„Ich hatte eigentlich damit gerechnet, daß du dich anders entscheiden würdest, Donegal.“
„Tut mir leid, aber irgendwie war mir die ganze Sache nicht geheuer. Wir haben uns auch um euch ziemlich viel Sorgen gemacht“, sagte der Alte.
Hasard lächelte. „Dabei haben wir nur mit Tubuago und dessen Leuten gefeiert, mein Bester. Ben wird dir erzählen, wie es im Dorf zugegangen ist und was wir erfahren haben. Sag mir jetzt, wie es Blacky geht.“
„Dem? Der ist doch nicht kleinzukriegen. Ich habe ihm befohlen, das Logis nicht zu verlassen, aber er stöhnt dem Kutscher die Ohren voll, daß er’s da unten nicht aushält.“
Der Seewolf stieg ins Logis hinunter und sah Blacky im Halbdunkel des Raumes mit baumelnden Beinen in seiner Hängematte sitzen. Der Kutscher wollte gerade das Vorschiff verlassen, wartete aber ab, als er seinen Kapitän erkannte.
„Melde mich zurück zum Dienst, Sir“, sagte Blacky. „Wie du siehst, bin ich weder krepiert, noch habe ich irgendwelche Lähmungen. Der Kutscher hat mir den Pfeil aus der Schulter gepult wie einen Nagel aus einem Stück Speck, ich hab’s kaum gemerkt.“
„Und du fühlst dich schon wieder obenauf, was?“
„Richtig, Sir.“
„Am liebsten würdest du gleich wieder an Deck herumspringen, oder?“
„Genau das. Hölle, es ist hier unten so verflucht heiß – nicht zum Aushalten.“
„Er hat eine Menge Blut verloren“, sagte der Kutscher.
„Und er ist kreideweiß im Gesicht“, sagte der Seewolf. „Wieviel Rum oder Whisky hast du ihm gegeben, damit er dir bei der Operation nicht an den Hals sprang?“
Der Kutscher lachte. „Nur zwei Schlucke, Sir, wirklich nicht mehr.“
„Es waren große Schlucke, zugegeben“, sagte Blacky. „Aber die werfen mich nicht aus dem Gleichgewicht.“
Hasard nickte. „Das glaube ich dir gern. Und ich weiß auch, daß du eine Menge einstecken kannst. Aber das ist für mich noch lange kein Grund, dich jetzt gleich wieder zum Decksdienst einzuteilen.“
Blacky riß verdattert die Augen auf. „He – soll das heißen, daß ich hier unten in der Hitze schmachten soll?“
„Nein. Du darfst ’raus, aber ich befehle dir, dich auf die Back zu setzen und dich von dort nicht wegzurühren.“
„Aye, Sir.“
„Jede Zuwiderhandlung wird von mir als Versuch der Meuterei bestraft“, sagte Hasard, dann drehte er sich um und verließ das Logis, gefolgt vom Kutscher. Auf dem Niedergang zur Kuhl blieb der Seewolf noch einmal kurz stehen und fragte seinen Koch und Feldscher halblaut: „Wie stehen die Dinge wirklich?“
„So, wie ich sie dir erklärt habe“, erwiderte der Kutscher leise. „Nur könnte es eben sein, daß Blacky noch Fieber kriegt. Er darf sich jetzt nicht überanstrengen.“
„Wenn er das auch nur versucht, kann er was erleben“, sagte Hasard. Er trat aufs Hauptdeck, ging zum Schanzkleid und blickte zu den Jollen. Der Ladevorgang war fast abgeschlossen, die letzte Fuhre kam gerade herüber.
Er konnte jetzt die Männer einteilen, die die Wasserfässer an Land mannen, bis zur Quelle tragen und dort füllen sollten.
Leichtfüßig bewegten sich Kewridi und einer seiner Freunde, dessen Name Bisaasi lautete, durch den Inseldschungel. Es gab ein Netz von schmalen Pfaden, das nur die Indios kannten und das immer wieder, in Zeitabständen von rund zwei Wochen, dem Regenwald neu abgerungen werden mußte, da es sonst sehr schnell wieder zugewuchert wäre. Die geheimen Wege erlaubten es den Eingeborenen, sich relativ schnell von einem Ufer der Insel zum anderen zu bewegen. Alle Pfade trafen sich im Schabono, dem Dorf.
Kewridi und Bisaasi sollten die nördliche Küste von einem Aussichtspunkt aus kontrollieren, der von den Maracá-Indios sonst als Kultstätte benutzt wurde. Hier opferten sie gegen Ende der Hitzeperiode ihren Göttern und beteten, daß die Regenzeit bald mit viel Wasser beginnen möge. Sie waren nicht nur Jäger und Fischer, sie bestellten auch Felder am Rande ihres Dorfes, deren Ertrag wesentlich vom pünktlichen Einsetzen des Regens abhing.
