„Sie können sich auf mich verlassen.“
„Ich brauche Sie also nicht zu fesseln?“
„Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich nichts gegen Sie unternehme. Hätte ich fliehen wollen, dann hätte ich es bereits getan“, entgegnete Stenmark.
„Gut. Hören Sie zu. Ich könnte Sie für eine Nacht einsperren, aber ich halte es für besser, sofort nach Göteborg aufzubrechen.“
„Ich verstehe. Olaf und seine Kumpane könnten rabiat werden, meinen Sie?“
„Ich könnte es mir jedenfalls vorstellen. Direkt habe ich noch nie mit Ihrem Vetter zu tun gehabt, aber ich vermute, daß er einiges auf dem Kerbholz hat. Nur kann ich ihm nichts nachweisen.“ Björnson warf Stenmark einen nachdenklichen Blick zu. „Hölle, haben Sie sich auch wirklich richtig überlegt, was Sie tun?“
„Ich habe viele Jahre Zeit dazu gehabt, aber erst jetzt hat mich der Weg zurück in die Heimat geführt. Ich weiß, was ich riskiere, Hauptmann, aber Sie brauchen sich um mich nicht zu sorgen.“
Björnson schüttelte den Kopf. „Das tue ich auch nicht. Ich will Sie nur noch das eine fragen: Haben Sie Kerstin Nilsson damals getötet oder nicht?“
„Ich war es nicht. Ich wäre bereit, jeden Eid darauf abzulegen.“
„Wer war der Mörder?“
„Mein Vetter Olaf Sundbärg.“
„Warum haben Sie nicht versucht, das Gericht zu überzeugen? Warum sind Sie geflohen?“ fragte der Hauptmann.
„Ich wußte nicht mehr, was ich tat“, erwiderte Stenmark. „Ich hatte Angst vor dem Tod. Ich war kopflos und dachte nur noch an Flucht. Können Sie das nicht verstehen?“
„Ich versuche, es zu begreifen“, sagte Björnson. „Kommen Sie, lassen Sie uns jetzt rüsten. Haben Sie ein Pferd?“
„Ja. Ich habe es auf einem Hof zurückgelassen.“ Stenmark griff hastig nach Björnsons Arm. „Hauptmann, ich habe noch eine Bitte. Vielleicht kehre ich nie mehr nach Kungelf zurück, vielleicht wird das Urteil doch an mir vollstreckt. Dann aber kümmern Sie sich bitte um Aina, die Magd der Magnussons. Ich habe sie kennengelernt, aber ich sehe sie wohl nicht wieder. Sie hat mir erzählt, daß Olaf sie zu vergewaltigen versuchte. Sie müssen sie vor ihm schützen.“
„Das werde ich tun“, sagte Björnson grimmig. „Ich habe selbst eine Tochter, sie ist siebzehn Jahre alt. Verstehen Sie? Viele Dinge, die in und um Kungelf geschehen, sind mir nicht geheuer, aber noch bin ich machtlos.“
„Es wird sich bald alles aufklären“, sagte Stenmark – und dann dachte er an den Seewolf und die Kameraden von der „Isabella IX.“, die im Hafen von Göteborg auf die neue Ruderkette warteten und von dem, was sich hier in Kungelf ereignet hatte, überhaupt nichts wußten.
Kurze Zeit später hatte Hauptmann Stig Björnson sein Pferd, einen hochbeinigen Falben, gesattelt und aufgezäumt, und die beiden Männer setzten sich in Bewegung. Sie vermieden es, den Marktplatz zu überqueren. Auf einem kleinen Umweg gelangten sie zu dem quadratischen Hof, auf dem Stenmark den Schimmel zurückgelassen hatte. Stenmark überzeugte sich davon, daß mit dem Tier alles seine Ordnung hatte, dann saßen sie beide auf und verließen den Ort.
Björnson vergewisserte sich immer wieder durch Blicke nach allen Seiten, daß sie nicht verfolgt wurden. In Kungelf schien alles ruhig zu bleiben. Vielleicht hatten die Männer um Olaf Sundbärg und Hamren inzwischen beratschlagt und befunden, daß es keinen Zweck hatte, sich mit dem Landeshauptmann anzulegen.
So dachte jedenfalls Stenmark, doch es sollte sich herausstellen, daß er sich diesmal getäuscht hatte.
Sie ritten durch Fichten-, Kiefern- und Mischwald, sahen einmal, als der dunkle Vorhang des Waldes sich vor ihnen öffnete, auch das Wasser des Göta-Flusses im Mondlicht glitzern, gerieten in hügeliges Gelände und schickten sich bald darauf an, einen Hohlweg zu durchqueren. Etwa drei bis vier Meilen mochten sie jetzt von Kungelf entfernt sein, doch es lagen noch mindestens zehn, zwölf Meilen bis nach Göteborg vor ihnen.
