Carberry sah ihn erstaunt an.
„Was, das Land sieht man nicht?“ fragte er. „Wir dachten schon, du würdest dort oben pennen, weil wir doch schon vor Stunden den Kurs änderten, eben weil Land in Sicht war. Man sieht doch jetzt schon ganz deutlich die Palmen, die, kleinen Brandungswellen und den saftigen Urwald. Oder sieh dir den weißen Sand an, Junge, ganz feinkörnig, und die beiden schlafenden Schildkröten, die in der Sonne dösen. Naja, für den Anfang war das nicht schlecht, du bist ja noch nicht lange im Ausguck.“
Der Bengel guckte sich die Augen aus, aber er sah weder den Landstrich noch die Palmen, von den Brandungswellen und den Schildkröten ganz zu schweigen.
Er kriegte spitze Lippen und schüttelte den Kopf. Aber da war der Profos schon gegangen, Bill erblickte nur noch den riesigen breiten Rükken, und als Carberry ihm das Profil zuwandte, da sah er den Profos grinsen, und es sah verdammt nach Anerkennung aus dieses Grinsen.
Verdammt, dachte der Bengel, der Profos hatte es gar nicht ernst gemeint, aber warum mußten diese Erwachsenen eigentlich immer ihre Überlegenheit demonstrieren und gaben nicht zu, daß er erstklassige Augen hatte?
Nein, er hatte sich noch nicht so weit nach oben gekämpft, daß sie es offen zugaben, überlegte er, obwohl sie es gut mit ihm meinten. Er war eben der Moses, der Bengel, und keiner wollte es wahrhaben, daß er älter wurde. Sie brauchten einen Moses, ein Moses gehörte zu jedem Schiff wie die Masten und Rahen, der Kompaß oder das Ruder, und daher würde er auch noch für eine verdammt lange Weile der Moses bleiben.
Macht nichts, dachte er, ich fühle mich wohl, und jeder ist nett zu mir. Ich habe sogar einen eigenen Schatz, und wer von den anderen Schiffsjungen hatte das schon, die auf anderen Schiffen jeden Tag bis aufs Blut kujoniert wurden.
Das Land rückte näher, und an Bord der „Isabella“ herrschte eitel Freude und Sonnenschein. Die meisten lehnten am Schanzkleid und sahen hinüber, als die „Isabella“ wieder leicht den Kurs änderte, diesmal etwas nach Steuerbord, bis sie mit dem Land parallel lag und weitersegelte.
Der Abstand mochte etwa zwei Meilen betragen, aber noch schob sich das Schiff unmerklich näher heran.
Langgestreckte Hügel waren zu sehen, davor wuchs undurchdringlicher Dschungel bis an das Wasser heran. An manchen Stellen gab es keinen Strand, da stand verfilztes Gebüsch mit riesigen schlangenähnlichen Wurzeln, die wie Geisterfinger ins Meer tasteten.
„Ob die Insel bewohnt ist?“ fragte Matt Davies seinen Nebenmann, den alten Segelmacher Will Thorne, der die Hände über dem Bauch gekreuzt hatte und andächtig zum Land blickte.
„Keine Ahnung, Matt. Dieser Teil ganz bestimmt nicht, da kann niemand hausen. Aber wie ich hörte, soll dies eine sehr große Insel sein. Warten wir es ab.“
Je mehr sich die „Isabella“ dem Land näherte, desto größer wurde die Hitze. Es war drückend und schwül. Der leichte Wind, der sie vorantrieb, brachte keine Kühlung, weil er ebenfalls fast heiß war.
„Mangrovenwälder“, sagte Old O’Flynn mißmutig. „So nennt man diese komischen Bäume, glaube ich. Wurzeln wie Riesenschlangen und dazwischen lauern gefräßige Bestien. Ich möchte da keinen Fuß an Land setzen.“
„Versuch’s doch erst mal mit deinem Holzbein“, riet Gary Andrews grinsend. „Wenn ihnen das nicht schmeckt, lassen sie dich ganz sicher in Ruhe.“
„Ich werde dir das Holzbein gleich übers Kreuz tanzen lassen, du junger Hüpfer“, sagte Old O’Flynn drohend. „Zu meiner Zeit, auf der ‚Empress of Sea‘, da hatten die jungen Kerle noch Respekt vor dem Alter, und es setzte jeden Tag Prügel, wenn sie nur das Maul öffneten, ohne gefragt zu sein.“
„Das würde dir so gefallen, was? Mann, was sind wir heilfroh, daß du nicht der Kapitän bist, Donegal!“
„Ha! Ich würde euch Rotznasen jeden Tag ein paar Stunden zum Trocknen in die Wanten hängen, wenn ihr nicht pariert. Aber heutzutage lobt euch sogar der Kapitän noch, wenn ihr ausnahmsweise mal etwas Richtiges bei der Arbeit tut.“
Andrews grinste. Er unterhielt sich gern mit dem Alten, denn O’Flynn meinte es nicht unbedingt so, wie er es sagte, obwohl die Seefahrt zu seiner Zeit ein klein wenig anders ausgesehen hatte.
