Hasard rollte die Karte zusammen, mit der er sich befaßt hatte.
„Ich bin froh, daß du die Lage nicht so schwarz wie üblich siehst, Donegal“, sagte er ironisch. „Auf jeden Fall empfiehlt es sich, vorsichtig zu sein. Das Wetter kann hier praktisch von einem Moment auf den anderen umschlagen. Wir segeln also durch die Formosa-Straße.“
„Der Wind aus Südosten treibt uns die Wolken in den Nacken“, sagte Ferris Tucker. „In spätestens zwei, drei Stunden wird es mulmig.“
„Wenn es gefährlich für uns wird, ankern wir in einer Bucht“, sagte der Seewolf. „Entweder auf Formosa oder am chinesischen Festland. Solange der Sturm aber nicht richtig losbricht, segeln wir unseren Kurs weiter.“
Er hatte kaum ausgesprochen, da war ein donnernder Laut aus dem Inneren der Galeone zu vernehmen. Old O’Flynn, Shane und Ferris Tucker fluchten. Hasard mußte unwillkürlich grinsen. Nicht anders erging es seinen Söhnen, dem Kutscher, Blacky und ein paar anderen, während die übrigen Arwenacks sich untereinander verblüfft und fragend ansahen.
„Heda“, sagte Higgy. „Was ist denn das? Geht’s schon los?“
„Was soll denn losgehen?“ fragte Paddy Rogers, der ja ein bißchen schwer von Begriff war.
„Na, der Sturm natürlich.“
„Quatsch“, sagte Paddy. „Das dauert noch ’ne Weile.“
„Und was hat es mit dem Donnern auf sich?“ fragte Higgy.
Roger Brighton legte ihm die Hand auf die Schulter. „Denk doch mal nach, Higgy. Wenn das Donnern aus dem Schiff kommt, kann es kein Gewitterdonnern sein.“
„Pulverdonner“, sagte Higgy. „O Schreck, laß nach! Was ist da in die Luft geflogen?“
Wieder ertönte das Grollen – genau unter ihren Füßen.
Mac Pellew stieß ein meckerndes Gelächter aus.
„Das sieht ihm mal wieder ähnlich“, sagte er. „Er ist eben doch der größte Krachmacher an Bord.“
Higgy schaute sich um. Wer fehlte? Carberry!
„Der Profos“, sagte er. „Was, zur Hölle, ist denn in den gefahren?“
„Ich glaube, ich weiß es“, sagte der Kutscher mit gespieltem Ernst. „Ed hat mal kräftig geniest. Das ist alles.“
„Klingt wie Kanonenböller“, sagte Higgy. „Da laust mich doch der Affe.“
„In Ordnung“, sagte Philip junior japsend. Er konnte sich das Lachen kaum noch verkneifen. „Ich hole Arwenack.“
„Nicht doch“, sagte Higgy. „Seid doch mal vernünftig. Wenn der Profos niest, dann hat das auch seinen Grund.“ Er fuhr sich grüblerisch mit der Hand übers Kinn. „Kalt ist es nicht, also kann’s kein Schnupfen sein. Was dann? Etwa eine von diesen tropischen Krankheiten, gegen die es keine Mittel gibt?“
„Du kommst nicht auf das Nächstliegende“, erwiderte Blacky. „Hast du vergessen, daß wir Pfeffer geladen haben?“
„Er wird doch nicht so verrückt sein, seine Nase in einen Pfeffersack zu halten?“ fragte Higgy.
„Zuzutrauen wäre es ihm“, erklärte Smoky. „Aber ich schlage euch was vor, Freunde. Warum seht ihr nicht einfach nach, was mit Ed los ist?“
Gesagt, getan: eine „Delegation“ von vier Mann, bestehend aus Mac Pellew, Matt Davies, Higgy und Batuti, stieg in die Laderäume hinunter, um nach dem Rechten zu sehen. Sie befanden sich bereits ziemlich tief unten, da ertönte das donnernde Niesen von neuem.
Die „Santa Barbara“ erzitterte bis in ihre tiefsten Verbände. Die Balken stöhnten, und die Planken bogen sich. Das Echo des Grollens rollte tief und unheimlich durch das Schiff.
„Wenn das so weitergeht, putzt er sich mit dem Großsegel die Nase“, sagte Matt.
Die anderen lachten.
Sie lachten immer noch, als sie den Frachtraum betraten und ihren Profos im Halbdunkel in seltsam gebeugter, starrer Haltung dastehen sahen. Carberry gab einen dumpfen Laut des Unwillens von sich, als er sie erblickte.
„Was habt ihr denn hier verloren, ihr Armleuchter?“ fragte er ärgerlich.
