Sie war ein sehr solides Schiff, diese „Santa Barbara“. In manchem ähnelte sie sogar der „Isabella IX.“, der Galeone der Seewölfe. Doch es war klar, daß sie mit der „Isa“ nicht mithalten konnte.
Hasard war dies von Anfang an bewußt gewesen. Er durfte das Schiff nicht überschätzen und überfordern.
Darum entschied er sich, doch die Küste anzulaufen. Der Sturmwind drückte die „Santa Barbara“ ohnehin nach Legerwall – also nach Nordwesten zum Festland. Es war undenkbar, jetzt noch die Küste von Formosa anzusteuern.
„Wir gehen unter Land und suchen eine Bucht!“ schrie der Seewolf seinen Männern zu.
„Aye, Sir!“ brüllte Pete Ballie.
„Verstanden!“ schrie der Profos. „Bucht anlaufen!“
Ein Blitz zerriß die Dunkelheit, die sich über die See gesenkt hatte. Gleich darauf rollte tiefer Donner heran. Dan O’Flynn, der sich neben Hasard an der Querbalustrade des Achterdecks festklammerte, wandte den Kopf.
„Gleich kommt das Wasser auch von oben!“ rief er.
Nur kurze Zeit darauf öffnete der Himmel seine Schleusen. Sturzbäche klatschten auf die Decks der Galeone. Die Männer setzten sich Hüte und Mützen auf, um wenigstens ihre Köpfe ein wenig gegen den Guß zu schützen.
Und wieder hämmerten die Brecher gegen die Bordwände. Die Männer fluchten und klammerten sich an den Tauen fest, damit sie nicht außenbords gerissen wurden.
Kurs auf die Küste von China lag nun an. Die „Santa Barbara“ segelte vor dem Wind – wenn von Segeln überhaupt noch die Rede sein konnte. Der Sturm schob sie wie einen Klotz vor sich her. Das Gewitter entlud sich mit seiner ganzen Macht. Im Stakkato zuckten die Blitze, das Donnerkrachen dröhnte in den Ohren der Männer. Sie waren bis auf die Knochen durchnäßt, aber sie hielten mit zusammengebissenen Zähnen auf ihren Posten durch.
„Hast du eine Ahnung, wo wir sind?“ schrie Dan seinem Kapitän zu.
„Wir haben die Pescadores-Inseln achteraus gelassen!“ schrie Hasard.
„Um so besser, dann können wir dort nicht mehr aufbrummen!“ brüllte Ben Brighton, der ihre Worte verstanden hatte.
Die Pescadores – was auf Englisch soviel wie Fischer-Inseln bedeutete – waren der Westküste von Formosa vorgelagert und konnten im Sturm leicht zur Schiffsfalle werden.
Die „Santa Barbara“ wäre nicht die erste Galeone gewesen, die dort auflief und anschließend von Küstenhaien und Strandräubern ausgeplündert wurde. Doch vor diesem Schicksal blieben die Arwenacks bewahrt.
Sie rasten nun zum Festland hinüber. Hasard vermochte die genaue Position nur zu erraten, und er konnte auch nur überschlagmäßig berechnen, wann sie die Küste erreichen würden. Doch er verließ sich wieder einmal auf Dans scharfe Augen.
In der Tat war es Dan O’Flynn, der nach etwa einer Stunde Orkanwind, Regen, Donner, Blitzschlag und Hagel voraus ganz schwach die Küste erspähte. Sofort schlug er Alarm – und Hasard ließ auf Nordkurs anluven.
Die Gefahr, auf Legerwall geworfen zu werden, schwebte jetzt wie ein drohendes Gespenst über dem Schiff. Doch die Männer schafften es – sie hielten den „Elendskahn“, wie Carberry ihn nannte, auf Kurs.
Kaum merklich hatte der Sturm nachgelassen, und auch der Kernpunkt des Gewitters schien sich allmählich zum Landesinneren zu verlagern.
Dan hielt aufmerksam den Blick voraus gerichtet. Es war kaum möglich, in der Finsternis und im Regen etwas zu erkennen – und doch sichtete er etwas später eine kleine Insel, die etwa zwei Meilen vor dem Festland aufragte. Und die Insel hatte eine Bucht – aus zusammengekniffenen Augen entdeckte Dan ihre Einfahrt.
Hasard ließ Kurs auf die Bucht nehmen. Er setzte jetzt alles auf eine Karte. Die Wassertiefe konnte nicht ausgelotet werden. Keiner von ihnen wußte, ob es gefährliche Unterwasserbarrieren gab.
