Surkut empfand sich als charismatischer Führer seines kleinen Volkes. Er hatte die Schamanen, die dereinst auf der Nordinsel geherrscht hatten, verbannt und sich eine eigene Religion geschaffen. Seine geräumige Wohnhütte und den Dorfplatz hatte er mit grell bemalten Puppen und holzgeschnitzten Standbildern ausstaffiert. Überall hatte er geheimnisvolle Zeichen auf den Boden gemalt, die seinen Darstellungen zufolge den Hekura, den Geistern, den Weg wiesen, wenn sie das Dorf besuchten.
Auf der Nordinsel gab es genau wie auf der Ilha de Maracá nur jeweils eine Siedlung, in der sich alles Leben konzentrierte, denn ein einziges Dorf war im Falle eines Angriffs von außen leichter zu verteidigen als viele Dörfer. Das Regime, das Surkut führte, war jedoch nicht von Menschlichkeit und Rücksichtnahme bestimmt wie das des Häuptlings Tubuago. Es beruhte vielmehr auf einem diktatorischen Prinzip, das eine ganze Reihe von schweren Strafen für die geringsten Vergehen bereithielt.
Der Mythos, den Surkut mit sich selbst als der zentralen Figur geschaffen hatte, besagte, daß sich dereinst das Blut des Mondes auf die Erde ergossen hatte, um ein Volk von Männern zu gebären – Männer, die als das „grimmige Volk“ ewig Krieg führen sollten gegen alle anderen, irrgläubigen Menschen, ganz gleich, ob sie nun braunhäutig oder weiß waren.
Seit Surkut sein totalitäres Reich errichtet hatte, gab es auf der Nordinsel immer weniger Frauen und Mädchen, denn die Neugeborenen wurden getötet, wenn sie weiblichen Geschlechts waren. Surkut wollte sein Volk von Männern zahlenmäßig stärken – und schien sich nicht der Tatsache bewußt zu sein, wie fatal sein Handeln war.
Borago brachte sein Boot neben die Piragua des Häuptlings. Surkut blickte ihn an und nickte.
„Gut. Ich sehe, ihr tragt Wunden. Ihr habt gekämpft, und ich hoffe, ihr habt möglichst viele der räudigen Hunde, die dem Gekläff des närrischen Tubuago folgen, umgebracht.“
Borago schüttelte den Kopf. „Es war anders.“
Surkuts Augen weiteten sich, sein Mund verzerrte sich, seine Miene wurde zu einer Grimasse der Wut und Bestürzung. „Wie? Ihr habt verloren? Ihr habt Prügel bezogen und habt euch fortjagen lassen? Ist es so?“
Borago sah betreten ins Wasser, doch Surkut schrie ihn an: „Berichte, oder ich steche dich mit dem Kaoba, dem Häuptlingsmesser!“
Borago begann zu sprechen. Wohl oder übel mußte er die Geschehnisse auf der Ilha de Maracá schildern. Aber er verschweig, daß sie wegen der fünf Mädchen am Südstrand gelandet waren, und seine Kumpane hüteten sich, auf die wahre Ursache, die schließlich zum Kampf mit den „Viracocha“ geführt hatte, hinzuweisen.
Surkut hätte Borago getötet, wenn er dies erfahren hätte.
So aber beruhigte er sich allmählich und sagte, als Borago geendet hatte: „Sie haben also ein großes Schiff, und ihr wolltet es ihnen wegnehmen. Aber sie haben auch die Feuerrohre, deren Brüllen selbst wir ganz schwach vernehmen konnten. Ihr habt euch tapfer verhalten, und es ehrt dich, Borago, daß du mir das Schiff holen wolltest.“
„Ich weiß, daß es schon lange dein Wunsch ist, ein solches Schiff zu besitzen“, sagte Borago.
Surkut lächelte kalt. „Ja, denn damit werden wir zum Festland hinüberfahren und tun, was wir mit unseren Kanus und Piraguas nie und nimmer vermögen. Wir rotten die weiße Brut aus, die sich dort niedergelassen hat, wir töten sie alle und werfen sie ins Wasser. Dann ebnen wir den Weg für die Hekura, die Geister, und bauen ihnen ein riesengroßes Schabono, ein Dorf.“
„Ja!“ riefen die Männer in den anderen Booten. „Ein Schabono für die Hekura!“
Surkut hob in einem Gefühl grenzenloser Überlegenheit den Kopf. Er blickte zu Borago und sah, wie dieser ihm langsam zunickte.
