Marten de Groot quollen die Augen aus den Höhlen, und er begann zu röcheln.
„N-nein – n-nicht“, flüsterte er.
„Wo ist euer Stützpunkt?“
Marten de Groot hob den Blick von der Klinge an seinem Hals und stierte in die blauen Augen seines Gegners, die eisig schimmerten. Das tiefbraune Gesicht mit der Diagonalnarbe war von erbarmungsloser Härte.
Der Tod wartete auf ihn.
„Saranganis“, flüsterte Marten de Groot, „Balut-Insel – Südküste …“
„Danke.“ Der Degen verschwand.
Marten de Groot sackte der Kopf nach vorn. Er war zu schwach, ihn noch länger aufrecht zu halten. Jemand nahm ihm den Degen aus der Hand. Er rutschte am Schanzkleid in sich zusammen.
„Wasser!“ befahl eine Stimme, die Stimme des Mannes mit den eisigen Augen.
Pützen klatschten ins Wasser. Sekunden später prallte es ihm ins Gesicht und deckte ihn ein, ein Schwall nach dem anderen. Er begann zu zittern. Dann hustete er und erbrach sich.
„Saut auch noch das Deck voll, dieser Käsefresser“, sagte grollend eine andere Stimme. „Los, spült ihn ab.“
Sie besorgten es ihm. Fast soff er in den klatschenden Wassergüssen ab, mit denen sie ihn überschütteten. Er schnappte nach Luft und rappelte sich wieder hoch. Schwankend stand er da.
„Genug“, sagte der Mann mit den eisigen Augen. „Bringt ihn in die Vorpiek zurück, Ed.“
„Aye, Sir. Soll sich der Kutscher um seine Blessuren kümmern?“
„Ich höre wohl nicht richtig, Mister Profos!“ wurde der Narbenmann angefahren. „Haben sich die Kerle um die Blessuren der Badjao gekümmert? Haben sie die Kinder und Frauen verschont?“
„Haben sie nicht, Sir“, erwiderte der Narbenmann, „bin ganz deiner Ansicht. Man kann’s auch übertreiben mit dem Samiterdienst!“
„Samariterdienst!“ korrigierte eine andere Stimme.
„Halt’s Maul, Kutscher“, sagte der Narbenmann freundlich, „Samiter ist die Kurzform von Samariter, das ‚ar‘ wie Arsch wird dabei eingespart, klar?“
„Könnten wir demnächst auch den Anker hieven?“ fragte der Mann mit den eisigen Augen.
„Aye, Sir, wird gleich besorgt.“ Der Narbenmann drehte sich zu Marten de Groot um. „Vorwärts, du Rübenschwein, oder soll dich Papa tragen?“
Marten de Groot schüttelte den Kopf und setzte sich in Marsch. Er ging wie ein alter Mann, und so fühlte er sich auch. Und ihm schwante, daß diese Kerle noch härter und schärfer waren als die Langäxte, mit denen er und die anderen die Muskatnußbäume gefällt hatten.
„Was passiert jetzt mit mir?“ fragte er den Narbenmann. Er sprach ein holperiges, etwas kehliges Englisch.
„Mit dir? Oh, wir kalfatern dir deinen Affenarsch und vernähen ihn mit ’ner Bootsmannsnaht, spleißen dir ein Fall durch die Nasenlöcher, das wieder an den Ohren rauskommt, und heißen dich zum Großtopp hoch, damit alle sehen können, was da für ein Blödmann hängt.“ Und der Narbenmann grinste freundlich – etwa so wie der Oberteufel.
„Vergeßt nicht, ihn zu fesseln!“ rief der Mann mit den eisigen Augen.
„Wer bin ich denn!“ entrüstete sich der Narbenmann und schob Marten de Groot durchs Schott im Vordeck.
Hasards Gesicht verlor die Härte, und er murmelte: „Ja, das war’s wohl.“
Ben Brighton und Don Juan blickten ihm entgegen, als er aufs Achterdeck enterte.
„Du wolltest ihn zerbrechen, nicht wahr?“ fragte Ben.
