus jeder Reichweite für sie. Sie konnten höchstens noch von Land aus mitverfolgen, was sich da draußen vor der Bucht von Kanais anbahnte.
Die Küstensegler waren inzwischen nahe genug heran, und ihre Absichten waren mittlerweile ganz offenbar.
Urplötzlich begann ein wildes Geheul, und hinter den Verschanzungen tauchten, wie aus dem Boden gezaubert, wilde Kerle auf, die Messer und Krummsäbel schwangen.
Irgendein hagerer, geiergesichtiger Mann, der einen weißen Kaftan trug, brüllte unverständliche Befehle, und diese schienen auch dem zweiten Segler zu gelten. Er deutete mit wilden Gesten zu der Sambuke hinüber.
Da griffen die Strandpiraten unvermittelt an.
Die Seewölfe, die das Krachen und Bersten von Musketen oder Pistolen erwartet hatten, sahen sich plötzlich zwei Horden von Angreifern gegenüber, die mit Pfeil und Bogen sowie mit Armbrüsten schossen.
Die Seewölfe mußten zunächst hinter dem Schanzkleid der Steuerbord- und Backbordseite in Deckung gehen, um nicht einem heransirrenden Pfeil als Auffang zu dienen. Der Angriff erfolgte von beiden Seiten gleichzeitig.
„Du lieber Himmel“, sagte Al Conroy erschüttert, „die Kerle schießen ja noch mit Armbrüsten! Das scheinen noch Überbleibsel von den Kreuzzügen zu sein.“
„Die müssen verrückt sein“, sagte Ben Brighton. „Sie scheinen den Seekrieg noch wie vor hundert Jahren zu führen. Na, uns soll es recht sein, wenn sie keine Schußwaffen haben.“
Gleich darauf gab der ruhige, besonnene Mann den ersten Feuerbefehl. Musketenschüsse krachten auf beiden Seiten der Sambuke. Auf den Piratenseglern warfen die ersten der zerlumpten Gestalten die Arme hoch und stürzten wie gefällte Bäume auf die Decksplanken.
Das Geschrei und Geheule wurde noch lauter, und erneut wurde ein Pfeilhagel auf die Reise geschickt. Einige davon blieben in den Lateinersegeln der Sambuke hängen, andere bohrten sich in das Holz des Schanzkleides oder landeten jenseits des Schiffes im Wasser.
Lediglich Bob Grey hätte beinahe nähere Bekanntschaft mit den gefährlichen Geschossen geschlossen. Ein Pfeil, der offenbar von einem Armbrustschützen abgeschossen worden war, riß ihm an der rechten Schulter das Hemd in Fetzen.
„Verdammte Schnapphähne!“ fluchte er wütend und gleich darauf leckte eine Feuerzunge aus dem Lauf seiner Pistole.
Einem der brüllenden Kerle da drüben fiel die Armbrust aus der Hand und klatschte ins Wasser. Er selber blieb regungslos über dem Schanzkleid hängen.
Auch die übrigen Seewölfe ließen wieder die Musketen und Tromblons krachen, während Pete Ballie an der Ruderpinne krampfhaft versuchte, die Sambuke aus der Zange, die die beiden Küstensegler gebildet hatten, zu lösen. Auf jeden Fall aber kriegten die Piraten kräftig Zunder, denn den Seewölfen war natürlich längst klargeworden, daß der Angriff von See und von Land aus eine abgekartete Sache war. Die Kamelreiter jedoch hatten ihre Rechnung ohne den Wirt gemacht, und den Schnapphähnen auf den beiden Seglern sollte es nicht anders ergehen. Jedenfalls hatten sich das die Seewölfe fest vorgenommen.
Die Kerle gaben jedoch trotz ihrer bisherigen Verluste nicht auf. Und als ihnen langsam die Pfeile auszugehen schienen, ließen sie wutentbrannt ihre Krummsäbel und Dolche durch die Luft blitzen. Es gab keinen Zweifel daran – sie wollten die Sambuke von beiden Seiten entern. Enige hielten schon die Enterhaken in der Hand.
Doch darauf wollten sich die Seewölfe nicht einlassen, denn die Schnapphähne waren immer noch doppelt so viele wie sie.
„Sie sind nahe genug heran, um für unsere Flaschenpost empfänglich zu sein“, sagte Ben Brighton mit grimmiger Miene. „Los, Al, zünd ihnen mal etwas Feuer unter ihre karierten Affenärsche an!“
Die Männer grinsten, denn es passierte nur selten, daß der ruhige, besonnene Ben Brighton die Lieblingssprüche Edwin Carberrys zitierte.
