„Quatsch“, sagte Blacky, der sich doch auf Jeff Bowie stützen mußte. „Er hat die Kanus der Indios gesehen, sie sind hier vorbeigezogen. Den Rest hat er sich leicht zusammenreimen können.“
Bob schob die Jolle vom Sand ins seichte Wasser und gab einen Seufzer von sich. „Mann, o Mann, ich glaube, ich hab heute meinen schlechten Tag. Ich blicke einfach nicht ganz durch. Und diese Scheißinsel mit ihren braunen Teufeln stinkt mir gewaltig. Hölle, hier stinkt’s so sehr, daß ich am liebsten gleich wieder abhauen möchte.“
Ilana und Oruet hatten das Mißverständnis zwischen ihren Stammesbrüdern und den Seewölfen sehr schnell beseitigt. Die jungen Krieger, die von Tubuago zum Südufer geschickt worden waren, damit sie nach der Ursache der Schüsse forschten, hatten Hasard und dessen Begleiter anfangs für Feinde gehalten. Jetzt aber, nach den Erklärungen der Mädchen, hatten sich ihre Mienen aufgehellt, und sie bezeugten durch Gesten ihren Dank dafür, daß die Seewölfe Ilana, Oruet, Saila, Mileva und Ziora vor dem Zugriff von Surkuts Männern gerettet hatten.
Die Verständigung durch Gebärden und Zeichnungen im weißen Sand des Strandes funktionierte jetzt etwas besser. Die Eingeborenen setzten Hasard und seinen sechs Männern auseinander, daß Tubuago sie sicherlich in seinem Dorf willkommen heißen würde. Der Seewolf nahm das Angebot lächelnd an, und so schritten sie hinter den Indios her zu den Hügeln hoch und anschließend durch einen Pfad im Urwald zu der Siedlung, die aus etwa dreißig Holzhütten bestand.
„Ich glaube, die Indios werden uns bei der Proviantbeschaffung behilflich sein“, sagte Hasard. „Uns käme das sehr gelegen, denn ich will nach Möglichkeit noch heute nachmittag wieder auslaufen.“
„Und das Trinkwasser?“ fragte Ben Brighton, der neben ihm ging.
„Blacky wird Donegal und den anderen an Bord der ‚Isabella‘ erklären, wo sich die Quelle befindet“, erwiderte der Seewolf. „Ich nehme an, Donegal wird vorsorglich schon Fässer an Land mannen und füllen lassen, zumindest erwarte ich das von ihm, wenn ich auch nicht den ausdrücklichen Befehl dazu gegeben habe.“
„Hoffen wir, daß dieser Muskelprotz und seine Bande uns dabei nicht wieder in die Quere geraten“, sagte Big Old Shane.
„Das sollen sie mal versuchen“, sagte Carberry grimmig. „Dann können sie was erleben. Dann kriegen sie die Hucke so voll, daß sie nicht mal mehr nach Hause paddeln können.“
Weder er noch die anderen ahnten, daß es anders kommen sollte – ganz anders.
Ilana und Oruet schritten neben Kewridi her, dem jungen Jäger und Fallensteller. Er stellte ihnen Fragen über Fragen, und sie mußten ihm genau berichten, wie sich die unerfreuliche Begebenheit am Strand zugetragen hatte.
„Das war unverantwortlich von euch“, sagte er schließlich. „Ihr hättet euch ohne Schutz niemals vom Dorf entfernen dürfen, schon gar nicht so früh am Morgen.“
„Es war meine Idee“, sagte Ilana, und ihre Stimme nahm einen beinah trotzigen Klang an. „Aber mein Vater und meine Mutter wußten davon. Dies war nicht das erste Bad, das ich mit meinen Freundinnen genommen habe.“
„Du kennst die Gefahr, die von Surkut ausgeht, und jetzt hast du am eigenen Leib erfahren, wie grausam seine Männer sind.“
„Es wäre besser, überall auf der Insel Späher aufzustellen“, sagte Ilana. „Ich werde meinem Vater dazu raten.“
„Das brauchst du nicht, das übernehme ich“, sagte Kewridi. Während er sprach, warf er immer wieder Blicke zu den weißen Männern hinüber und hielt besonders den großen schwarzhaarigen Mann mit den eisblauen Augen unter Beobachtung.
„Was hast du an diesen Fremden auszusetzen?“ fragte Ilana ihn plötzlich.
Kewridi schien erstaunt zu sein. „Ich? Nichts. Gar nichts.“
„Doch. Du mißtraust ihnen.“
„Haben sie euch – nackt gesehen?“
„Ja“, erwiderte Oruet. „Und wenn schon.“
„Es gefällt mir nicht.“
„Sie sind anständig“, sagte Ilana. „Sie sind gute, aufrichtige Männer mit einem großen Herz.“
Kewridi verzog den Mund. „Gib es nur zu, du magst sie leiden.“
Ilana lachte so laut auf, daß sich die anderen erstaunt zu ihr umblickten.