„Genau das. Was dagegen?“
Ben schüttelte den Kopf. „Es war richtig – und auch fair, gleiche Waffen, gleiche Chancen.“
„Ersteres stimmt, das andere nicht“, sagte Hasard. „Er hatte keine Chancen. Jeder von euch ist mit dem Degen besser als er. Erzähl mir also nichts von Fairneß. Aber als er vor den Toten ausspuckte – und dann vor mir –, ging mir der Gaul durch. Ich wollte ihn am Boden sehen – und wissen, wo ich mir die anderen Strolche holen kann, die eigentlichen Mörder und Schänder. Er war zwar nicht dabei, aber er gehört zu ihnen.“ Hasard wechselte den Blick zu Don Juan. „Siehst du, die Saranganis, wie du sagtest. Und wir wollten sie sowieso ansteuern. Aber so ist es mir lieber, wegen der Überraschung. Ihr Stützpunkt liegt also an der Südküste der Balut-Insel. Jetzt wäre wichtig, etwas über diesen Stützpunkt herauszubekommen. Ich meine, wir sollten uns ein Plätzchen an der Ostküste der Sarangani-Insel suchen und von dort aus erst mal die Lage peilen, bevor wir weiter darüber nachdenken, wie die Kerle zu packen sind. Sie haben die acht Badjao-Frauen. Ich möchte nicht, daß sie in die Kampfhandlungen verwickelt werden. Einverstanden mit meinem Vorschlag?“
Ben Brighton und Don Juan nickten.
„Ach ja.“ Hasard rieb sich die Nase und bedachte Don Juan mit einem etwas schillernden Blick. „Ob ich dich wohl noch um etwas bitten darf?“
„Natürlich.“
„Äh – könntest du noch einmal an Land setzen und unserem alten Freund erklären, daß wir jetzt wissen, wo wir die Kerle zu suchen haben? Ich meine, es ist besser, wenn er es erfährt.“
Don Juan seufzte mit Nachdruck. „So was von Fallensteller ist mir auch noch nicht begegnet. Bittest mich erst um etwas, wartest mein ‚natürlich‘ ab und haust mich dann in die Pfanne.“
„Nun ja“, sagte Hasard, „du bist eben unser Zeichensprachenkünstler, und da siehst du mal, wie wichtig es ist, fremde Sprachen zu lernen, nicht?“
„Oh, ich habe von Igna schon einen Satz gelernt“, sagte Don Juan erbittert.
„Igna?“
„So heißt unser alter Freund.“
„Aha – verdammt, ich habe mich ihm nicht vorgestellt!“
„Das habe ich getan“, sagte Don Juan süffisant, „für dich. Er spricht deinen Namen ‚Haschard‘ aus – wie haschen.“
„Ach ja? Und welchen Satz hast du gelernt?“
„Ich habe ihn gefragt – mit den Händen natürlich –, ob sie etwas zu essen brauchten. Da hat er erwidert: ‚Salámat, busóg na akó!‘“
„Mann, Mann, und was heißt das?“ fragte Hasard verblüfft.
„Das heißt: Danke, ich bin satt.“
Hasard räusperte sich ausgiebig und sagte: „Das ist wirklich hervorragend, Juan, aber unzureichend.“
„Unzureichend?“ Don Juan runzelte die Stirn. „Wie meinst du das?“
„Na ja, wenn wir die Badjao-Ladys befreien, kannst du ja nicht sagen: Danke, ich bin satt! Das wäre irgendwie unpassend, nicht?“
Don Juan verlor etwas die sogenannte Kontenance, indem er kein sehr stubenreines Wörtchen ausstieß. Und er sauste – wie zuvor Hasard – mit einer eleganten Flanke ab zur Kuhl, um abzuentern und an Land zu pullen.
„Jetzt hat er aufgebraßt“, sinnierte Hasard, und dann grinste er.
Carberry kreuzte vor der Achterdecksbalustrade auf, nachdem er irritiert hinter Don Juan hergeschaut hatte, und meldete: „Rübenschwein unter Verschluß, gefesselt, versteht sich. Posten vorm Schott.“
„Danke, Ed. Hat er irgendwie gemotzt?“
„Der?“ sagte der Profos etwas verächtlich. „Der ist fertig und piept nicht mehr. Der rennt weg, wenn er ’ne Maus sieht. ’ne alte Erfahrung, Sir; Kerle, die herumstrunzen und aussehen wie Drachentöter, die fallen um, sobald man sie mal scharf anpustet …“ Der Profos verstummte, als sei ihm eben noch etwas eingefallen.
„Ja, Ed? Was noch?“
„Ach ja, du hast mich zwar verwarnigt“ – er sagte tatsächlich „verwarnigt“, der Profos –, „aber seine linke Hand sieht schlimm aus, wo du ihm die flache Klinge draufgedroschen hast. Ziemlich geschwollen. Scheußlich, möchte nicht in der Hand stecken. Da könnte ich das Jammern kriegen.“ Der Profos reckte sich. „Schlage vor, der Kutscher schaut sich das mal an, Sir.“
„Einverstanden. Sag ihm Bescheid.“
„Geht klar, Sir.“ Und der Profos kurvte ab zur Kombüse. Mit dem Kutscher im Schlepp verschwand er im Vordeck. Der Kutscher hatte wieder seine „Hebammentasche“ bei sich.
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