Cóstola kicherte abermals. Diesmal ließ Struzzo ihn gewähren.
Das Poltern hinter Blacky hörte auf.
Statt dessen schwankte das Boot stärker.
Die Seestiefel eines stämmig gebauten Mannes wurden neben ihm sichtbar. Gleich darauf der ganze Kerl. Er sah aus wie ein Henkersknecht. Außer den Seestiefeln war er nur mit einer speckigen Hose bekleidet. Der Mann hatte eine Glatze und zum Ausgleich der fehlenden Haarpracht einen Vollbart.
„Fertig, Don Marcello“, sagte er, wobei er einen halben Schritt vor Blacky stehenblieb.
„Gut, gut“, antwortete Struzzo mit gönnerhaftem Nicken. „Dann wollen wir in aller Ruhe beginnen. Jegliche Eile ist überflüssig. Schließlich haben wir alle ein Interesse daran, das Ereignis zu genießen – einschließlich derjenigen, die nur mittelbar beteiligt sein können.“ Mit der gelassen herrischen Handbewegung eines römischen Imperators forderte er den Bärtigen auf, sein Werk fortzusetzen.
Blacky wurde von zwei kräftigen Fäusten gepackt und auf die Beine gestellt. Der Henkersknecht drehte ihn um, so daß er die Bugplattform sehen konnte. Die starken Planken bildeten eine große dreieckige Fläche von schätzungsweise zwei Quadratyards Ausmaß.
Blacky hatte das Gefühl, daß das Blut in seinen Adern zu Eis erstarrte. Auf der Plattform lagen zwei Felsbrocken von jeweils mindestens zwei Fuß Durchmesser.
Die Felsbrocken waren in der oberen Hälfte durchbohrt. Durch die Löcher waren Eisenstangen geschoben, an deren zu Ösen gebogenen Enden Ketten befestigt waren. Lange Ketten. Der Henkersknecht hatte sie ordentlich aufgerollt.
Blacky versteifte sich.
Der Bärtige spürte es.
„Wenn du dich wehrst“, knurrte er, „kriegst du eins auf die Rübe. Es hilft dir alles nichts. Klar?“
Blacky nickte. Seine Kehle war wie zugeschnürt. Er mußte bei Bewußtsein bleiben. Vielleicht gab es noch eine Chance – in letzter Minute. Oder in letzter Sekunde. Wenn er diese Chance erhalten sollte, dann würde er sie nutzen. Und lieber durch eine Kugel oder eine Klinge sterben als auf diese grauenhafte Weise, die Struzzo für ihn vorgesehen hatte.
„Eine wahrhaft kaiserliche Seebestattung!“ rief der Don mit hohntriefender Stimme.
Cóstola stimmte von neuem sein kindisches Kichern an.
Der Bärtige stieß Blacky auf die Bugplattform.
Blacky sah sich um. Eine Küstenlinie war nirgendwo zu sehen. Struzzo war also weit genug hinausgefahren, um keine unerwünschten Zeugen zu haben. Der Zweimaster, der sein Schiff sein mußte, lag etwa eine Kabellänge entfernt vor Anker. Auch Fischerboote waren nirgendwo in der Nähe zu sehen.
Die Eisenglieder klirrten, als der Henkersknecht die erste Kette hochhob und das Ende um Blackys Hüfte schlang.
Unter Vollzeug rauschte die Schebecke auf die offene See hinaus.
Der Tag war zu schön zum Sterben.
Der Himmel leuchtete azurblau, von keinem Wolkenstreifen getrübt. Die Sonne stand fast im Zenit. Und bei dem verläßlichen ablandigen Wind hätte die Fahrt mit dem dreimastigen Segler ein reines Vergnügen sein können, wenn nicht der Gedanke an Blackys Schicksal wie eine unausgesprochene Drohung über den Arwenacks geschwebt hätte.
Hasard und Ben Brighton suchten die südöstliche Kimm laufend mit ihren Spektiven ab. Bislang hatten sie nicht einmal ein Fischerboot gesichtet. Die Fischgründe waren woanders. Don Marcello Struzzo wußte, warum er jene bestimmte Position festgelegt hatte, an der er seine Opfer umzubringen pflegte.
Es gab dort so gut wie niemals Zeugen.
Die beiden Männer aus den Reihen Don Cesare di Montepulcianos hatten ausführlich darüber berichtet: Wer in die Gewalt Struzzos geriet, mußte das Allerschlimmste befürchten, das unvorstellbar Grauenhafte.
Don Marcello verpaßte seinen Opfern „Felsfüße“.
Und damit versenkte er sie bei vollem Bewußtsein.
