Er sah sich um, und die gesamte Crew nickte Zustimmung.
„Jawohl, Sir“, sagte Carberry, „wir sind nicht der Arm der Gerechtigkeit, und für die Dons halten wir noch lange nicht unsere Köpfe hin. Zum Teufel mit den Kopfjägern.“
„Ruht euch jetzt aus“, sagte Hasard, den die Nachricht trotz allem etwas schockiert hatte. „Heute nacht gehen sechs Mann Wache, die sich alle vier Glasen ablösen. Die Kanonen bleiben schußbereit, an die Wachen werden Musketen und Pistolen ausgegeben und das Schiff wird beleuchtet, und zwar so, daß man bis zum Land hin die Wasseroberfläche erkennen kann. Der Kutscher wird euch drei Flaschen Rum bringen, ihr alle habt einen Schluck verdient, und danach geht es ab in die Kojen.“
„Batuti schlafen lieber an Deck“, sagte der Neger.
„Batuti schlafen heute nacht ausnahmswiese in Koje“, fuhr Carberry ihn an, „und Batuti werden gefälligst nicht so laut schnarchen, kapiert?“
Hasard blieb noch so lange bei seinen Männern, bis der Kutscher die Rumflaschen brachte. Er kannte sie, sie tranken zwar gern, aber nur widerwillig, wenn er sich an Bord befand und nicht wenigstens den ersten Schluck mit ihnen zusammen trank. Den kleinen Gefallen war er ihnen schuldig, und gegen einen Schluck Rum hatte der Seewolf grundsätzlich nichts einzuwenden.
Also setzte er die Flasche an, nahm einen Zug und reichte sie an Ben weiter.
Da sie an Bord einschließlich des Moses und ausgenommen Arwenack und Sir John, zweiundzwanzig Mann zählten, waren die drei Flaschen ein Klacks. Jeder trank eine Daumenbreite, und da die meisten von ihnen nicht gerade magere Daumen hatten, gab es insgesamt etwa dreißig Breiten, wenn man Carberrys Daumen zugrunde legte, der dann auch verlauten ließ, die drei Flaschen würden mit Mühe und Not dazu ausreichen, um die Luft anzufeuchten.
Al Conroy sammelte die leeren Flaschen ein und bewachte sie eifersüchtig, denn leere Flaschen konnte man mit Schießpulver, gehacktem Blei oder kleinen Steinen füllen und sie vermittels einer hineingesteckten Lunte als teuflische Geschosse verwenden, die schon so manchen Gegner unangenehm überrascht hatten.
Der Seewolf zog sich nach seinem Schluck zurück, und von den Seewölfen verholte einer nach dem anderen. Auch Batuti fügte sich dem Profos und suchte den Schlafraum auf, denn Kojen aus Holz, zweifach übereinander, hatte kaum ein Schiff aufzuweisen. Auch das war Tuckers und Hasards Idee entsprungen, die alle beide nicht einsahen, weshalb sich Mannschaften an Deck legten, um dort zu schlafen, zumal jeder Kapitän eine eigene Kammer besaß.
Ohne jeden Zwischenfall verging die Nacht. Wenn es hier Kopfjäger gab, woran nicht der geringste Zweifel bestand, dann hatten sie jedenfalls an der „Isabella“ kein Interesse. Oder sie wußten noch nicht, daß weißhäutige Fremde in ihr Revier eingedrungen waren.
Alle zwei Stunden wechselten die Wachen. Wachsame Augen suchten die Wasseroberfläche ab. Ein Mann stand ständig an den Culverinen, eine glimmende Lunte zu seinen Füßen, die in einem mit glühender Holzkohle gefüllten Messingbecken lag. Die Bronzerohre der Siebzehn-Pfünder waren mit grob gehacktem Blei geladen, und in den vorderen und achteren schwenkbaren Drehbassen befand sich ebenfalls eine Mischung aus grobem Blei, rostigen Nägeln und Eisen.
Die Streuung hatte einen Radius bis zum Strand auf fast hundert Yards. Damit konnte man eine ganze angreifende Horde wie mit einer riesigen Sense niedermähen.
Doch kein Kopfjäger ließ sich blikken.
Als sich am anderen Morgen immer noch nichts rührte, wurden die Arbeiten fortgesetzt.
Diesmal arbeiteten fast alle mit. Da wurde gekratzt, gestoßen, gehämmert, abgebrannt – was immer Ferris Tucker persönlich übernahm –, kalfatert und gestrichen.
Das kleine Fäßchen Schießpulver ging zur Neige. Tucker mußte ein neues holen, um den Holzbohrwurm zu vernichten.
