Hasard schaute den Mann an, der seinen Beinamen von Bulbas’ Rassenbezeichnung ableitete. „Wie lautet dein wirklicher Name? Jetzt kannst du ihn mir verraten.“
„Sotoro. Und deiner?“
„Philip Hasard Killigrew.“
Sotoro lachte auf. „Dreimal so lang wie der meine. Bist du etwa adliger Abstammung?“
„Wenn man es genau nimmt, ja. Aber meine Feinde nennen mich gern einen Bastard, wobei sie sich auf gewisse Tatsachen berufen.“ Hasard setzte dem Tiger auseinander, warum das so war.
Sotoro nickte ernst und nahm nach dem Seewolf einen Becher mit Reiswein aus den Bordbeständen der Prahos entgegen, der von Yaira aus einem Krug eingeschenkt wurde.
Sotoro nahm einen Schluck zu sich, setzte den Becher dann wieder ab und entgegnete: „Ich bin als Sohn eines malaiischen Reisbauern und einer Inderin auf der Halbinsel Kra zur Welt gekommen. Aber ich will mich kurz fassen, was meine Kindheit betrifft.“ Sein Mund verzog sich zu einem Ausdruck der Bitterkeit und des tiefen Hasses. „Bei einem Überfall auf mein Dorf wurden meine Eltern von Spaniern getötet. Man verschleppte mich an Bord eines spanischen Seglers, wo ich als Aufklarer und Decksjunge die niedrigsten Arbeiten verrichten mußte. Ich wurde wegen meiner Herkunft und Hautfarbe verhöhnt, getreten und geschlagen. Aber ich lernte die spanische Sprache, ein paar Brocken Englisch und die Kunst, ein Segelschiff sicher übers Meer zu lenken. Später bin ich auf und davon, habe mich zu den Freibeutern von Malakka durchgeschlagen und wurde einer der ihren. Nach verschiedenen Machtkämpfen, Verrat und Intrigen bin ich der geworden, den die Spanier zu respektieren gelernt haben.“
„Der Tiger von Malakka“, murmelte Hasard. „Als Rebell hast du es dir nun zum Ziel gesetzt, Malakka, Sumatra und die übrigen Teile Inselindiens nach und nach von allen Fremdländern freizufegen.“
„Nur von den Besatzern“, stellte Sotoro richtig. „Für weiße Freunde wie dich und deine Männer ist in unserer künftigen Republik immer Platz.“
„Eine gerechtere Art, die Geschikke eines Volkes zu leiten“, sagte Hasard. „Das sind hochgesteckte Ziele, aber Rempang könnte ein echter Anfang sein. Nur darfst du den Gegner nicht unterschätzen.“
„Tue ich das?“
„Ich habe den Eindruck, die Spanier haben ein regelrechtes Kesseltreiben begonnen, dem du früher oder später zum Opfer fallen mußt“, erwiderte der Seewolf gedämpft. „Übersetze das weder Yaira noch jemand anderem, behalte es für dich. Der Überfall auf Otonedjus Insel, die Vertreibung der Seenomaden – es sind die ersten Zeichen, daß etwas Einschneidendes im Gang ist.“
„Das ist mir durchaus klar. Was du nicht weißt: In Bengkalis nutzt ein elender Verräter jede Gelegenheit aus, die Spanier gegen mich aufzuhetzen und ihnen Hinweise zu liefern, wie sie mich stellen könnten.“
„Siabu? Der ist tot.“
„Nein, nicht der Batak. Es handelt sich um einen Atjeh aus dem Norden Sumatras. Sein Name ist Uwak. Früher hat er zu uns gehört, aber dann ist er zu den Spaniern übergelaufen. Wegen Geldes ist er zum Abtrünnigen geworden, sie haben ihn gekauft wie Siabu. Wir mußten daraufhin unser Versteck wechseln, denn auch das hat er seinen neuen Herren natürlich sofort verraten.“
„Ich verstehe jetzt, warum du so unendlich mißtrauisch bist“, erwiderte der Seewolf. „Tausend Tücken und Intrigen, Repressalien und Verrat durch Männer aus den eigenen Reihen – so was zermürbt und kann einen Mann innerlich zerbrechen. Wie kannst du trotzdem ein so großer Idealist sein?“
„Weil die Zahl derer, die für mich den Tod riskieren, größer ist als die Zahl der räudigen Hunde, die es nur verdienen, für alle Zeiten von uns ausgestoßen zu werden. Man muß die Spreu vom Weizen trennen.“
Diese Sätze klangen vielleicht etwas zu markig, aber Hasard wußte ihnen den richtigen Stellenwert zu verleihen. Er konnte nicht umhin, Sotoro zu bewundern, denn nach allem, was er bisher erfahren und von ihm gesehen hatte, schienen die Ziele dieses Mannes völlig uneigennützig zu sein. Der Tiger war weniger darauf aus, sich durch blitzschnelle Raids gegen die Spanier zu bereichern, als vielmehr ihren Machteinfluß in und um Malakka zu schmälern.