Ihr Todeskampf mußte furchtbar sein. Don Marcello Struzzo gewährte seinen Opfern nicht das Recht eines jeden Seefahrers, bis zum Schwinden seiner Sinne gegen die Elemente kämpfen zu können. Struzzo weidete sich an den Höllenqualen, die die hilflosen Gefangenen litten, bevor er sie umbrachte.
Nein, bevor er sie umbringen ließ.
Denn er selbst beschmutzte sich nicht die Hände. Dafür hatte er seine Schergen.
Womit nicht gesagt war, daß sich Don Cesare di Montepulciano von Don Marcello auch nur um einen Deut unterschied. Etwas Derartiges hatten die beiden Verwundeten von Anfang an nicht behauptet.
Die Stimmung an Bord der Schebecke war gedrückt. Nur das Notwendigste wurde gesprochen.
Dan O’Flynn blickte von seinen Berechnungen auf. Mittels des Jakobsstabs hatte er soeben die exakte Position der Schebecke festgestellt.
„Jetzt müßten wir ihn sehen können!“ rief er alarmiert.
Hasard ließ den Kieker sinken und wandte sich zu Dan um. „Struzzos Zweimaster?“
Dan nickte und lief bereits los. Mit langen, federnden Sätzen erreichte er das Vorschiff. Unmittelbar am Bug setzte er sein Spektiv ein. Allein mit bloßem Auge war er jedem in der Crew des Seewolfs an Sehkraft überlegen.
In seiner gelegentlichen Funktion als Ausguck hatte Dan die Arwenacks vor manchem verhängnisvollen Geschehen bewahrt. Mittlerweile hatte er sich auf die Tätigkeit des Navigators spezialisiert, was aber nicht bedeutete, daß er in Ausnahmesituationen nicht doch noch die unübertroffene Schärfe seiner Augen einsetzte.
Dans Ruf ertönte bereits nach zwei, drei Sekunden.
„Zweimaster voraus!“
Hasard und Ben hoben wieder die Spektive.
Die Mastspitzen waren nur eben zu erkennen.
Der Seewolf ordnete Gefechtsbereitschaft an. Wenn es sein mußte, würde er Struzzos Schiff zu den Fischen schicken – erbarmungslos. Es mußte dann sein, wenn es für Blacky keine Hilfe mehr gab.
Und sollte Struzzo versuchen, Blacky als Faustpfand einzusetzen, dann würde Hasard sein eigenes Leben dafür in die Waagschale werfen. Dazu war er entschlossen. Blacky war ohne eigenes Verschulden in diese teuflische Situation geraten. Struzzos Schergen hatten ihn verwechselt, und auch der Don selbst hielt ihn noch immer für jemanden, der er nicht war – nicht sein konnte.
Für Hasard bestand kein Zweifel darüber, warum diese Verwechslung entstanden war.
Mit seinem Äußeren wirkte Blacky wie ein Südländer. Eben deshalb wurde er ja auch seit jeher Blacky genannt.
Don Marcello Struzzo mußte ein ungeheures Mißtrauen gegen alles Fremde hegen – zugleich aber mußte er die Hosen voll haben. Anders als durch Angst war dieses Mißtrauen nicht zu erklären.
Sein Widersacher Montepulciano mußte ihm mächtig zusetzen.
Unter Al Conroys Anleitung wurden an Deck jene Vorbereitungen getroffen, die die Arwenacks mit schlafwandlerischer Sicherheit beherrschten. Während die Männer Kartuschen und Geschosse an Deck schafften, streuten die Zwillinge Sand auf den Decksplanken aus und stellten Pützen mit Seewasser bereit – um etwaige Brandherde rasch ersticken zu können.
Man brauchte nicht damit zu rechnen, daß Don Marcello mit einem nur schwach oder überhaupt nicht armierten Zweimaster durch die Küstengewässer kreuzte. Spätestens seit er durch seinen Gegner Don Cesare bedrängt wurde, mußte er ständig auf der Hut sein.
In der Kombüse stellte der Kutscher die Eisenbecken mit glühender Kohle bereit, die zum Zünden der Lunten gebraucht wurden.
Nachdem die Culverinen geladen waren, nahm sich Al Conroy die Drehbassen vor. Nach den jeweils genau bemessenen Schwarzpulvermengen setzte er die Ladungen aus gehacktem Blei in die Rohre der kleinen Geschütze auf ihren schwenkbaren Gabellafetten.
Konturen tauchten für die Männer mit den Spektiven auf. Bald darauf konnten alle an Bord der Schebecke bereits mit bloßem Auge erkennen, was sich abspielte.
Sie verharrten im stummen Zorn.
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