Ihre Breitseite, jetzt von Backbord, brüllte auf und hieb ihr Eisen in das Kastell. Palisaden flogen davon wie dünne Hölzchen, Mauerwerk barst, Schreie, Flüche, Kreischen.
Die Kerle auf der Fleute rannten davon. Ihr Schiff krängte fast bis zum Schanzkleid. Irgendwann würden die Leinen brechen oder die Poller aus den Verankerungen reißen. Und dann würde das Schiff an der Pier absaufen – eine Schmach für ein Schiff, denn Schiffe sterben auf See – im Kampf gegen die Elemente oder im Gefecht mit dem Gegner.
Der Kapitän blieb auf dem Achterdeck, wenigstens der. Und er schüttelte drohend die Faust zu dem fremden Schiff. Eine Musketenkugel riß ihn herum, er rutschte über das schräge Deck und kippte außenbords.
Die Pfeile der beiden tödlichen Schützen holten einen nach dem anderen ein. Und als sie sich in den toten Winkel verkrochen, fielen Flaschen in den Innenhof, die explodierten und ihre furchtbaren Ladungen verstreuten wie Blunderbusse mit Trichtermündungen.
Beim dritten Angriff flog das Tor auseinander, die ersten Palisaden begannen zu brennen. Das Kastell verwandelte sich in ein rauchendes Trümmerfeld. Und der fremde Gegner gab und gab nicht auf. Er war erbarmungslos und zerhämmerte das Kastell Stück um Stück.
Wer durch das Tor zu fliehen versuchte, der gelangte nicht weit – die Pfeile waren schneller …
Gegen vier Uhr morgens nahm die „Santa Barbara“ die beiden Schaluppen an der Bucht der Insel Sarangani auf. Zu diesem Zeitpunkt stand eine Flammensäule im Südwesten, und eine Detonation rollte über die See. Da war der Pulverturm des Kastells in die Luft geflogen.
Die drei Schiffe steuerten nordwärts.
Am Nachmittag brachte Don Juans Schaluppe die acht jungen Badjao-Frauen und die fünf anderen an Land, dort, wo Igna und seine Leute standen und winkten.
Dann setzten die drei Schiffe ihre Fahrt nach Davao fort. Don Alonso de Figuiera, der Kommandant des kleinen Stützpunktes, fiel Hasard buchstäblich um den Hals. Und am Abend wurde gefeiert. Auch die zwölf befreiten weißen Gefangenen waren dabei. Sie würden im Stützpunkt bleiben, um sich zu erholen. Und später würden sie die beiden Schaluppen bemannen, denn es waren Seeleute eines spanischen Handelsseglers, der von der Beeveren-Bande geentert, geplündert und versenkt worden war. Sie waren die einzigen Überlebenden.
Don Alonso bat Hasard, die Gewürze mitzunehmen, die sich in Davao stapelten, und nach Manila zu bringen, wo sie längst hätten sein sollen.
„Gern“, erwiderte Hasard höflich. „Es wird mir eine Ehre sein, Señor Capitán.“
Sie übernahmen die Gewürze und verließen am nächsten Tag den kleinen Hafen von Davao. Da stand die ganze „Einwohnerschaft“ an der Pier und schwenkte die Tücher. Und die Arwenacks winkten zurück.
Im Golf fragte Ben Brighton seinen Kapitän: „Willst du nach Manila segeln, um das Zeug abzugeben?“
„Ich? Bin ich verrückt?“
Ben verstand überhaupt nichts mehr. „Aber wieso …“
„Gar nichts ‚wieso‘, mein Guter. Die Gewürze empfinde ich als Belohnung für unsere guten Taten, und die Leute in Manila werden vergeblich auf die Gewürzladungen aus Davao warten. Denn wir segeln ja nach China, nicht? Und da können wir das Zeug vielleicht gegen schönes Feuerwerk eintauschen. Oder nicht?“
„Das ist Betrug!“
„So?“ sagte Hasard schnippisch, legte die Hände aufs Kreuz und marschierte zur Steuerbordseite …
ENDE
De Canares blickte im Dunkel des engen Schiffsraumes sein Gegenüber an, den jungen Joan Marinho. Marinho war erst sechzehn. Er litt am meisten unter den Grausamkeiten. Lange würde er nicht mehr durchhalten, das wußte de Canares. Aber wer von ihnen hatte noch die Energie, diesen Teufeln in Menschengestalt zu trotzen?
