„Das bezweifele ich ganz entschieden“, widersprach Ben.
„Ich habe da ein besonderes Gefühl für solche Sachen“, entgegnete Ferris.
Er behielt recht. Der Krängungswinkel nahm noch etwas zu, nicht viel, aber dadurch wurde doch noch eine etwas größere Fläche des Rumpfes frei.
Auf Steuerbord verließen sie das Schiff und bewegten sich über den feinen Sand, auf dem nur noch fingerbreit das Wasser stand.
Ein gekrängtes Schiff sah auf dem Trocknen schlimmer aus als im Wasser, fand der Moses. Da hatte man immer das Gefühl, als würde es sich total zur Seite neigen und umfallen. Auch wirkte es jetzt viel größer, riesengroß fast.
Aber wie sah es unten aus!
Der Rumpf war eine schwarze Masse, aus der es grünlich und dunkelblau schillerte. Langsam trocknende Algenbärte hingen auf der Unterseite, durchwachsen von Tausenden von Muscheln. Und in den braunen und schwärzlichgrünen Algen wimmelte es. Da rannten winzige Krebse durcheinander und versuchten, das rettende Wasser zu erreichen, da gab es andere kleine Tiere und ekelerregendes Gewürm aller Sorten und Gattungen, von kleinen Spinnen angefangen bis zu kugelförmigen Wesen, die der Moses noch nie in seinem Leben gesehen hatte.
Er ging näher heran und bückte sich.
„Sind das die Holzbohrer, Mister Tucker?“ wollte er wissen und deutete auf die winzigen, kaum sichtbaren Dinger, die wild durcheinanderkrabbelten.
„Nein, die sitzen unter den Muscheln im Holz drin. Erst müssen die Muscheln abgekratzt werden, die Algen entfernt und der Rumpf sauber sein, vorher sieht man die Gänge nicht.“
Tucker starrte auf die Muscheln und riß eine aus dem Gewirr von verfilztem Seetang heraus. Er hielt sie dem Bengel unter die Nase und grinste.
„Das fressen die Spanier – und Kastanien“, setzte er hinzu. „Wenn die mal aufslippen, haben sie wochenlang zu essen. Ich habe mal gesehen, wie sich eine ganze Crew am Rumpf sattgefressen hat.“
Bill musterte den Zimmermann von der Seite, doch Tucker zeigte keine Regung, lediglich Big Old Shane grinste in seinen Bart, bis aus dem Grinsen schließlich ein dröhnendes Lachen wurde.
„Dann geraten die Spanier wenigstens nie in Not“, sagte der Bengel trocken. „Die brauchen nur auf Grund laufen, und schon haben sie ihre Mahlzeit beisammen. Daran sollten wir uns in Notzeiten auch gewöhnen, Mister Tucker.“
Sie schleppten das Werkzeug herbei und der Moses wollte mit einem großen Kalfateisen zu kratzen beginnen, aber Tucker schüttelte den Kopf.
„Man fängt ganz unten an Bill, wenn man nicht richtig aufgeslippt ist, sondern so liegt wie wir. Weshalb?“
Der Bengel grinste pfiffig.
„Weil das Wasser steigt und man länger arbeiten kann, und wenn es weiter steigt, kann man immer noch oben abkratzen.“
„Richtig, mein Sohn. Dann fang mal an!“
Den Rumpf säubern, das war eine der verhaßtesten und unbeliebtesten Arbeiten an Bord. Das kriegte auch der Bengel zu spüren, als die scharfen Muschelreste ihm die Hände aufschnitten, als ihm winzige Tropfen Salzwasser in die Augen spritzten und er sich fast auf den Rücken legen mußte, um das Dreckzeug abzukratzen.
Wenn er ein Stückchen sauber hatte und die Länge des Schiffes sah, verließ ihn fast der Mut. Die Hitze besorgte den Rest, man wurde träge, schlapp und müde, und nach einer Stunde taten ihm alle Knochen weh, und dabei hatte er erst eine geradezu lächerlich kleine Fläche geschafft. Dann sah er neidvoll zu, wie der große Shane oder Tucker, der Seewolf, Brighton und die anderen wühlten, als wollten sie das Schiff auseinanderreißen.
Tucker hatte ein riesiges Feld freigelegt, und jetzt untersuchte er es genauer.
„Hier“, sagte er zu Hasard, „da ist er, der Holzbohrer. Löcher so klein, daß man sie kaum sieht, das sind seine Gänge, und wenn wir den nicht ausräuchern, frißt er uns auf.“
Mit einer dünnen scharfen Nadel versuchte er in den Gang zu pieken, doch die dünne Nadel erwies sich als zu dick.