„Aber, aber!“ rief sie. „Du bist ja richtig eifersüchtig! Sei doch nicht kindisch, Kewridi.“
„Sei still“, stieß er gepreßt hervor. „Du weißt ja gar nicht, wie töricht es klingt, wenn du so sprichst.“
„Töricht?“ Sie sah ihn tadelnd von der Seite an. „Jetzt beleidigst du mich. Und außerdem – von dir lasse ich mir nichts befehlen. Du kannst mir den Mund nicht verbieten.“
„So keck bist du nur, weil du als Tochter des Häuptlings glaubst, dir besonders viel herausnehmen zu können.“
Ilana wollte ihm eine Antwort darauf geben, doch Oruet trat jetzt zwischen sie und den jungen Mann und sagte leise: „Hört doch auf, ihr beiden. Was sollen die anderen von uns denken?“
Dan O’Flynn stieß Ferris Tucker mit dem Ellenbogen an und sagte: „Weißt du was? Der Bursche da vorn hat einen Zorn auf uns, weil er in die hübsche Ilana verknallt ist und wir ihr aus der Patsche geholfen haben. Viel lieber hätte er sich als rettender Held aufgespielt.“
„Na ja“, meinte der rothaarige Riese. „Ich kann ihn verstehen. Das Mädchen guckt dauernd zu Hasard, und ihre Blicke sprechen Bände.“
„Hör bloß auf“, sagte Smoky, der hinter ihnen schritt. „Das fehlte uns noch, daß sich da irgendwas anbahnt.“
„Unsinn“, sagte Dan. „Hasard ist viel zu reserviert und auf die allgemeine Disziplin bedacht. Er kann sich zurückhalten – und das gleiche erwartet er von uns.“
„Bleibt hart, Leute“, sagte Ferris Tucker. „Haltet durch und seid sittsame Menschen, wenn’s auch schwerfällt.“
Der Dschungel öffnete sich zu einer geräumigen Lichtung, in deren Zentrum die Hütten ringförmig zueinander geordnet waren. Zwei Krieger der Indios, die am Eingang Wache hielten, drehten sich beim Anblick der Ankömmlinge um und stießen Rufe aus. Daraufhin lief im Dorf alles zusammen, was Beine hatte: Männer, Frauen und Kinder, die miteinander zu schwatzen und zu tuscheln begannen und ungeniert auf die Fremden deuteten.
Hasard fiel sofort ein drahtiger Mann auf, der jetzt mitten zwischen die Versammlung trat und beide Hände hob, um für Ruhe zu sorgen. Dieser Mann mochte fünfzig Jahre alt sein, vielleicht auch ein wenig älter, es ließ sich schwer schätzen. Er war mittelgroß und keine sonderlich imposante Erscheinung, doch von seinem ganzen Gebaren ging so viel Autorität aus, daß kein Zweifel daran bestehen konnte: Er war Tubuago, der Häuptling der Ilha de Maracá.
Borago und seine Männer begegneten dem großen Boot des Häuptlings Surkut ungefähr auf halber Strecke zwischen der Ilha de Maracá und der Nordinsel. Vier Kanus begleiteten die große Piragua, in deren Bugpartie Surkut mit erhobenem Haupt und vor der Brust verschränkten Armen stand.
„Ich habe auf euch gewartet!“ rief Surkut seiner Patrouille zu. „Ich habe mir Sorgen um euch gemacht, weil ihr nicht so schnell zurückgekehrt seid, wie ich es mir gedacht hatte! Was ist geschehen?“ Er war ein verhältnismäßig großer Mann, zwar nicht so wuchtig gebaut wie Borago, jedoch gleichfalls kräftig, mit breiten Schultern und grobknochigen Hüften.
Surkut trug einen Federschmuck auf dem Kopf und hatte sich einen blaßroten Umhang um die Schultern geschlungen, den er bei „besonderen Anlässen“ anzulegen pflegte. Die Stunde verlangte nach einem eindrucksvollen Auftritt, denn er rüstete zum Kampf gegen Tubuago und dessen Stamm, wollte die große Insel besetzen und alle Macht an sich reißen.
Das Mienenspiel Surkuts war faszinierend und beunruhigend zugleich. Sein breiter Mund schien fast ständig in Bewegung zu sein. In seinen großen dunklen Augen glomm ein gefährliches Feuer. Von einen Moment auf den anderen konnte der Ausdruck seines Gesichts von Übellaunigkeit in Arroganz umschlagen, von Haß in vorgetäuschte Güte, von Feindseligkeit in Jovialität.
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