„Aye, aye, Sir!“ rief Al Conroy und setzte die Lunte einer Flaschenbombe in Brand. „Bis jetzt haben wir nur mit diesen Kakerlaken gespielt, von jetzt an wird’s ernst!“ Gleichzeitig fügte er seiner Feststellung ein lautes „Ar-wenack!“ hinzu. Der Kampfruf der Seewölfe fand sein Echo aus sieben weiteren Männerkehlen.
Für einen Moment verstummte das Geschrei der Angreifer, setzte dann aber mit doppelter Lautstärke wieder ein.
In diesem Augenblick zischte die von Al Conroy geschleuderte Flaschenbombe durch die Luft und landete mit einer bewundernswerten Treffsicherheit hinter der Verschanzung jenes Küstenseglers, der die Sambuke auf der Backbordseite begleitete.
Ein lauter Knall dröhnte durch die Luft, Feuer schien in alle Richtungen auseinanderzusprühen. Dann fand das Detonationsgeräusch seine Fortsetzung im Krachen und Bersten von Holz, und im Geschrei der Verwundeten.
Auf jeden Fall mußte die Flaschenbombe mit ihrem gehackten Eisen und Blei, mit ihren Nägeln und Glassplittern, eine verheerende Wirkung gehabt haben. Der Mast mit dem zerfetzten Segel war weggerissen worden, und Teile des Schanzkleides waren verschwunden. Rund um den Segler klatschten Planken und Holztrümmer, die hochgewirbelt worden waren, ins Wasser. Auf der Steuerbordseite des Bugs klaffte ein riesiges Leck, in das Wasser einströmte. Einige Männer mußten getötet oder aber verletzt worden sein. Der Küstensegler war auf jeden Fall verloren, von ihm drohte keine Gefahr mehr. Es war nur eine Frage der Zeit, wann er sinken würde.
Doch wenn die Seewölfe gehofft hatten, daß die verheerende Wirkung der Flaschenbombe den Eifer und Fanatismus der Schnapphähne im zweiten Segler, der sich ihnen auf der Steuerbordseite näherte, etwas gedämpft hätte, dann waren sie auf dem Holzweg.
Nachdem die Kerle beobachtet hatten, was ihrem Begleitschiff zugestoßen war, steigerten sie sich erst recht in einen schier grenzenlosen Haß gegen die ungläubigen Hunde hinein. Der geiergesichtige Mann im weißen Kaftan, der wohl das Sagen hatte, brüllte weiter mit einer sich überschlagenden Stimme seine Befehle. Er schien, koste es was es wolle, die Sambuke entern zu wollen. Auch die erneuten Musketen- und Tromblonschüsse der Seewölfe konnten ihn nicht von seinem Vorhaben abbringen. Offenbar baute er noch immer auf die Überzahl seiner Besatzung.
„Die Halsabschneider scheinen nichts zu kapieren“, schimpfte Old Donegal Daniel O’Flynn. „Sie geben nicht eher Ruhe, bis sie auch ihre Flasche gekriegt haben. Zum Donnerwetter, was sind das doch für Neidhammel!“
Ben Brighton zuckte mit den Schultern.
„Sie sollen haben, was sie wollen!“ bestimmte er. „Al, schik ihnen einen Flaschengruß hinüber.“
Wenig später flog die zweite Flaschenbombe durch die Luft.
Die Landung wurde auf dem Küstensegler mit einem lauten Brüllen quittiert, dann flogen auch schon die Fetzen. Der Trümmerregen ergoß sich zum Teil noch auf das Deck der Sambuke, so daß die Seewölfe rasch die Köpfe einziehen mußten. Bei Sam Roskill erfolgte die Reaktion um eine Sekunde zu spät. Ein kleines Holzstück prallte an seinen Hinterkopf, und zunächst saß er einmal mit verdrehten Augen auf dem Achtersteven. Dazu mußte er sich noch vom alten O’Flynn sagen lassen, daß er auch schon intelligenter aus dem Hemd geschaut hätte.
Auch der zweite Küstensegler war schwer angeschlagen, er würde kaum noch die Küste erreichen. Einige der Piraten, darunter der geiergesichtige Kerl, waren in ihrer Panik über Bord gesprungen und versuchten, mit weitausholenden Schwimmbewegungen Kurs auf die Küste zu nehmen.
Читать дальше