Der Platz lag gut zehn Yards über dem dichten Mantel der Mangroven, die an dieser Seite der Insel mit ihren Wurzeln bis ins Wasser der See griffen.
Kewridi und Bisaasi erreichten ihr Ziel und erblickten sofort die Kanus und Piraguas, die wie abwartend draußen in der Meeresstraße zwischen den beiden Inseln lagen.
„Nun?“ knurrte Kewridi. „Was habe ich gesagt? Sie sind bereits da. Wahrscheinlich belauern sie uns bis zum Abend, und dann, im Schutz der Dunkelheit, tauchen sie wie die Schlangen auf, die ein großes Tier würgen und beißen wollen.“
„Wir müssen sofort Tubuago benachrichtigen“, sagte Bisaasi. „Er wird sämtliche Waffen verteilen und zum Kampf rüsten.“
„Lauf los.“
„Ja. Du behältst Surkuts Männer weiterhin im Auge?“
„Ich verfolge jede Bewegung, die sie unternehmen. Es sind acht Kanus und Piraguas.“
„Also immer noch Borago und die Meute, die über unsere Mädchen herfiel?“ fragte Bisaasi.
„Ich weiß es nicht“, antwortete Kewridi. „Aber hat denn das jetzt noch Wichtigkeit?“
„Nein.“ Bisaasi wandte sich ab und ging. Er folgte dem Verlauf des Pfades, der von der kleinen Lichtung des Opferplatzes hinunter in den Busch führte, und wollte wie vorher am Ufer eines schmalen Flusses entlanggehen, um ins Innere der Insel zu gelangen.
Plötzlich aber gewahrte er zwei Kanus, die mit Laubwerk und Lianen getarnt unter den Stelz- und Atemwurzeln der Mangroven verborgen lagen. Man mußte schon sehr genau hinsehen, um sie zu finden, und eigentlich war es eher ein Glücksfall, daß Bisaasi sie entdeckt hatte.
Vorsichtig bewegte er sich auf die Kanus zu. Sie lagen am diesseitigen Ufer, also würde er keine Schwierigkeiten haben, sie einer genaueren Untersuchung zu unterziehen.
Er fragte sich unwillkürlich, warum Kewridi und er die Boote nicht vorher schon erblickt hatten. Vier Augen sehen mehr als zwei, sagte er sich im stillen, seltsam.
Dann aber begriff er, was die Ursache für diesen Umstand war. Erst, als sein Freund und er zum Aussichtspunkt hinaufgestiegen waren, hatten sich die Kanus von der See her nähernd in die Flußmündung geschoben. So hatten Kewridi und er sie von oben aus nicht mehr sehen können, und erst eben, vor wenigen Augenblicken, mußten die Insassen die Fahrzeuge vertäut, getarnt und verlassen haben.
Demnach befanden sie sich noch in der Nähe! Bisaasi blieb geduckt stehen. War es nicht besser, Kewridi unverzüglich zu unterrichten und ihn zu Hilfe zu holen? Was war, wenn der Feind ihn aus einem Gebüsch beobachtete und bereits mit der Waffe auf ihn zielte?
Bisaasi spürte, wie es ihm trotz der Hitze kalt über den Rücken rann. Er gab sein Vorhaben auf, die Kanus eingehend zu untersuchen. Daß sie den Männern der Nordinsel gehörten, stand ohnehin außer Frage.
Er drehte sich um – und sah sich einer braunen, bemalten Gestalt mit haßverzerrtem Gesicht gegenüber.
„Borago“, flüsterte er entsetzt.
Erst beim zweiten Hinsehen entdeckte er auch die anderen. Vier oder fünf Krieger waren es, die sich mit Borago zusammen an ihn herangepirscht hatten und sich jetzt hinter dessen Rücken befanden; gebückt, mit den Lanzen und Messern in den Fäusten, zum sofortigen Angriff bereit.
Bisaasi wollte das Messer zücken und sich auf Borago werfen, wollte schreien, um Kewridi zu alarmieren, doch der andere war schneller.
Borago schnellte katzengewandt vor, packte Bisaasi und riß ihn mit sich zu Boden. Sie wälzten sich im Uferschlamm. Bisaasi versuchte, dem Gegner das Messer in die Brust zu rammen, doch Borago entwand ihm die Waffe mit solcher Kraft, daß Bisaasi zu glauben begann, er sei von bösen Geistern besessen.
Borago erkannte, daß sein Gegner schreien wollte, und preßte ihm die Hand auf den Mund. Die anderen Männer Surkuts waren jetzt auch heran und hielten Bisaasi an den Armen und den Beinen fest.
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