Die Zeit war reif für Surkuts Plan. Es war ratsam, auf der Ilha de Maracá zu landen, ehe Tubuago und die weißen Männer überall Wachen aufstellten und sich auf eine Nacht voller Gefahren vorbereiten. Der Angriff mußte zu einer Zeit stattfinden, in der die Gegenseite am wenigsten damit rechnete – bei Tag, möglichst noch um die Mittagsstunde.
„Ein Kanu kehrt zur Nordinsel zurück und holt Verstärkung!“ gab Surkut nun seine Befehle. „Wir anderen warten hier. Dann sammeln wir uns, nehmen Kurs auf die Insel Maracá und erobern sie im Sturm. Unser wird auch das Schiff der ‚Viracocha‘ sein, unser Sieg ist nicht mehr aufzuhalten. Wir sind die Grimmigen, die Starken, die Unüberwindlichen!“
Die braunhäutigen Kerle jubelten ihm zu. Ein Kanu löste sich von dem Verband und glitt in nördlicher Richtung davon, zurück zur Nordinsel.
Surkut bedeutete seinen Männern, sie sollten jetzt die Kriegsbemalung anlegen. Er selbst bückte sich und griff nach den Blätterbündel, die er im Bug der Piragua angehäuft hatte. Er begann, sie von Boot zu Boot zu verteilen, damit die Krieger sie sich in den Mund schieben und sie zerkauen konnten.
Es handelte sich um Blätter des Kokastrauches und um Ebena, ein Mittel, das aus der Rinde und den Trieben des Nakona-Baumes gewonnen wurde – um Drogen, mit denen Surkut seine Krieger in regelmäßigen Zeitabständen zu versorgen pflegte. Der Gebrauch des Rauschgiftes machte die Männer ihm, Surkut, gegenüber gefügig und anderen Menschen gegenüber ungemein aggressiv. Mit Koka und Ebena hatte er seine Macht auf der Nordinsel gefestigt. Ohne sie wäre er vielleicht schon längst nicht mehr der Schoabe, der Häuptling und Dorfvater, gewesen. Die Drogen verblendeten den Geist, wer Koka kaute und sich Ebena in die Nase rieb, stellte kaum Fragen und zweifelte nicht an seiner Obrigkeit.
Die Begrüßung war ein langwieriges Zeremoniell. Hasard, Ben, Shane, der Profos, Ferris, Dan und Smoky mußten sich zwischen den Hütten unter ein offenes Schutzdach kauern. Als erstes wurde ihnen ein kühles Palmfruchtgetränk gereicht, das ihnen ganz gegen ihre Erwartung ausgezeichnet mundete.
Im Anschluß daran hielt Tubuago – dem mittlerweile von Kewridi und den übrigen jungen Kriegern alles ausführlich berichtet worden war – eine Ansprache an seinen Stamm, wobei er immer wieder auf die Männer der „Isabella“ wies.
Hasard und seine Männer verstanden kein Wort, aber selbstverständlich konnten sie sich ausmalen, welches der Inhalt von Tubuagos Rede war.
Ilanas gestenreichen Erklärungen war es zu verdanken, daß sie inzwischen wenigstens die wichtigsten Namen kannten und wußten, wie sie den Häuptling, einige Krieger sowie die Mädchen, die sie vor einem häßlichen Schicksal bewahrt hatten, anreden konnten.
Tubuago verstummte, und die Dorfbewohner bekundeten durch Ausrufe, die wie „Kaba ischu tao“ klangen, ihren Beifall.
Jetzt trugen die Mädchen dampfende Bananensuppe in Kalebassen auf, brachten Kürbisse, Melonen und wilden Truthahn und breiteten das gesamte Mahl auf geflochtenen Matten vor den Gästen aus.
Carberry versuchte zu grinsen, aber es gelang ihm nicht recht.
„Na schön, der Trank war nicht schlecht“, erklärte er. „Aber wer sagt uns, wie dieses Zeug hier schmeckt?“
„Überwinde dich und greif zu“, entgegnete der Seewolf. „Wenn wir nicht essen, beleidigen wir diese Menschen, das weißt du genauso gut wie ich.“
„Aye, Sir.“
„Und anschließend sollten wir durch kräftiges Schmatzen zeigen, daß es uns geschmeckt hat“, meinte Ben Brighton. „Ich glaube, auch das gehört dazu.“
„Na, dann mal los“, sagte Big Old Shane. Er streckte die Hand aus und nahm sich einen Truthahnschenkel, den der Profos soeben hatte erhaschen wollen.
Carberry murmelte einen Fluch, nahm sich ein anderes Stück und begann, darauf herumzukauen. Bald wurde seine Miene freundlicher, ja, am Ende grinste er sogar.
„Donnerkeil!“ rief er. „Das ist ja wirklich gut! Hätte ich gar nicht gedacht, Sir!“
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