Als Willem Tomdijk und Emile Boussac ihren Rum erhielten, herrschte bereits ein nicht mehr zu überblickendes Gedränge in der Kneipengrotte. Willem mußte immer wieder vorwitzige Kerle zurückscheuchen, die sich zu seiner Linken auf die reservierten Plätze setzen wollten. Emile stierte währenddessen trübsinnig in seinen Rum und dachte an seine kleinen Pariserinnen, die man so schmählich eingesperrt hatte.
Unvermittelt ebbte das Stimmengewirr ab. Ein beinahe andächtiges Raunen folgte. Willem hob den massigen Schädel, und auch Emile riß sich aus seinen Gedanken los.
„Platz da!“ ertönte eine barsche Stimme vom Eingang her. „Platz für die Black Queen!“
Das war Caligulas Stimme, unverkennbar. Willem Tomdijk und Emile Boussac wechselten einen Blick. Die schwarze Königin, wie sie sich in ihrer Vermessenheit nannte, hatte sich tatsächlich herabgelassen, der Einladung Folge zu leisten. Entsprechend mußte ihr Gemütszustand sein. Innerlich kochte sie wahrscheinlich vor Wut. Willem war auf einiges gefaßt.
Sekunden später bildete sich eine Gasse im Gedränge. Begehrliche Blicke hefteten sich auf die hochgewachsene Schwarze, die in majestätischer Haltung mit hoch erhobenem Kopf voranschritt.
Caligula folgte ihr mit einem Schritt Abstand. Seiner Miene war anzusehen, wie sehr er diesen Spießrutenlauf seiner Gefährtin haßte. Am liebsten hätte er den Kerlen für ihr gieriges Glotzen kräftig was auf die Finger gehauen. Aber dafür waren es wieder zu viele.
Willem verkniff sich ein Grinsen. Er nickte Emile zu. Der drahtige Franzose sprang sofort auf und winkte der Negerin und ihrem Begleiter zu. Die Queen bemerkte es und schien erleichtert, in dem Durcheinander einen Orientierungspunkt gefunden zu haben.
Willem Tomdijk erhob sich schnaufend und wies ihr und Caligula die beiden Plätze an seiner Seite zu. Sie folgten der Aufforderung. Die Queen verschränkte die Arme über den Brüsten, wobei sie eine hochmütige und unbeteiligte Miene aufsetzte.
Der ehemalige Bürgermeister von El Triunfo hob gebieterisch den fleischigen Arm. Augenblicklich kehrte in seiner unmittelbaren Umgebung Ruhe ein. Nach und nach pflanzte sich die Stille fort, sehr bald war auch aus den Nebengelassen der Kneipe kein Ton mehr zu hören.
„Ich begrüße euch alle auf das herzlichste!“ brüllte Willem. Jede Silbe hallte wie ein Paukenschlag durch das Gewölbe. „Eine besondere Ehre ist es, daß wir die Black Queen und Caligula zu unserer Bürgerversammlung willkommen heißen dürfen.“ Er legte eine wohlbedachte Pause ein, und die Männer begriffen, was er von ihnen erwartete.
Donnernder Beifall brandete auf.
Der stoische Gesichtsausdruck der Black Queen wich einem Ansatz des Lächelns. Sie konnte nicht umhin, sich geschmeichelt zu fühlen. Der Feiste war ein Schlitzohr, das wußte sie. Aber vielleicht war sein Willkommensgruß doch ernst gemeint.
Caligula beugte sich zu ihr und flüsterte in ihr Ohr.
„Siehst du. Sie können gar nicht anders, sie bewundern dich eben doch. Nach allem, was du für sie getan hast …“
Auf ein erneutes Handzeichen von Willem Tomdijk endete der Beifall. Abermals ließ er seine Stimme dröhnen.
„Nun zur Sache, Männer. Ihr wißt alle, warum wir uns zusammengefunden haben. Es geht um unsere Pläne für die Zukunft. Was soll aus uns werden? Wir haben alles verloren und praktisch nur unser nacktes Leben gerettet.“
„Nicht ihr!“ schrie die Black Queen dazwischen. Sie sprang auf. „Ich habe euch das Leben gerettet. Vergeßt das nicht. Vergeßt es nie!“ Ihr flammender Blick wanderte in die Runde.
Aber diesmal setzte kein Beifall ein.
Die Augen der Schwarzen verengten sich, und ihre Lippen bildeten einen Strich, als sie sich wieder auf die Bank sinken ließ. Sie fing an zu begreifen, was der Fettsack im Schilde führte.