Eine weitere Frage war, ob die Bucht groß und tief genug war, um der „Santa Barbara“ als Ankerplatz zu dienen. Wenn das Unglück es wollte, brummte die Galeone irgendwo auf – oder sie zerschellte, und sie landeten allesamt im Wasser.
Die Einfahrt näherte sich rasch. Hasard ließ die Sturmsegel ins Gei hängen. Auch das ging nur mit viel Fluchen vonstatten. Die Landzungen der Passage huschten an der „Santa Barbara“ vorbei. Higgy und ein paar andere bekreuzigten sich unwillkürlich.
„Wird schon schiefgehen!“ rief Smoky.
Dann aber drehte die Galeone in der Bucht bei, und der Seewolf ließ den Anker werfen. Das Wasser war kabbelig, aber nicht mehr so aufgerührt wie auf offener See. Der Sturm tobte an der Bucht vorbei. Hasard und seine Mannen hatten wieder einmal mächtiges Glück gehabt.
Ferris Tucker inspizierte sofort das ganze Schiff. Er kehrte zum Achterdeck zurück und meldete: „Wir haben zwei Lecks, und der Bugspriet ist leicht angeknackt!“
„Damit ist der Fall noch leidlich gut für uns ausgegangen“, sagte Hasard. „Aber sehr lange hatten wir nicht mehr bestehen können. Dichte die Lecks ab, Ferris, und repariere den Bugspriet.“
Der Sturm war noch nicht vorbei. Noch einmal entwickelte er seine volle Kraft und Mut. Die Arwenacks waren heilfroh, in der Bucht gelandet zu sein, die sich an der westlichen Seite der Insel, also an Leeseite befand.
„So, Freunde“, sagte Hasard aufatmend. „Hier sind wir sicher.“
So ganz traf das jedoch nicht zu. Aber das konnte nicht einmal Old Donegal Daniel O’Flynn ahnen, der sonst immer in die Zukunft blickte und auf Teufel komm raus seine haarsträubenden Orakel verkündete.
Die Dschunke des Fong Chen Huan war dem Sturm ausgeliefert. Ein Mattensegel hatte es glatt weggefetzt, ein anderes war in der Mitte durchgerissen. Das dritte hatten die Chinesen gerade noch bergen können, ehe das Wetter richtig lostobte.
Natürlich hatten sie Ersatzsegel, aber die würde Fong wohlweislich erst dann setzen lassen, wenn sich der Sturm wieder beruhigt hatte. Fong ließ die Dschunke in der See treiben und bediente lediglich die Ruderpinne. So steuerte er auf gleichsam halsbrecherische Weise die Küste an. Er kannte sämtliche Buchten und Flußmündungen, Inseln und Landzungen. Wo er sich vor dem Sturm verstecken und schützen konnte, wußte kaum jemand besser als Fong.
Dann aber glaubte Fong, seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Vor der Dschunke geisterte ein großes Schiff durch den Sturm – eine Galeone mit drei Masten! Nur wie ein Schemen war das Schiff zu erkennen. Doch das genügte Fong.
Fremde Teufel, dachte er, seid ihr denn überall, ihr Hunde?
Sofort beschloß er, die Fremden zu verfolgen. Er schrie seinen Kerlen Befehle zu. Die Dschunke fiel wieder etwas zurück. Die Galeone verschwand in einer Wolke von Regen und Gischt und tauchte nur hin und wieder erneut auf.
Fong war ziemlich sicher, daß ihn die „weißen Teufel“ noch nicht gesichtet hätten. Ihr Augenmerk war, wie es die Situation erforderte, ausschließlich nach voraus gerichtet. Sicherlich suchten auch sie einen Schlupfwinkel, um dem Sturm zu entgehen. Mühelos konnte er sie verfolgen und stellen.
Ein glatzköpfiger Chinese enterte zu Fong auf. Es war Pol Pot, Fongs rechte Hand an Bord der Dschunke. Pol Pot war fett und bärenstark. Er pflegte seinen nackten Oberkörper mit Tran einzureiben. Sein Leib glänzte, das Wasser perlte von ihm ab.
„Was hast du vor, großer Fong?“ rief Pol Pot seinem Herrn zu.
„Ich will die fremden Teufel stellen.“
„Willst du sie auch an Bord holen?“
„Das wären zu viele Gefangene“, erwiderte Fong. „Nein, wir schneiden ihnen die Hälse durch und werfen sie den Haien zum Fraß vor.“
„Warum töten wir nicht auch die anderen?“ fragte Pol Pot.
„Ich will, daß sie noch am Leben bleiben!“ brüllte Fong. „Du weißt, was ich mit ihnen vorhabe!“
„Würden nicht zwei oder drei genügen?“
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