Björnson hob plötzlich den Kopf, doch es war bereits zu spät, um etwas zu unternehmen: Von den Wänden des Hohlweges stürzten sich vier vermummte Gestalten auf sie hinunter. Ihr Erscheinen glich einem Spuk, doch die Art, wie sie sich auf die Reiter warfen, hatte nichts Gespenstisches an sich, sie war ausgesprochen real.
Einer der Maskierten saß unversehens hinter Hauptmann Björnson im Sattel des Falben. Björnson wandte sich um und rammte dem Kerl den Ellenbogen in die Magengrube, doch der klammerte sich an ihm fest, so daß sie beide zu Boden fielen.
Stenmark wurde gleich von zwei Kerlen aus dem Sattel geholt, doch dem einen verpaßte er einen Tritt gegen das Bein, so daß zumindest dieser für eine Weile außer Gefecht gesetzt war.
Der vierte Mann hatte plötzlich eine Steinschloßpistole in der Hand, deren Hahn er mit dem Daumen spannte. Stenmark vernahm deutlich das metallische Knacken, er fuhr herum und beobachtete trotz der Dunkelheit, wie der Kerl auf den Landeshauptmann anlegte.
Die Pferde waren ein Stück weitergelaufen und schnaubten ängstlich, der Schimmel stieg mit den Vorderläufen auf und wieherte.
Björnson kämpfte immer noch mit dem Kerl, der ihn aus dem Sattel gerissen hatte. Er brachte ihm mehrere schwere Schläge bei und versuchte, ihn von sich wegzurollen, um aufspringen und es auch mit den anderen Angreifern aufnehmen zu können.
Stenmark entsann sich in diesem Moment sämtlicher Tricks, die er seinerzeit mit der Crew der „Isabella“ zusammen auf Formosa erlernt hatte. Immer wieder hatte Hasard ihm und den anderen eingeschärft, sie sollten diese Kampfmethoden nur anwenden, wenn sich ihr Leben in äußerster Gefahr befände.
Das war jetzt der Fall, und Stenmark zögerte nicht, Tritte und Handkantenschläge auszuteilen. Sein erster Gegner, der gerade versuchte, seine Kehle zu packen und sie zusammenzudrücken, flog plötzlich zurück und prallte mit dem Rücken gegen die Felswand. Der zweite – jener, der schon den Tritt gegen das Bein empfangen hatte – brach unter einem wuchtigen Hieb zusammen, den Stenmark auf seinen Nacken niedersausen ließ.
Stenmark entdeckte einen dicken Ast, der auf dem Boden des Hohlweges lag. Er mußte von einem der Bäume, die über den Wänden der Felsengasse aufragten, bei einem der Winterstürme abgebrochen sein.
Diesen Ast hob Stenmark auf. Sofort hatte er den Eindruck, daß es sich um frisches Holz handelte, daß es also nicht morsch sein konnte. Er wollte mit dieser primitiven Waffe auf den Mann mit der Pistole losgehen, doch der traf bereits Anstalten, auf den Landeshauptmann abzudrücken.
Stenmark schleuderte den Ast und traf den Kerl an der Schulter. Dennoch ging der Schuß los. Sein Krachen dröhnte ohrenbetäubend von den Wänden des Hohlweges zurück. Björnson bäumte sich auf, sein Wehlaut jagte Stenmark einen eiskalten Schauer über den Rücken.
Mit einem Satz war Stenmark bei dem Kerl mit der Pistole und schlug ihn nieder, dann hob er den Ast wieder auf und fuhr zu den anderen herum.
Der eine – er war der Mann, der eben gerade vom Hauptmann abgelassen hatte, bevor der Schuß gefallen war – sprang sofort auf Stenmark zu, doch Stenmark ließ den Ast wild durch die Luft schwingen und fällte ihn mit einem Hieb gegen die Schulter.
Der nächste Kerl empfing den Ast mit so großer Wucht gegen die Beine, daß er sofort umkippte. Der vierte war eben wieder zu sich gekommen und rappelte sich auf, doch als er Stenmark mit wutverzerrter Miene auf sich zu rücken sah, gab er den Kampf auf und ergriff die Flucht.
Auch seine beiden Kumpane verzichteten darauf, ihre Pistolen oder Messer zu zücken und damit auf Stenmark loszugehen. Er war derart in Zorn geraten, daß er es ohne weiteres mit zwei, drei Gegnern gleichzeitig aufnehmen konnte, und der Ast wurde in seinen Fäusten zu einer furchtbaren Waffe.
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