„Uwak hat dem Kommandanten Escribano den Tip gegeben, Otonedjus Insel anzulaufen und nach dir und deinen Männern abzukämmen“, sagte Hasard.
„Ja.“
„Uwak wußte also, daß Otonedju zu euch Rebellen hält?“
„Ja. Er nahm richtig an, daß wir wieder auf der Insel landen würden“, antwortete der Malaie. „Erst jetzt wird mir richtig klar, welchen Dienst du uns erwiesen hast, indem du die drei Kriegsschiffe der Spanier versenkt hast. Sie sind ja tatsächlich gesunken, und damit hast du den Spaniern einen empfindlichen Hieb versetzt.“
Hasard lächelte. „Die Dons werden mich deswegen noch inniger verehren. Ich habe sie mal wieder bis aufs Blut gereizt. Etwas anderes, Sotoro. Welche Rolle spielen die Orang Laut, die Seenomaden?“
„Ich habe ihren Stamm erst durch diese dramatische Begegnung auf Rempang kennengelernt. Sie kommen von einer der kleinen, südöstlich der Pulau Bintan gelegenen Inseln, zu denen wir bislang noch keinen Kontakt hatten. Übrigens habe ich von ihrem Häuptling Kutabaru erfahren, daß sie von Escribanos Verband aufgescheucht wurden, bevor dieser Otonedjus Insel heimsuchte. Im Gegensatz zu Otonedju und dessen Leuten gelang den Nomaden jedoch die Flucht. Nur ein paar Krieger fielen dem Angriff der Spanier zum Opfer.“
„Weiß Kutabaru, weshalb dies geschah?“
„Ich habe ihm auseinandergesetzt, warum die Spanier überall nach mir suchen. Ich glaube, ich kann die Orang Laut, die von Insel zu Insel ziehen, für meine Sache gewinnen.“ Er hob die Hände leicht an und ballte sie. „Und ich werde Uwak, diesen Hund, töten, dann sind wir wieder beweglicher, weil die Spanier allein nicht alle Verstecke kennen können, in denen wir immer wieder unterschlüpfen.“
Hasard sagte: „Du willst also nach Bengkalis?“
„Ja. Ich werde dieses Nest überfallen. Und du? Was hast du vor, Seewolf?“
„Eigentlich wollen wir morgen früh aufbrechen und weitersegeln, in den Indischen Ozean. Wir wollen nach England zurückkehren.“ Hasard grinste plötzlich, und in seinen eisblauen Augen tanzten jene tausend Teufel, die bei ihm immer eine kühne Initiative ankündigten.
„Doch ich sehe nicht ein, warum wir nicht mit dir zusammen einen Abstecher nach Bengkalis unternehmen sollten“, sagte er. „Das liegt schließlich auf unserem Kurs, wenn ich nicht irre.“
Er schaute auf, weil der aus Ost-Nord-Ost wehende Wind plötzlich aufgefrischt hatte. Er zerzauste den Männern, Frauen und Kindern auf der Lichtung die Haare, griff nach den Feuern und ließ die Flammen heftig hin- und herlekken.
Der Steuermann der Dreimast-Karavelle „San Rafael“ konnte sich einen Ausdruck der Schadenfreude nicht verkneifen, als der Wind an Stärke gewann und von frisch bis handig auf steif bis stürmisch aufbriste. Der Wind pfiff über die nördliche Einfahrt der Bengkalis-Bucht, in der sich der Dreierverband jetzt befand.
Der Kommandant Francisco Lozano stand zu diesem Zeitpunkt auf. dem Vordeck der Karavelle und konnte nicht sehen, wie sein Timonero heimlich und verschlagen grinste. Lozano hatte einen Decksmann auf die Galionsplattform hinabkommandiert. Der Mann lag bäuchlings schräg unter ihm und hielt Senkblei und Faden bereit, um die Wassertiefe auszuloten, falls der Kommandant es für notwendig erachtete.
Die Galeone „Santa Trinidad“ segelte im Kielwasser der dreimastigen Karavelle, und den Abschluß bildete die „Estremadura“. Hoch am Wind lagen die Schiffe. Aber während die wendigeren Karavellen mit ihren Lateinersegeln kaum Mühe hatten, den Kurs zu halten, mußte der Kapitän Rafael de Cubas an Bord der „Santa Trinidad“ sein ganzes seemännisches Können aufbieten, um mit dem schwerfälligeren Rahsegler den Kurs halten zu können.
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