Aber diese „Empress of Sea“, das mußte ein wahres Wunderschiff gewesen sein, mit dem der Alte die nördlichen Meere befahren hatte, als er noch ein hitziges Rauhbein gewesen war.
„Wo ist der alte Kahn eigentlich abgesoffen?“ fragte Gary und starrte weiterhin zum Land hinüber.
„Abgesoffen? Die schwimmt in tausend Jahren noch, die ‚Empress of Sea‘ säuft nicht ab, meine Junge. Die hätte sich in dem lausigen Taifun kürzlich nur einmal trotzig geschüttelt, und dann wäre sie über den Wellen gesegelt. Sie war ein schönes Schiff“, schwärmte der Alte. „Unglaublich stark und schnell, und in ihrer Takelage hockte der Windgott persönlich. Nachts schlichen sich die Meermänner an Bord und trieben Schabernack mit uns. Ja, das war eine gute Zeit. Aber die alte Lady, die segelt noch irgendwo, das ist sicher, an die trauten sich nicht einmal die Holzbohrwürmer heran.“
Jetzt war der Alte in seinem Element. Er erzählte und erzählte, und als Gary Andrews nach einem diskreten Hüsteln, weil der Alte so maßlos übertrieb, heimlich verschwinden wollte, mußte er feststellen, daß O’Flynn seitlich am Kopf Augen hatte, denn jedes Mal ergriff ihn die knochige Hand des Alten und hielt ihn fest, damit er sich anhörte, was für ein Schiff die alte Lady war, und daß sie das beste, schnellste und härteste Schiff überhaupt war, das die Nordmeere befuhr.
Wenn Old O’Flynn einmal loslegte, dann bogen sich die Planken und im Kielschwein begann es protestierend zu pfeifen. Da beschwor der Alte Seegeister, Meermänner, riesige Kraken, die sich in das Nordmeer verirrt hatten, übelwollende Kobolde, die die Mannschaft ärgerten, und versunkene Städte, in denen tief auf dem Meeresgrund golden gekleidete Leute spazierten.
Dabei wurde er nicht einmal rot, ihn packte höchstens der Zorn, wenn Andrews es wagte, ganz besonders dick aufgetragene Geschichten anzuzweifeln.
„Eines Tages“, schloß der Alte, „wirst du dieses Schiff mit eigenen Augen sehen, und es wird dir die Sprache verschlagen, und du wirst den Himmel anflehen, nur einmal auf diesem Schiff fahren zu dürfen, mein Sohn. Und wenn du die Planken dann wirklich mal betrittst, wirst du dir vor lauter Achtung und Respekt in die Hose kacken, das sagt dir der alte Donegal.“
„Ich glaub’s ja“, sagte Gary kleinlaut. „Mir läuft es jetzt schon heiß und kalt über den Rücken, wenn du davon erzählst.“
„So geht es jedem, der von dem Schiff hört“, versicherte der Alte stolzgeschwellt, und in seine hellen Augen trat ein fast überirdisches Leuchten.
Das Land beschrieb einen starken Bogen, und eine Bucht tat sich auf, so groß und gewaltig, daß man sie nicht übersehen konnte.
Der junge O’Flynn, der sich vornehmlich um die Navigation kümmerte und es darin schon fast bis zur Perfektion gebracht hatte, hantierte mit dem Jakobsstab und rechnete.
Sie hatten gute Seekarten, aber die einzelnen Buchten dieser Insel waren nicht genau bezeichnet, und Dan stellte schließlich eine Menge Abweichungen fest. Aber er wußte, über den Daumen gepeilt, wo sie sich befanden.
„In dieser Riesenbucht gibt es jede Menge kleine, völlig abgelegene Buchten“, sagte er zu Hasard. „Wie es den Anschein hat, wird hier kaum jemals ein Schiff anlegen. Ich schlage vor, wir laufen die einzelnen Buchten einmal an und sehen uns um.“
„Hoffentlich bestehen die nicht auch nur aus Mangrovenwäldern“, meinte der Seewolf. „Laufen wir also ein paar Buchten an, bis wir etwas Geeignetes finden.“
„Ferris kann dann endlich seine Holzbohrwürmer aus den Planken polken“, sagte Pete Ballie lachend. „Ich bin gespannt, wie er das anstellt.“
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