„Selbstverständlich denken wir immer daran!“ rief Willem. „Wir vergessen doch nicht, wer uns geholfen hat! Auch, daß wir auf Tortuga oder später auf Hispaniola eine neue Heimat finden werden, verdanken wir doch nur unserer verehrten Madam, unserer Black Queen. Aber“, er holte Luft, und sein mächtiger Leib schien sich dabei aufzupumpen, „Dankbarkeit hat irgendwann ihre Grenzen. Und die Rettung aus der Not kann man so oder so betrachten: Geschah sie aus reiner Menschenfreundlichkeit, oder steckte eine Portion Eigennutz dahinter?“
„Eigennutz!“ rief jemand von weit hinten aus der Menge.
„Die Lady braucht uns als Fußvolk!“ ertönte die Stimme eines anderen.
Die Black Queen hieb mit der Faust auf den Tisch, daß es krachte. Wieder sprang sie auf. Ihre Augen funkelten den Holländer an.
„Du verdammter fetter Hurensohn!“ schrie sie. „Das hast du doch alles angezettelt! Du hast die Kerle gegen mich aufgebracht, damit sie …“
Ein Raunen, das plötzlich einsetzte, ließ sie verstummen. Es klang nicht einmal drohend, eher bestürzt. Aber es lag eine unterschwellige Mahnung darin, die sie daran erinnerte, sich die Situation vor Augen zu halten.
Allein in der Hauptgrotte hielten sich mehr als hundert Männer auf, allesamt aus El Triunfo und allesamt auf der Seite von Willem Tomdijk. Schlagartig wurde sich die Black Queen darüber klar, daß sie keine allzu großen Töne spucken durfte.
Natürlich wußten die Kerle, was sie riskierten, wenn sie sie wirklich angriffen. Keiner von ihnen würde dann mit dem Leben davonkommen, denn die Mitglieder der Crews befanden sich ohnehin in Alarmbereitschaft, und sie würden nicht lange fackeln. Andererseits konnte die Stimmung in einer Menschenansammlung explodieren wie ein Pulverfaß, dem man sich zu unvorsichtig mit einer Lunte genähert hatte.
Also schluckte die Black Queen den Rest ihrer Worte hinunter. Die Hundesöhne steckten doch sowieso mit dem Fettsack unter einer Decke. Natürlich hatte er sie angestiftet, sich gegen sie, die Herrscherin der Karibik, zu wenden, damit sie ihn in seiner lächerlichen und kleingeistigen Revanche für den Vorfall auf dem Zweidecker unterstützten.
„Aber, aber, wir wollen uns doch nicht beschimpfen“, sagte Willem mit gespieltem väterlichem Wohlwollen. Diesem Eindruck widersprach jedoch der spöttische Blick, mit dem er die Schwarze musterte. „Setz dich wieder, Madam, und laß uns alles in Ruhe besprechen. Es nutzt nichts, wenn wir uns die Köpfe heiß reden.“
„Du wirst mich noch kennenlernen!“ zischte sie, so daß nur er und bestenfalls Boussac es hören konnten. Aber sie gehorchte und ließ sich auf ihren Platz sinken.
Willem Tomdijk bemerkte, daß Caligula ihn haßerfüllt anstarrte. Doch auch der hünenhafte Neger wagte nicht, den Holländer anzugreifen, und sei es auch nur mit Worten. Caligula wußte, daß die Männer ihn auseinandernehmen würden, wenn er nur einen Finger gegen ihren Ex-Bürgermeister rührte.
Abermals hob Willem die Hand, und wieder kehrte Stille in der Grotte ein.
„Freunde!“ fuhr er dröhnend fort. „Männer von El Triunfo! Wir wollen uns nicht aufregen. Alles muß ruhig und sachlich abgewogen werden. Unsere verehrte Madam, die Black Queen, hat ganz recht, mich zu verbessern. Natürlich schulden wir ihr unseren Dank, ihr und niemandem sonst. Ich habe mich da ein bißchen falsch ausgedrückt.“
„Jetzt fängt er wieder an, uns Honig um den Bart zu schmieren“, flüsterte Caligula in das Ohr seiner Gefährtin.
Die Queen stieß ein Knurren aus. Mit grimmigem Interesse hörte sie Willem Tomdijks weiterer Rede zu.
„Dankbarkeit ist eine feine Sache, Freunde. Aber wenn es um Leben oder Tod geht, muß man ein bißchen genauer darüber nachdenken. Ich sehe das so: Wir wollen nicht vom Regen in die Traufe geraten. Wir wollen nicht schon wieder unser Leben riskieren. Bei der Rettung in El Triunfo hat uns die Black Queen eine neue, friedliche Heimat versprochen. Wenn das nicht so gewesen wäre, hätten wir uns auch in die Wälder von Honduras zurückziehen können. Oder?“
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