Mitunter hatte es den Anschein, als würde die „Isabella“ lichterloh in Flammen stehen. Dann züngelten riesige, blutrote Flammen an dem Schiffskörper hoch, dann wurde Pech so flüssig wie Wasser, und dann rannten Seewölfe mit Pützen voller Seewasser umher, um den vermeintlichen Brand zu löschen.
Doch immer wieder sahen sie Ferris Tuckers heimliches Grinsen. Der Schiffszimmermann kannte genau die Menge, die er verwenden durfte, die Menge, die das Pech flüssig werden ließ und den Holzbohrwurm vernichtete, so daß er sich zusammenzog, in den Gang, den er gebohrt hatte, blitzartig verschwand und dort verendete.
Ganz selten sahen sie einmal eins der winzigen Tierchen.
Es hatte einen Kopf der in verblüffender Weise einem von Tuckers Holzbohrern ähnelte, die in der großen Holzkiste lagen, die meist unter der Nagelbank auf Steuerbord lag.
Ferris hatte einige von ihnen herausgebohrt, kleine Dinger, bei denen man zweimal hinsehen mußte, ehe man sie einmal sah. Er ließ sie auf der Kuppe seines hornigen Zeigefingers laufen und zeigte sie herum.
„Verrenkt euch nicht die Klüsen“, sagte er, „der Bursche ist so klein, daß man ihn kaum sieht, aber er ist ein emsiger Arbeiter, an dem ihr euch ein Beispiel nehmen könnt. Er bohrt und bohrt, und alles, was er braucht, ist nur Holz und Salzwasser. Dann beginnt er seine verdammt gründliche Arbeit.“
„Genau wie du“, sagte Tuckers bester Freund Carberry. „Ich überlege gerade, ob wir dich nicht umtaufen sollen. Ferris, der Holzbohrer, klingt doch nicht schlecht, was, wie?“
„Untersteh dich“, sagte Tucker grollend, „sonst bist du die letzte Zeit mein Freund gewesen.“
Mittags gab es große Stücke von dem Fleisch, das sie gestern erwischt hatten, und damit war auch schon fast die Hälfte wieder weg.
„Hoffentlich sind wir bald fertig“, sagte der Kutscher mißmutig. „Was wir gestern gefunden haben, reicht vorn und hinten nicht. Und weitersuchen können wir auch nicht mehr, wenn wir nicht heimlich ein paar vergiftete Pfeile ins Kreuz kriegen wollen. Keine Beeren, keine Kräuter, nur ein paar lausige Nüsse und zwei Schildkröten.“
„Wenn du nicht soviel meckern, sondern statt dessen kräftig mithelfen würdest, werden wir viel schneller fertig“, sagte der Profos.
Der Kutscher zog sich zurück, aber als er seine Kombüse aufgeklart hatte, war er dabei und hieb wie ein Wilder auf die Muscheln und den Tang ein.
Der größte Teil der Unterseite war abgekratzt, mit Pech verklebt und abgebrannt worden. Im Rumpf gab es eine ganze Menge dieser winzigen Löcher. Tucker hatte also mit seiner Behauptung recht gehabt, nur war es nicht so schlimm, wie er es darstellte.
Hasard hatte ständig einen Mann im Ausguck, dessen Blick bis weit aufs Meer reichte, und der auch einen Teil des Urwalds überblicken konnte.
Diesmal war es der Schwede Stenmark. Er war noch keine halbe Stunde oben, als er an Deck rief: „Deck! Ein Spanier! Zweimaster! Er segelt ziemlich dicht an der Küste entlang. Himmel, wie der Don segelt, da scheinen nur Verrückte an Bord zu sein.“
Während die anderen ihre Arbeit unterbrachen, enterte der Seewolf schweigend in die Wanten, bis er den Ausguck erreichte.
„Der hat uns gerade noch gefehlt“, sagte er leise. „Wenn der uns entdeckt und in die Bucht einläuft, kann er uns eine Menge Kummer bereiten. Wir müssen sofort …“
Er unterbrach sich, denn jetzt fiel ihm selbst auf, wie eigenartig der Don an der Küste segelte.
„Da scheinen tatsächlich Verrückte an Bord zu sein“, sagte er zu dem Schweden. „Ein großes Segel steht, die anderen hängen im Gei. Diese Nachttopfsegler haben wohl noch nie etwas von Brassen und Schoten gehört.“
Er legte die Hände an die Lippen.
„Bill! Bring mir das Spektiv. Beeil dich!“
Der Moses flitzte los, holte das Spektiv aus der achteren Kammer und brachte es nach oben.
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