Dem Rudergänger am Kolderstock der Galeone lief der Schweiß übers Gesicht — wegen der nervlichen Anspannung und des barschen Kommandierens des Kapitäns und der Offiziere, das pausenlos auf ihn einhagelte. Der Zuchtmeister brüllte die Decksleute an, die Schoten noch dichter zu holen, obwohl das nicht möglich war. Er drohte mit der neunschwänzigen Katze.
Die Stimmung an Bord war alles andere als rosig – und nun auch noch das!
Francisco Lozano konnte froh sein, keine Perücke zur Hebung seiner Amtswürde übergestülpt zu haben. Sie wäre ihm im jähen Aufbrisen des Windes zweifellos vom Haupt gerissen worden.
Seine wellige Frisur löste sich auf, seine Knebelbartenden zitterten im Wind. Sein wütendes Geschrei tönte über Oberdeck und war fast bis zur „Santa Trinidad“ zu hören.
Lozano brüllte, bis er rot anlief, als der Bootsmann auf der Back eintraf und auch noch verkündete: „Das Schiff läuft aus dem Ruder, wenn das so weitergeht! Wir werden auf Legerwall gedrückt und können den Kurs nicht halten, Senor Comandante!“
„Vayase al diablo!“ brüllte Lozano ihm ins Gesicht. „Zum Teufel, ich lasse euch alle kielholen und an der Rahnock aufbaumeln, wenn das passiert!“
„Si, Senor Comandante“, sagte der erbleichende Bootsmann. Er drehte sich um und stürzte an die Querbalustrade, die zur Kuhl wies. Sein Wortschwall ging auf den Stockmeister nieder, und dieser leitete die Anordnungen an den Steuermann weiter.
Der Timonero wußte ganz genau, daß Lozano imstande war, seine wüsten Drohungen in die Tat umzusetzen. Das Grinsen des Timoneros fror ein, er trat dem Rudergänger mit dem Stiefel ins Gesäß, scheuchte ihn weg und übernahm selbst den Kolderstock der „San Rafael“.
„Ich habe das Unheil kommen sehen“, stieß er zischend hervor. „Auf mich hat keiner hören wollen, und jetzt müssen wir die Köpfe dafür hinhalten, Hölle und Teufel.“
Der Wind heulte und pfiff in den Luvwanten und Pardunen der Schiffe und rüttelte an den Masten. Auf Steuerbordbug liegend liefen die drei Segler mit starker Krängung weiter auf Bengkalis zu, dessen Lichter wegen leichter Nebelbildung im Süden noch nicht zu erkennen waren.
Der Wind wurde stärker und ruppiger.
Der Timonero der „San Rafael“ wußte, daß das Schicksal unabwendbar war, und er bekreuzigte sich.
„Wir segeln in die Hölle“, sagte der entsetzte Bootsmann auf der Back, aber Francisco Lozano war an dem Bootsmann vorbei, hastete den Niedergang zur Kuhl hinunter, und beachtete die Worte des Mannes überhaupt nicht.
Lozano tobte, wurde handgreiflich und schlug auf einige Männer ein, aber dadurch änderte er auch nichts an den Gegebenheiten. Immer weiter wurden die Karavellen und die Galeone auf Legerwall zu geschoben. Wenig später war das Unheil perfekt.
Den manövrierfähigeren Karavellen gelang es, so weit nach Süden abzulaufen, daß die gefährlichen Korallenbänke Steuerbord achteraus zurückblieben. Doch die Galeone „Santa Trinidad“ war mittlerweile viel zu weit nach Westen versetzt worden.
Rafael de Cubas brüllte wie ein geistig umschatteter Mann, aber auch das nutzte nichts. Im Moment des Aufpralls aufs Riff wurden er und seine Männer aus dem Stand auf Deck gerissen und durcheinandergeschleudert. Sie überrollten und wälzten sich. Einige schlugen so hart gegen das Schanzkleid oder andere Widerstände, daß sie sich Verletzungen zuzogen. Ja, zwei Decksleute kippten sogar außenbords und verschwanden in der Nacht.
Es krachte und knirschte. Der Rumpf der 300-Tonnen-Galeone wurde von den harten, scharfen Formationen der dicht unter der Wasseroberfläche befindlichen Baum- und Rindenkorallen aufgeschlitzt. Gähnende Lecks klafften plötzlich in der hölzernen Schiffshaut, gurgelnd drangen die Fluten ein.
Der Schiffszimmermann und ein paar Helfer, die sofort in die unteren Räume eilten, wurden durch die rauschenden Wassermassen gestoppt. Obwohl der beherzte Zimmermann ein paar Tauchversuche unternahm, gelangte er an die Lecks nicht heran. Es war ausgeschlossen, die Galeone von innen her auch nur notdürftig abzudichten.