Lareto sprach kein Wort mehr. Er stierte nur vor sich hin. Toninho war in wenigen Tagen zu einem Wrack geworden. Nicht besser ging es Rodrigo und Costales. Und Barilla, dieser Riese von Kerl? Auch ihn hatten sie an Leib und Seele gebrochen. Zuerst hatte er Widerstand geleistet. Dafür hatten sie ihn grün und blau geprügelt. Jetzt wagte er nicht mehr, sich zur Wehr zu setzen.
„He“, sagte de Canares mit heiserer Stimme. „Von diesem Dreck hat uns keiner was erzählt, als wir auf dem Elendskahn angeheuert haben, was?“
„Hör auf“, erwiderte Joan Marinho. „Ich will von der ‚Sao Paolo‘ nichts mehr wissen.“
„Ja, halt’s Maul, Vinicio“, sagte nun auch Barilla.
„Ich will aber nicht schweigen“, sagte de Canares. „Und ich möchte, daß ihr euch immer wieder auf das eine besinnt. Wir müssen hier raus. Wir müssen de Norimbergo fassen. Koste es, was es wolle. Und wenn wir ihn um die ganze Welt jagen müssen.“
„Fängst du wieder mit der Leier an?“ murmelte Costales.
„Alles Quatsch“, brummte Toninho. „Den Capitán sehen wir nicht wieder. Wir verrecken hier wie die Ratten.“
„Laßt mich weitersprechen“, sagte de Canares.
„Tu, was du willst“, entgegnete Barilla. „Aber es nutzt nichts. Wir sollten den Tatsachen ins Auge sehen.“
„Das tue ich auch“, entgegnete de Canares. „Ich bin noch nie im Leben von einem Kerl so angeschissen worden wie von de Norimbergo. Er hat uns alle verraten und verkauft.“
„Als wir ihn in Lissabon getroffen haben, hätten wir nicht so gutgläubig sein sollen“, sagte Costales mit müder, brüchiger Stimme. „Er hat uns beschwatzt. Es ist unsere eigene Schuld.“
Barilla schnaufte zornig. „Da bin ich aber anderer Meinung. De Norimbergo hat uns allen was vorgegaukelt. Auch die älteren Seeleute an Bord des verfluchten Seelenverkäufers haben nicht gewußt, was eigentlich los war.“
Marinho seufzte. „Als uns die Augen aufgingen, war es zu spät.“
„Im ersten Sturm soff der Kahn fast ab“, sagte de Canares, vor dessen geistigem Auge die Geschehnisse noch einmal abliefen. „Wir haben Glück gehabt, daß wir überhaupt lebend hier in China angekommen sind.“
„Besser wär’s gewesen, wenn wir abgesoffen wären“, meinte Toninho. „Oder an der Ruhr krepiert wie die fünf armen Schweine, die wir in die See geworfen haben.“
„Einer hatte Skorbut“, sagte Barilla. „Und Skorbut kriegt man, wenn die Bordverpflegung nicht reichhaltig genug ist. Alles die Schuld von de Norimbergo, diesem Hundesohn!“
„Der Teufel soll ihn holen“, zischte Rodrigo. „Dem Drecksack wünsche ich die Pest an den Hals!“
„Wer konnte auch ahnen, daß er die verrottete ‚Sao Paolo‘ in Macao hinter unserem Rücken verhökert, von dem Geld ein kleineres Schiff kauft und mit nur drei Mann wieder abhaut, ohne uns die Heuer zu zahlen“, sagte de Canares. „Ich hätte es ihm nicht zugetraut. Trotz allem schien er ein ordentlicher Kapitän zu sein.“
„Ein Blender!“ stieß Barilla aufgebracht hervor. „Das sind die Schlimmsten! Wenn ich ihn kriege, drehe ich ihm ganz langsam den Hals um!“
„Da saßen wir nun in Macao“, murmelte Joan Marinho. „Ohne Geld, ohne Arbeit. Ohne Schiff. Keiner wollte uns haben. Wir haben es ja überall versucht. Kein Kapitän wollte uns in seine Musterrolle aufnehmen.“
„Und die Gardisten“, sagte Costales. „Habt ihr die vergessen? Die haben uns ja ständig belauert. Wenn man da zu lange herumlungert, sperren sie einen ein.“
„Wenn wir doch bloß eine Heuer auf einer lausigen Gemüse-Dschunke gefunden hätten“, sagte de Canares. „Damit wäre uns ja schon geholfen gewesen. Wir wären nach Shanghai getörnt, und da hätten wir schon eine neue Arbeit gekriegt.“
„Hoffentlich stimmt das überhaupt“, brummte Barilla. „Der Kerl, der uns das in Macao erzählt hat, war wahrscheinlich auch so ein Lügner. Ich glaube keinem mehr.“
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