„Wie tief sitzt er?“ fragte Hasard.
„Nur ein paar Inches, einige hängen noch halb draußen, aber je salziger das Wasser wird, desto wohler fühlt er sich, und um so schneller bohrt er sich hinein.“
Grey und Bowie ließen sich das heimtückische Biest auch zeigen, dann arbeiteten sie verbissen weiter und beneideten insgeheim die Männer, die an Land waren.
Das Holz der „Isabella“ erwies sich als außerordentlich widerstandsfähig und stabil. Zum Glück hatte Tukker damals darauf bestanden, daß keine dünnen Kupferbleche unter den Rumpf genagelt wurden, wie es bei den Spaniern üblich war. Da nämlich hatte der Holzbohrer leichtes Spiel, und die alten Galeonen verfaulten zehn mal schneller mit ihren verdammten Kupferblechen, die das Schiff schützen sollten, es in Wirklichkeit aber schneller altern ließen.
Der Schiffszimmermann war pingelig, und wenn er arbeitete, dann nahm er alles so genau und pedantisch, daß es ihm keiner recht tun konnte. Aber seine Pedanterie hatte sich schon oft ausgezahlt, und daran mußte jetzt auch Hasard denken, als sie die „Isabella“ damals gekauft hatten und Tucker wie ein unruhiger Geist durch das Schiff geschlichen war und dieses und jenes bemängelt hatte, obwohl die „Isabella VIII.“ das modernste Schiff war, das die Werft jemals hervorgebracht hatte.
Als die erste große Fläche abgekratzt und geschmirgelt war, strich der Schiffszimmermann heißes Pech darauf, griff in das Faß mit dem Schießpulver und klebte es auf den dünnen Überzug aus Pech.
In diesem Augenblick hielt die drei Angler nichts mehr. Sie pullten heran, Pete Ballie getrieben von Neugier, was jetzt geschah und wie der Wurm ausgerottet wurde, oder der Bohrer, wie Ferris ihn nannte.
Sie hatten eine Menge Fische gefangen, und als das Boot auf den Sand lief, sprangen die Männer heraus.
„Schießpulver?“ fragte Pete entsetzt und bewegte seine großen Pranken besorgniserregend hin und her. „Wozu soll das denn wieder gut sein?“
Old O’Flynn wußte es, aber er enthielt sich der Stimme, und auch der alte Will Thorne schwieg.
Tucker erklärte es ihm.
„Die Höhlen des Holzbohrers werden gesprengt, mit Schießpulver“, sagte er ernst. „Dann fliegt der Holzbohrer in die Luft.“
„Waaas?“ schrie Pete. „Ich denke, das geht mit der Nadel!“
Ferris verneinte. „Er sitzt zu tief, verstehst du? Wir müssen sprengen, geh aus dem Weg!“
Ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen, blies er auf die Glut der Lunte und hielt sie an die klebrige Masse.
„Sir, das kannst du nicht zulassen!“ rief Pete dem Seewolf zu, doch dann merkte er, daß Tucker ihn wieder einmal genarrt hatte.
Eine Stichflamme zuckte an den Rumpfplanken hoch, setzte für ganz kurze Zeit das Pech in Brand und überzog alles mit einer lohenden Feuersäule. Es sah aus, als würde die „Isabella“ jeden Augenblick in Flammen aufgehen.
Das glutheiße Pech drang in die Ritzen ein, verklebte sie und erstickte die Holzbohrer, einerseits durch die sengende Hitze, andererseits dadurch, daß es die winzigen Gänge hermetisch abschloß.
„Als ich die ersten Holzbohrer ausrottete“, sagte Ferris, „da hast du gerade in den Windeln schwimmen gelernt, Pete, so lange ist das schon her.“
„Donnerwetter“, sagte Ballie, „du bist doch ein rothaariger Satansbraten, der sein Handwerk versteht.“
„Nun, man lernt immer noch dazu“, sagte Tucker bescheiden.
Sobald eine Fläche abgekratzt war, rückte der Zimmermann dem unsichtbaren Biest zu Leibe, brannte, räucherte und sengte es aus, bis der Rumpf teilweise schwarz glänzte und aussah, als wäre er mit frischem Lack überzogen.
Die anderen halfen mit, unermüdlich, keuchend, schwitzend und verhalten fluchend. Sie hatten noch eine Menge Arbeit vor sich, und nicht mehr lange, dann stieg das Wasser wieder.
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