Die Männer kehrten auf Oberdeck zurück und erstatteten Meldung. Panik drohte um sich zu greifen.
Die Galeone krängte bedrohlich und schien jeden Moment querzuschlagen.
„Löscht die Ladung, verstaut sie in den Booten!“ schrie der Capitán de Cubas. „Wir müssen das Schiff aufgeben.“
„Senor Capitán!“ rief der Zimmermann zurück. „Wir müssen das Frachtgut im Stich lassen. Wir schaffen es nicht mehr …“
„Niemals! In die Frachträume!“ Rafael de Cubas’ Stimme steigerte sich zu einem Heulen. „Das ist ein Befehl, und ich werde jeden, der ihn nicht befolgt, wegen Meuterei und Feigheit zur Rechenschaft ziehen!“
Den Männern blieb nichts anderes übrig, sie mußten in die tosende, unheimliche Tiefe des Schiffsrumpfes zurückkehren. Unter Aufbietung all ihren Mutes bildeten sie eine Kette, dessen unterste Glieder in den Frachträumen immer wieder in die schwärzlichen, brodelnden Fluten tauchten und Kisten und Truhen, prall gefüllt mit Diamanten von Kra, heraufzerrten. Der Zimmermann befand sich unter diesen beherzten Männern.
Die Kisten wurden auf Oberdeck gemannt und in die bereits ausgebrachten Beiboote abgefiert, was nicht ohne Schwierigkeiten abging, weil die „Santa Trinidad“ immer weiter nach Steuerbord krängte.
So sehr de Cubas sich auch bis zuletzt dagegen sträubte – ihm blieb schließlich nichts anderes übrig, als sich in ein Boot zu begeben und das sinkende Schiff zu verlassen.
Nur einen Teil des Diamant-Schatzes hatte er bergen können, etwa ein Viertel. Während aber die Beiboote an Steuerbord der Galeone dümpelten, während sich Masten und Rigg bedrohlich den Männern auf den Duchten entgegenneigten, hörten die auf dem Dreimaster Zurückgebliebenen nicht auf, Kisten und Truhen aus dem Schiffsbauch zu mannen.
Die Wassermengen füllten die „Santa Trinidad“ und ließen sie noch mehr nach Steuerbord krängen. Der jaulende Wind tat ein weiteres – die Galeone schlug endgültig quer.
Ein einziger Schrei des Entsetzens ging durch die Reihen der Spanier. Mit wilder Kraft der Verzweiflung pullten sie unter dem niederächzenden Mastwerk, der Takelung und dem laufenden und stehenden Gut fort. Zwei Booten gelang es, sich zu lösen, ein drittes, kleineres, wurde untergegraben. Nur ein Teil seiner Besatzung vermochte sich durch Wegtauchen zu retten.
De Cubas war für Minuten seiner Stimme beraubt. Er ließ in die Bucht hinauspullen, hatte sich auf der Heckducht seines Bootes umgewandt und verfolgte fassungslos die letzte Phase des Unglückes.
Knarrend rutschte die „Santa Trinidad“ vom Riff. Unglaublich schnell vollzog sich das. Man war versucht an einen bösen Traum zu glauben. Die Schatz-Galeone nahm den Großteil der Diamantenausbeute aus den Minen von Kra mit in die Tiefe, außerdem ein paar Männer, die nicht mehr rechtzeitig den Weg aus den unteren Schiffsräumen zurück auf Oberdeck fanden. Unter ihnen war auch der Zimmermann.
Sie ertranken in Gesellschaft des phantastischen, unermeßlichen Juwelenreichtums.
Die Überlebenden pullten zu den wartenden Karavellen. Der Kapitän Rafael de Cubas wußte, daß sein Davonkommen vor dem so nahen Tod kein dauerhafter Trost für den Verlust des Schatzes war. Man würde ihn wie den Kommandanten Francisco Lozano und den Kapitän der „Estremadura“, Raoul Souto Alonso, für das Unglück zur Rechenschaft ziehen.
Ob man die Diamanten vom Grund der Bengkalis-Bucht bergen konnte, hing in erster Linie davon ab, wie tief die „Santa Trinidad“ sank.
Sotoros Männer hatten die Feuer auf Rempang rechtzeitig gelöscht, dann hatten sich alle an dem Fest Beteiligten zu den Booten begeben – außer den Wachen, die am Käfig des Tigers verharrten und die mit gemischten Gefühlen darauf warteten, daß das Tier wieder erwachte.
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