„Wir dachten, du hättest Schwierigkeiten“, sagte Batuti. „Wir haben so merkwürdige Laute gehört.“
„Das Denken müßt ihr den Walen überlassen“, sagte der Profos. „Die haben mehr Tran im Kopf als ihr.“
Mac, Matt, Higgy und der Gambia-Mann waren nicht zu beirren. Mutig steuerten sie auf Carberry zu. Als sie ganz dicht bei ihm waren, sahen sie, daß er vor einem Faß stand und dessen Deckel in der Hand hielt. Das Verwunderliche an der Sache war – Carberrys Zustand.
„Hol’s der Henker“, sagte Mac. „Wie siehst du denn aus, Ed?“
„Wie, zum Teufel, soll ich aussehen, du quergestreifte Kanalratte?“
„Äh – ziemlich gelb“, erwiderte Mac.
„Rötlichgelb, finde ich“, sagte Higgy.
„Braungelb“, meinte Batuti.
„Hört mal zu, ihr triefäugigen Prielwürmer“, sagte Carberry nur mühsam beherrscht. „Was haltet ihr davon, wenn ihr jetzt wieder abhaut?“
„Geht nicht, wir haben einen Befehl vom Kapitän“, schwindelte Matt. „Wir müssen uns erkundigen, was los ist. Also: warum hast du so fürchterlich geniest, und warum bist du gelb, Ed?“
„Du kannst mich kreuzweise“, erwiderte der Profos so barsch, wie es sich für einen Profos gehörte.
„Ich hab’s“, sagte Matt. „Das ist Tarnung. Wir segeln ja jetzt ins Land der gelben Zopfmänner. Ed hat sich als Zopfmann verkleidet. Kein schlechter Gedanke. Wenn die Chinesen uns irgendwo stoppen, tut er so, als sei er einer von ihnen. Bloß mit der Sprache wird es nicht so recht klappen.“
Bevor sich Matt zurückziehen konnte, hatte der Profos ihn gepackt. Carberry zerrte ihn ans Faß, drückte ihm die andere Hand in den Nacken und zwang Matt auf diese Weise, sich tief über die Öffnung zu beugen.
„Haa-tschi!“ nieste Matt. Gelber Staub wirbelte hoch und verfärbte sein Gesicht.
„So“, sagte Carberry grimmig. „Jetzt sind wir schon zwei Chinesen.“ Angriffslustig sah er die drei anderen Mitglieder der „Delegation“ an. „Wer möchte als nächster schnuppern? Batuti? Komm her, mein Junge. Du kannst es ja sowieso nicht leiden, wenn dich die Zopfmänner schwarzes Gesicht nennen.“
„Pfeffer“, keuchte Matt. „Gelber Pfeffer.“
„Nein“, widersprach Mac Pellew. „Das ist Curry.“
„Was für’n Zeug?“ fragte der Profos.
„Ein sehr aromatisches Gewürzpulver“, erklärte Mac. „Es schmeckt sehr gut zu manchen Gerichten, aber man sollte seine Nase nie zu dicht darüberhalten.“
„Danke für die Belehrung“, sagte Carberry. „Aber ich habe es nun mal für richtig gehalten, die Ladung genau zu inspizieren. Ich bin nämlich von Natur aus mißtrauisch, besonders, wenn es um Fracht geht, die wir von den Dons übernommen haben. Klar?“
„Klar, Ed“, brummten die anderen.
„Das mit dem Curry hättest du mir auch eher mitteilen können“, sagte der Profos vorwurfsvoll zu Mac.
„Du hast mich ja nicht danach gefragt“, sagte Mac gallig. „Außerdem hatte ich keine Ahnung, daß wir auch Curry an Bord haben.“
„Siehst du.“ Carberry grinste, ließ Matt los und klopfte sich den Curry-Staub von der Kleidung. „Da hast du’s. Wir stellen jetzt eine komplette Bestandsaufnahme zusammen und übergeben die Liste Hasard. Mac, hol was zu schreiben. Matt, schau mich nicht so blöd an. Batuti, du Stint, öffne mal die Kiste da drüben. Vielleicht sind keine Gewürze sondern giftige Schlangen drin. Man kann das nie wissen. Higgy, kannst du zählen?“
„Aye, Sir.“
„Dann zähl mal, wie viele Fässer, Kisten, Säcke und Ballen wir an Bord haben“, sagte der Profos.
Die Männer gingen an die Arbeit. Eine Stunde später kehrten sie an Oberdeck zurück. Carberry und Matt hatten sich natürlich vollständig von dem Curry-Pulver gesäubert, damit die anderen nichts zu grinsen hatten.
Der Profos händigte seinem Kapitän die Warenliste aus und sagte: „Alles in Ordnung, Sir. Die Dons haben uns mit dem Zeug nicht beschissen.“
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